PID in der Diskussion
Bericht von der Tagung „Präimplantationsdiagnostik in Deutschland. Aktuelle Herausforderungen“
Seit der Anfang der Zehnerjahre kontrovers geführten Grundsatzdebatte um die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID) in Deutschland ist das Thema weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden. Eine Tagung am Zentrum für Gesundheitsethik an der Evangelischen Akademie Loccum in Hannover vom 29. bis 30. Oktober 2018 wandte sich nun explizit jenen Fragen zu, die durch das Präimplantationsdiagnostikgesetz von 2011 und die PID-Verordnung von 2014 in der Praxis aufgeworfen werden. Eingeladen waren Fachleute und Interessierte aus den Bereichen Reproduktionsmedizin, Humangenetik, Kinderheilkunde, Psychiatrie, Psychosomatik, Kinderwunsch- und Schwangerenberatung, Ethik, Recht, Politik, Selbsthilfe, Behinderten- und Patientenverbänden. Allerdings war die Teilnahme von Menschen mit Beeinträchtigungen gering, was negative Auswirkungen auf die Breite der vertretenen Meinungen hatte. In Vorträgen und Falldiskussionen wurden rechtliche Rahmenbedingungen, die Komplexität der Einzelfallentscheidungen in den PID-Ethikkomissionen, die sich entwickelnde soziale Praxis der PID, sowie die neueren Entwicklungen der Gentherapie erörtert. Die Schwierigkeiten bei der Auslegung der bestehenden Gesetze und Verordnungen wurden auf der Tagung immer wieder deutlich – aber auch die unterschiedlichen Meinungen der Fachleute. So wurde diskutiert, wie der Versuch einer gerechten und transparenten Entscheidungspraxis der Ethikkommissionen sich an durch die Gesetzgebung offen gelassenen Fragen stößt, etwa an der Frage ab wann ein „hohes Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit“ (ESchG §3a Abs. 2) vorliegt, was unter „maßgeblichen psychischen, sozialen und ethischen Gesichtspunkten“ (PIDV §6 Abs. 4) zu verstehen ist, und ob im Rahmen einer PID erhobene Nebenbefunde den Betroffenen mitgeteilt werden dürfen.
Zum Auftakt gab Friedhelm Hufen, Professor für Öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungsrecht an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und stellvertretender Vorsitzender der PID-Kommission bei der Landesärztekammer Baden-Württemberg einen Überblick über die Rechtslage zur PID in Deutschland. In Bezug auf die Nebenbefunde argumentierte er deutlich gegen die von Taupitz und anderen in ihrem Kommentar zum Embryonenschutzgesetz vertretenen Meinung, der Gesetzgeber habe Aneuploidietestungen „auch ins Blaue hinaus erlaubt“1 und für eine engere Auslegung entlang des Gesetzgebungsverfahrens und der Präimplantationsverordnung. Dem hielt Tanja Henking, Professorin für Gesundheitsrecht, Medizinrecht und Strafrecht an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt die methodische Grundnorm aus dem Strafrecht entgegen, wonach Verbote eng und Spielräume weit auszulegen seien.
Einen Blick über die Grenzen Deutschlands warf ein Beitrag über die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Durchführung der PID in der Schweiz von Andrea Büchler vom Lehrstuhl für Privatrecht und Rechtsvergleichung der Universität Zürich. Sie hob heraus, dass im Spannungsfeld zwischen der Zumutbarkeit für die potenziellen Eltern und der Leidvermeidung für das zu erwartende Kind insbesondere der Aspekt der vermeintlichen Leidvermeidung problematisch sei, da diese Sichtweise Beurteilungen über Lebensqualität und somit auch Lebenswerturteile enthalte. Zu Operationalisierung werde in der Schweiz eine enge Eingrenzung des Begriffs „schwere Krankheit“ genutzt.
Mehrfach wurde in den Falldiskussionen und Vorträgen die Frage thematisiert, in wie weit die soziale Praxis der PID in Deutschland der Gesetzesintention des Embryonenschutzgesetzes entspreche. Zu unterscheiden wären, so der Tenor, dabei zwei Zwecke der sozialen Praxis des Screenings auf genetische Abweichungen. Einmal das „Gelingen der IVF-Behandlung“, also die Vermeidung mehrfacher Fehlgeburten und Spontanaborte. Bei den betroffenen Paaren mit Kinderwunsch gilt dafür die Erkennung chromosomaler Eigenschaften, die die Entwicklungsfähigkeit des Embryos beeinträchtigen, als zentral. Davon zu unterscheiden sei die Verhinderung von Behinderung aufgrund chromosomaler Anomalien. Handlungslogisch wären diese beiden Zwecke bei der Identifizierung von Embryonen nicht zu trennen.
Eine von den Veranstalter*innen in der Einladung gestellten Leitfragen war: „Ist ein Aneuploidiescreening im Rahmen der PID zur Verbesserung der Erfolgsaussichten bei einer In-Vitro Fertilisation (IVF) zulässig oder nicht?“ Im relativ restriktiven Gesetzestext gibt es weder explizit eine Erlaubnis noch ein Verbot einer solchen Praxis, Ausweitungstendenzen sind jedoch biopolitischen Prozessen inhärent. So gingen die Spekulationen anhand von Fallgeschichten in die Richtung, dass PID als Instrument der reproduktionsmedizinischen Qualitätssicherung genutzt werden könnte, um länger Kinder bekommen zu können. Welche unterschiedlichen Beweggründe einerseits in den PID-Ethikkomissionen in der Abwägung eine Rolle spielen und wie andererseits reproduktionsmedizinische Zentren, Frauen und Paare damit antizipierend umgehen, konnte nur anekdotisch erörtert werden. Der geringe Austausch der PID-Ethikkomissionen, die über die Anträge entscheiden, sowie deren Geheimhaltungspflicht machen aus der Genehmigungspraxis eine Black Box. Die tatsächliche Auswirkung der gesetzlichen Liberalisierung ist jedoch sowohl für die Forschung als auch für die gesellschaftliche Debatte und für eventuell nötige gesetzliche Nachjustierungen relevant.
Einen Ausblick zur Frage, ob Eingriffe in die menschliche Keimbahn mittels Genome Editing als Alternative zur PID gelten können, gab Christoph Rehmann-Sutter, Professor für Theorie und Ethik der Biowissenschaften an der Universität zu Lübeck. Die Alternativen für Paare mit genetischem Risiko und dem Ziel eines nicht behinderten Kindes ordnete Rehmann-Sutter zunächst in ein Kontinuum verschiedener Möglichkeiten ein: 1. PID mit IVF, 2. Pränataldiagnostik in der Schwangerschaft, 3. Zufall, 4. Keimzellspende, 5. Adoption, 6. Keimbahngentherapie mit CRISPR-Cas9, und 7. Somatische Gentherapie. Als zwei Bedingungen für die ethische Akzeptanz genetischer Eingriffe in die Keimbahn diskutierte er dabei einerseits die Sicherstellung des Wohlergehens der Person, die geboren wird, und andererseits die Konsistenz mit sozialer Gerechtigkeit und Solidarität. Diese Einschätzung liegt auf der Linie mit der umstrittenen Stellungnahme des britischen Ethikrats2, nach der Eingriffe erlaubt sein könnten, wenn sie nicht zu Diskriminierung der Betroffenen oder gesellschaftlicher Spaltung führen. Die Frage der „Nebenwirkungsfreiheit“ könne mit Sicherheit erst in zwei Generationen, nach einem ganzen gelebten Leben, beantwortet werden. Die Garantie der Nebenwirkungsfreiheit der „Genchirurgie“ reiche aber nicht, so Rehmann-Sutter. So entstehe durch willkürliche Eingriffe in die Keimbahn eine neue Ebene der Verantwortung in der Eltern-Kind-Beziehung, etwa durch verbleibende genetische Risiken, teil/erfolglose Behandlung oder aber die Verstärkung der genetischen Deutung von Identität von Seiten der Eltern oder Kinder. Für diese Fragen, die möglicherweise eine Belastung darstellen, haben wir noch keine soziale Praxis des Umgangs. Wenn kein wirklicher medizinischer Bedarf existiert, jedoch ein hohes Risiko für die Belastung der intergenerationalen Beziehung, sollte man sich laut Rehmann-Sutter gegen Genome Editing und für PID aussprechen.3
- 1Günther, H.-L.; Taupitz, J.; Kaiser, P. (2014): Embryonenschutzgesetz. Juristischer Kommentar mit medizinisch-naturwissenschaftlichen Grundlagen. Stuttgart: Kohlhammer.
- 2Nuffield Council on Bioethics (2018): Genome editing and human reproduction: social and ethical issues, www.nuffieldbioethics.org/project/genome-editing-…. Kritisch dazu: Bartram, Isabelle (2018): Verantwortungslose Ethikempfehlungen, GID 246, S.34, www.gen-ethisches-netzwerk.de/genome-editing/vera….
- 3Rehmann-Sutter, Christoph (2018): Why Human Germline Editing is More Problematic than Selecting Between Embryos: Ethically Considering Intergenerational Relationships. In: The New Bioethics, Vol. 24, No. 1, S.9-25.
Stefan Reinsch ist Arzt und Medizinethnologe und forscht aktuell am Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung der Universität zu Lübeck zur Frage der Präimplantationsdiagnostik in Deutschland und Israel.
Kassenfinanzierung der PID?
Von Kirsten Achtelik
In Zukunft soll die Präimplantationsdiagnostik (PID) von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werde – zumindest wenn es nach dem Willen von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) geht. Mitte Januar lancierte Spahn eine Ergänzung zum Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG). Dieses Gesetz wurde bereits in erster Lesung im Bundestag debattiert. Danach so schwerwiegende und themenfremde Änderungen einzubringen ist gelinde gesagt ungewöhnlich.
Die Kosten für die Beitragszahler*innen würden sich nach Schätzungen des Bundesrats auf rund 2,6 Millionen Euro im Jahr belaufen. Voraussetzung soll sein, dass die Paare verheiratet sind, außerdem dürften nur Ei- und Samenzellen der beiden Ehepartner*innen verwendet werden, drei Versuche zur Implantation der untersuchten Embryonen sollen bezahlt werden. Die Kosten einer PID sind sehr unterschiedlich, können aber weit über 10.000 Euro liegen. Die Paare müssen für Verdienstausfälle und Reisekosten der Mitglieder der Ethikkommission aufkommen, zudem ist die künstliche Befruchtung teuer. Die Kosten für letztere werden zwar anteilig bereits jetzt von den Krankenkassen übernommen, aber nur wenn ein medizinischer Grund, eine Unfruchtbarkeit vorliegt, was bei einer PID meist nicht der Fall ist. Spahn hatte 2011 in namentlicher Abstimmung gegen das PräimpG, also gegen die Legalisierung der PID gestimmt.
Für eine Liberalisierung der Praxis streitet das Münchner Labor Synlab vor Gericht. Es will befruchtete Eizellen in bestimmten Fällen auch ohne Zustimmung der zuständigen Ethikkommission untersuchen können. Dies wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof Anfang Dezember 2018 zurück, ließ wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falles aber die Revision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zu.
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