Screening plus Pränataltest: eine „sinnvolle Ergänzung“?

UNITY™-Test erweitert vorgeburtliches Diagnostik-Angebot

„Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Schwangerschaft!“ – so umwirbt das Unternehmen Eluthia die Zielgruppe seines UNITY™-Tests. Dieser verbindet ein Screening der Schwangeren auf rezessive genetische Anlagen mit einem nicht-invasiven Pränataltest (NIPT).

Seit Oktober 2019 wird der in den USA entwickelte Test von Eluthia in Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden angeboten. Er wird von Firmengründer Enríquez Schäfer als der „erste nicht-invasive Pränataltest auf Mukoviszidose“ angepriesen. Bisher müssen Frauen1 den UNITY™-Test, der knapp 700 Euro kosten soll, noch selbst bezahlen. Eluthia hat jedoch angekündigt, bereits Mitte dieses Jahres einen Antrag auf Kostenübernahme durch die Krankenkassen zu stellen.2

Der UNITY™-Test

Der Test basiert auf einer Technologie des kalifornischen Labors BillionToOne und wird ab der elften Schwangerschaftswoche angeboten. Zunächst wird anhand einer Blutprobe untersucht, ob die Frau Anlageträgerin (oder „carrier“) für eine von fünf rezessiv vererbten genetischen Beeinträchtigungen (Mukoviszidose, Spinale Muskelatrophie/SMA, Sichelzellanämie, sowie Alpha- und Beta-Thalassämie) ist.3 Wenn der Test der Schwangeren positiv ausfällt, wird mit derselben Blutprobe ein NIPT durchgeführt, bei dem das Erbgut des Embryos auf die betreffende Beeinträchtigung untersucht wird. Dass der Test zwei Einzeltests kombiniert, verschwimmt in der Werberhetorik eines „neue[n], revolutionäre[n] Testprinzip[s]“, das verspricht, invasive durch „risikoarme“ nicht-invasive Verfahren zu ersetzen.4 Technisch neu ist nicht das vorgeschaltete Screening, sondern allein der zweite Teil des Tests, der die Analyse der fötalen DNA im Blut der Mutter erstmals auf rezessiv vererbte monogenetische Beeinträchtigungen ausweitet.

Der UNITY™-Test wird in der öffentlichen Diskussion vermutlich in erster Linie als eine der von vielen befürchteten Erweiterungen der NIPT-Technologie über die bisher im Mittelpunkt stehenden Trisomien hinaus wahrgenommen werden. Die Einbeziehung rezessiver Beeinträchtigungen in die NIPT-Technologie ist in dreifacher Hinsicht besonders problematisch: Erstens sind der Humangenetik zufolge fast alle Menschen Träger*innen einer Anlage für mindestens eine solche Erkrankung. Zweitens sind diese Beeinträchtigungen zwar für sich genommen jeweils selten, insgesamt aber sehr zahlreich (geschätzt mindestens 1.300), sodass ein hohes Potenzial für Testerweiterungen besteht. Drittens verlaufen viele dieser Beeinträchtigungen relativ mild, manifestieren sich erst im Erwachsenenalter oder sind gut behandelbar. Die gesellschaftliche Debatte wird deshalb mit einer womöglich deutlichen Ausweitung selektiver Schwangerschaftsabbrüche, unter Umständen auch aufgrund von milden Beeinträchtigungen, rechnen müssen.

Anlageträger*innen-Screening durch die „Hintertür“

Der Blick auf die Ausweitung der NIPTs sollte aber nicht übersehen lassen, dass mit dem UNITY™-Test auch die Einführung und möglicherweise Routinisierung des Anlageträger*innen-Screenings verbunden wäre – ein Testverfahren, das bisher in Deutschland (im Unterschied zu Nachbarländern wie den Niederlanden und Belgien) bisher auf wenig Resonanz und Interesse gestoßen ist. Besondere Aufmerksamkeit verdient dabei der Umstand, dass sich der UNITY™-Test in zwei zentralen Aspekten bewusst von der bisherigen medizinisch-ethischen Debatte über dieses Screening abhebt – und dass genau dies entscheidend zur Etablierung und Normalisierung von Anlageträger*innen-Tests beitragen könnte. In der seit einigen Jahren international geführten Diskussion um die „verantwortliche Implementierung“ von Anlageträger*innen-Screening in öffentliche Gesundheitssysteme wird zum einen davon ausgegangen, dass nicht nur die Frau, sondern auch der männliche Partner getestet werden muss. Denn nur wenn beide Elternteile die gleiche Anlage tragen, könnte ein Kind des Paares überhaupt die betreffende Beeinträchtigung bekommen (siehe 3). Zum anderen wird in der etablierten Debatte immer wieder betont, der „optimale“ Zeitpunkt für das Screening der Eltern bestehe vor einer Schwangerschaft, weil dann bei einem positiven Befund mehr „reproduktive Optionen“ und Präventionsmöglichkeiten (z.B. Präimplantations-Diagnostik, Samenspende) bestünden als während der Schwangerschaft.5 Wie erwähnt, wird der UNITY™-Test jedoch ausschließlich erst in der Schwangerschaft angeboten, und nur die Schwangere wird auf ihre rezessiven Anlagen getestet, nicht jedoch ihr Partner. Begründet wird Letzteres mit dem latent sexistischen Argument, häufig wisse man sowieso nicht genau, wer der biologische Vater des Kindes sei.6 Außerdem könne der nachgeschaltete „risikoarme“ NIPT in jedem Fall Klarheit verschaffen, ob der Fötus zwei rezessive Anlagen aufweise, so dass man sich den Anlageträgertest des Mannes sparen könne.

Profitmaximierung für Eluthia

Die Gründe für diese beiden Abweichungen von der medizinisch-ethischen „Logik“ des Anlageträger*innen-Screenings sind (a) ökonomischer, (b) rechtlicher und (c) marketingstrategischer Natur: (a) Ökonomisch, weil das Ziel von Eluthia darin besteht, möglichst viele der vom Lizenzgeber BillionToOne entwickelten NIPTs zu verkaufen. Diesem Interesse würde es zuwiderlaufen, wenn nach einem positiven Befund der Frau auch der Mann auf seine Anlagen getestet würde. Rezessiv vererbte Beeinträchtigungen sind in der Regel selten, deshalb würde nur in einem sehr kleinen Teil der Fälle auch der männliche Partner positiv auf die gleiche Anlage getestet werden. Da nur in diesem Fall eine Pränataldiagnostik überhaupt Sinn ergibt, würden nach einem Anlageträger*innen-Test beider Elternteile nur sehr wenige NIPT durchgeführt. Tatsächlich dient das vorgeschaltete Screening beim UNITY™-Test nicht dazu, ein „genetisches Risiko“ weitgehend auszuschließen. Es soll umgekehrt eine Art „medizinische Indikation“ konstruieren, um den Einsatz des NIPT (b) rechtlich abzusichern. Würde der NIPT direkt und anlasslos jeder Schwangeren angeboten, geriete er in den Verdacht einer rechtlich fragwürdigen genetischen Reihenuntersuchung.7 Ein positiver Befund der Schwangeren im Anlageträgerinnen-Test soll daher ein „erhöhtes Risiko“ für den Fötus begründen – obwohl die Erhöhung statistisch geringfügig ist und das Risiko durch den Test des Partners in den allermeisten Fällen gänzlich ausgeschlossen werden könnte.

Einem (c) Vermarktungskalkül folgt hingegen die Praxis, den UNITY™-Test erst ab der 11. Schwangerschaftswoche und mit derselben Blutprobe der Frau durchzuführen. Damit soll zum einen die Fiktion aufrechterhalten und verstärkt werden, es handle sich um einen Test und nicht um eine Kombination zweier unterschiedlicher Testverfahren. Zum anderen kann der UNITY™-Test dadurch an die inzwischen weitgehend etablierte NIPT-Praxis „angedockt“ werden. Er erscheint den schwangeren Frauen dann tatsächlich als ein zusätzlicher NIPT, der die bereits eingeführten Tests auf chromosomale Besonderheiten „sinnvoll ergänzt“ (so der Gründer von Eluthia).8 Suggeriert wird, wie bei allen anderen NIPT sei eine Einbeziehung des männlichen Partners nicht erforderlich. Während Versuche zur „verantwortlichen“ Einführung von Anlageträger*innen-Screening häufig an der Schwierigkeit scheitern, Paare ohne jede familiäre Krankheitsvorgeschichte schon vor einer Schwangerschaft zu einem genetischen Test zu motivieren, spricht vieles dafür, dass Eluthias Vermarktungsstrategie „Erfolg“ im Sinne der Akzeptanz und Normalisierung des UNITY™-Tests haben könnte.

Gesellschaftliche Debatte notwendig

Mit dieser Analyse wollen wir auf keinen Fall für die medizinisch und ethisch „korrekte“ Durchführung von Anlageträger*innen-Screening plädieren. Im Gegenteil: Wir wollen deutlich machen, dass der UNITY™-Test eben nicht „nur“ ein weiterer, „ergänzender“ NIPT ist, sondern zugleich die verdeckte Einführung von Anlageträger*innen-Screening mit sich bringen würde. Deshalb erfordern die Markteinführung des Tests und besonders ein möglicher Antrag auf Kassenzulassung eine grundsätzliche und breite öffentliche Debatte darüber, ob Screenings auf rezessive Anlagen als neue, zusätzliche Form genetischen Testens gesellschaftlich „sinnvoll“ und ethisch vertretbar sind. Angesichts der großen Zahl rezessiver Beeinträchtigungen wäre für die kommenden Jahre von einer beständigen Ausweitung des Testspektrums auszugehen. Die nicht unwesentliche Frage, auf welche und wie viele Beeinträchtigungen getestet wird, bliebe dabei faktisch den Vermarktungsstrategien und technischen Fähigkeiten der anbietenden Firmen überlassen. Berücksichtigt werden muss auch, dass eine positive Entscheidung über die Kostenerstattung für den UNITY™-Test einen Präzedenzfall darstellen würde. Kritik an der absehbaren Aufnahme weiterer rezessiver Beeinträchtigungen in kombinierte Tests aus Screening und NIPT würde dadurch massiv erschwert.

  • 1Der UNITY™-Test richtet sich gezielt an Cis-Frauen, also an Personen, denen bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugeordnet wurde und die sich mit diesem identifizieren. Die gesamte Debatte folgt einem binären Verständnis von Geschlecht und schließt Geschlechter und Geschlechtsidentitäten jenseits von männlich und weiblich aus.
  • 2Enríquez Schäfer, R. (2019): Risikoarm diagnostizieren (Interview). In: Laborwelt Diagnostik, transkript H. 4, 201957, S. 64. Online: www.kurzelinks.de/gid254-tm [letzter Zugriff: 09.07.2020].
  • 3Bei rezessiver Vererbung entwickelt ein Kind nur dann Symptome, wenn es von beiden Elternteilen die gleiche genetische Anlage erbt.
  • 4Enríquez Schäfer, R. (2019): Risikoarm diagnostizieren, S. 62.
  • 5Vgl. Wehling, P. et al. (2020): Von reproduktiver Autonomie zur Präventionspflicht. Bioethische Legitimationen des Anlageträger*innen-Screenings. In: GID, Nr. 252, S. 32 ff.
  • 6So Enríquez Schäfer in einem Video: www.kurzelinks.de/gid254-tn [letzter Zugriff: 09.07.2020].
  • 7Mukoviszidose e.V. (2017), Position des Mukoviszidose e.V. zu Nicht-invasiven Pränatal-Diagnostik (NIPD). Online: www.kurzelinks.de/gid254-to [letzter Zugriff: 09.07.2020].
  • 8Enríquez Schäfer, R. (2019): Risikoarm diagnostizieren, S. 63.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
254
vom August 2020
Seite 34 - 35

Beatrice Perera hat im April 2020 am Institut für Soziologie der Goethe-Universität Frankfurt ein Forschungsprojekt über Anlageträger*innen-Screening abgeschlossen.

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Peter Wehling hat im April 2020 am Institut für Soziologie der Goethe-Universität Frankfurt ein Forschungsprojekt über Anlageträger*innen-Screening abgeschlossen.

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