Selektive assistierte Reproduktion

Artikelreihe Teil 2: Genetische Träger*innentests im Rahmen der „Eizellspende“ in Spanien

Die Anwendung von genetischen Träger*innentests ist in den Verfahren der assistierten Reproduktion in Spanien mittlerweile an der Tagesordnung. Gerade im Zusammenhang mit der „Eizellspende“ zeigen sich jedoch die Tücken dieser Gentests.

Tamara Sánchez Pérez

Punktion (Eizellenentnahme) einer „Eizellspenderin“ in einer Klinik in Valencia. Foto: © Tamara Sánchez Pérez

Spanien führt europaweit nicht nur die meisten Zyklen assistierter Reproduktion sowie die meisten „Eizellspenden“ durch, sondern ist auch bei den reprogenetischen Verfahren, also den genetischen Diagnose- und Screeningverfahren im Rahmen von künstlicher Befruchtung (In-vitro-Fertilisation, IVF), führend. Dabei ist die Präimplantationsdiagnostik die wohl bekannteste Technologie, welche immer wieder kontrovers diskutiert wird. In meiner Arbeit stand aber eine andere, noch früher angesetzte genetische Technik im Fokus, welche im Zuge der Reprogenetisierung der spanischen Reproduktionsmedizin immer wichtiger wird: die sogenannten ‚pre-conception’ (prä-konzeptionellen) oder genetischen Träger*innentests. Wenn im Folgenden von Träger*innentests die Rede ist, sind damit die Bluttests gemeint, mit denen bestimmte genetische Marker auf vererbbare Krankheiten untersucht werden. Die bekanntesten der heute so getesteten Krankheiten sind Thalässemie, Sichelzellenanämie, Hämophilie, Mukoviszidose, Tay Sachs, Huntington oder fragiles X Syndrom. Die Liste der Krankheiten ändert sich jedoch ständig und wird tendenziell immer weiter ausgeweitet. Grund dafür ist auch der technische „Fortschritt“: Seit 2010 werden Hunderte von Genen simultan über sogenannte „universal carrier testings“ (universelle Träger*innentests) analysiert. Die damit verbundene Senkung des Preises hat zu einer Normalisierung von genetischen Träger*innentests geführt, wie ein Klinikleiter aus Valencia erläutert:

„Es gibt einen richtigen Boom im Bereich der genetischen Tests. Nach nur zwei Jahren kostet das genetische Matching statt 1.300 Euro nur noch 450 Euro. Und mit dieser Tendenz hoffe ich doch, dass nachdem schon alle Spenderinnen einen genetischen Trägertest machen, bald alle auch das genetische Matching machen werden“ (Tagebuchnotiz, Héctor, Klinikleiter, Valencia, 12.02.2018).

Ganz grundsätzlich erfolgt damit die Selektion von erwünschten bzw. unerwünschten Körpern noch früher: Nicht mehr beim Embryo wird selektioniert, sondern bereits vor der Zeugung.

Was die genetischen Tests grundsätzlich versprechen ist „reproduktive Autonomie“. So meint etwa eine Klinikmanagerin aus Alicante: „Es gibt den Paaren natürlich eine riesige Ruhe und Gelassenheit zu wissen, dass ihr Kind, zumindest zur Hälfte, die 600 häufigsten Genkrankheiten nicht haben wird“ (Rosa, Klinikmanagerin, Alicante, 31.03.2017). Diese vermeintliche Autonomie hat aber auch ihre Kehrseite. Wie das etwa bereits für Pränataldiagnostik1 oder Präimplantationsdiagnostik2 gezeigt wurde, bringt auch der genetische Träger*innentest nicht nur Sicherheiten, sondern für alle Beteiligten auch neue Unsicherheiten mit sich.

Ein Gerichtsfall als Katalysator

In Spanien lässt sich die breite Anwendung von genetischen Träger*innentests unter anderem auf ein juristisches Urteil von 2017 zurückführen. Damals wurde das größte Klinikkonsortium IVI von einem Paar verklagt, welches über eine „Eizellspende“ Eltern von einem Kind mit Hämophilie wurde. Der Vorwurf: Die Klinik habe ihre Möglichkeiten zur Selektion der „Spender*in“ nicht genügend ausgeschöpft. IVI wurde schließlich zu einer Summe von 300.000 Euro Schadensersatz verklagt. 2020 hat die Gesellschaft für Reproduktionsmedizin dann ein Dokument in Bezug auf die genetischen Träger*innentests mit Drittparteien veröffentlicht, in welchem die breite Anwendung an „Spender*innen“ klar empfohlen wird.3 In der Praxis ist das genetische Matching in den meisten Kliniken noch optional, die genetischen Träger*innentests hingegen werden bei Eizellspender*innen heute routinemäßig angewandt.

Fehlende genetische Beratung und verordnete Selbstbestimmung

In Bezug auf die „Spender*innen“ birgt der Träger*innentest verschiedene Problematiken. So etwa die Mitteilung der Resultate. Diese wird ganz verschieden gehandhabt: einige Kliniken informieren die „Spender*innen“ nicht über die Resultate, andere schon. Was jedoch meist gänzlich fehlt, obwohl dies gesetzlich so verlangt wäre, ist eine genetische Beratung. Dies führt dann zu gar absurden Situationen, wie eine von mir interviewte Genetikerin anschaulich berichtete:

„Es gibt so viel Desinformation über den genetischen Test. Es gibt Spenderinnen, die denken, dass sie eine sexuell übertragbare Krankheit haben. [...] Dann rufen die an und die Klinik verweist die zu uns, und dann fragen die Dinge, bei welchen ich einfach sagen muss: ‚Die Person hat keine Ahnung, was sie für einen Test gemacht hat. Die weiß nichts’. Die haben mich beispielsweise gefragt: ‚Ich hab gesehen, dass ich diese oder jene Variante habe und ich hatte nun Sex mit meinem Freund. Kann es sein, dass ich das weitergegeben habe?’ Diese Art von Fragen. Und dann sag ich: ‚Haben die dich überhaupt informiert, was die getestet haben?’ Und die sagen dann: ‚Ja, ein Trägertest, klar. Und weil ich Trägerin davon bin, möchte ich wissen, ob ich das weitergeben kann...’ Und das ist einfach unglaublich... oder eine andere Patientin, die fragte: ‚Die haben mir Blut abgenommen an dem Tag und ich hab aber vorher gefrühstückt – ich hab total vergessen mit leerem Magen dahin zu gehen. Hat das einen Einfluss?’ und so Dinge halt.“ (Cecilia, Genetikerin, Valencia, 20.11.2018).

In meiner Forschung erzählten mir jedoch auch viele „Spender*innen“, dass sie nicht über den Test informiert wurden. So meinte etwa eine „Spender*in“ auf die Frage, ob sie den genetischen Träger*innentest bereits gemacht habe:

„Ein Gentest? Sie haben mir nur Blut abgenommen. Um zu schauen, ob ich gesund bin, ob ich keine Krankheit habe. (...) (überlegt) Zwar, beim ersten Mal haben sie mir total viel Blut abgenommen und ich habe mich damals noch gefragt: So viel Blut, wofür wohl? Das war wohl für diesen Gentest.“ (Tagebuchnotiz, Valencia, 09.11.2018).

Ganz ohne Wissen der „Spender*innen“ kann der Test jedoch eigentlich nicht durchgeführt werden, denn diese müssen einen „Informed Consent“ (Informiertes Einverständnis) unterschreiben. Der Blick auf die Rahmenbedingungen, unter denen diese Dokumente unterschrieben werden, zeigt jedoch, dass diese kaum eine echte Wahl haben, sich gegen den Test zu entscheiden. Die Abläufe in den Gesprächen waren klar durchstrukturiert und erforderten das rasche Unterschreiben der Dokumente. In den zehn Monaten meiner Feldforschung konnte sich kaum je eine Spender*in die Zeit nehmen das Einverständnis vor dem Unterzeichnen durchzulesen. Zudem begeben sich die „Spender*innen“ ja gerade in die Reproduktionsklinik um ihre Eizellen zu „spenden“. Der genetische Trägertest ist dabei der Weg zum Ziel. Obwohl in Spanien gesetzlich festgelegt ist, dass ein genetischer Test freiwillig bleiben muss4, ist das im Falle der aktuellen Praxis der „Eizellspende“ eine Farce. So können die „Eizellspender*innen“ in Spanien den Test zwar ablehnen, werden dann aber nicht ins Spendeprogramm aufgenommen. „Spender*innen“ müssen also per Informed Consent ihr „freiwilliges“ Einverständnis dazu geben, den Gentest durchzuführen. Wer nicht unterschreibt, darf nicht spenden.

Der genetische Träger*innentest als Markt

In Bezug auf die „Eizellspende“ ist neben dieser ethischen Problematik in der Anwendung aber auch noch eine zusätzliche, ökonomische Dimension, nicht zu vernachlässigen. Während „Eizellspender*innen“ bisher primär über ihre Keimzellen in eine transnationale Bioökonomie eingebunden waren, werden sie über die genetischen Träger*innentests auch zu „Spender*innen“ epidemiologischer Daten und sind damit nicht nur relevant für die Reproduktionsmedizin, sondern werden auch zu zentralen Akteur*innen für die Reprogenetik. Denn die privaten Genetikunternehmen verfügen durch die Daten der „Spender*innen“ über eine stetig wachsende Datenbank, welche epidemiologisches Wissen enthält. Dies erklärte mir ein Genetiker folgendermaßen:

„Früher dachte man von gewissen Krankheiten, dass sie sehr selten sind – heute mit diesen genetischen Trägertests stellen wir fest, dass die viel häufiger sind als wir gedacht haben. [...] Weil vorher hat man diese Trägerstudien ja primär mit Neugeborenen gemacht. Wenn man ein Baby hatte, das krank geboren wurde, hat man das registriert und dann wusste man, die Mutter oder der Vater war Träger, und so hat man dann eine Schätzung gemacht. Heute haben wir exakte Daten. Heute wissen wir, wie viele Personen – Männer oder Frauen – wirklich Träger einer bestimmten Mutation sind. Das ist sehr wichtig. Aus einer epidemiologischen Perspektive ist das ‚brutal‘, weil du ja besser weißt, wie viele Krankheiten es gibt und dann dem nachgehen kannst, warum einige Symptome entwickeln und andere nicht. [...] Es ist das erste Mal in der Geschichte der Menschheit, dass wir an diese Daten der Personen kommen, bevor sich diese reproduzieren. Das ist eine Innovation, das hat es noch nie gegeben. (Juan, Genetiker, Valencia, 14.11.2018)

„Spender*innen“ sind in diesem Kontext also nicht ‚nur’ Lieferant*innen von Keimzellen – sondern auch von wertvollen epidemiologischen Daten. Es wäre weiter zu erforschen, in welche neuen Verwertungslogiken diese Daten gespeist werden.

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass der flächendeckende Einsatz genetischer Träger*innentests aufzeigt, wie sich in der Praxis der „Eizellspende“ die assistierte und selektive Reproduktion vermischen. Träger*innentests sind damit ein Anzeichen für die Normalisierung von Technik wie auch für eine zunehmende Technisierung in der Normierung von Körpern. Gerade im Kontext assistierter Reproduktion mit Drittparteien werden die hiermit einhergehenden komplexen ethischen und gesellschaftlichen Fragen deutlich.

  • 1Vgl. Samerski, Silja (2002): Die verrechnete Hoffnung: Von der selbstbestimmten Entscheidung durch genetische Beratung. Münster: Westfälisches Dampfboot. Und: Rapp, Rayna (2000): Testing Women, Testing the Fetus: The Social Impact of Amniocentesis in America. New York: Routledge.
  • 2Vgl. Franklin, Sarah (2006): Born and Made: An Ethnography of Preimplantation Genetic Diagnosis. Princeton: Princeton University Press.
  • 3Die Auswahl der getesteten Varianten ist sehr variabel und ändert sich ständig, da die Panels jeweils den aktuellen Forschungsstandards angepasst werden. Neue Erkenntnisse können aufzeigen, dass eine Variante, bei der man vorher dachte, dass sie pathogen ist, doch wieder rausfällt oder neue Varianten hinzukommen.
  • 4Der entsprechende spanische Gesetzestext kann online eingesehen werden: www.kurzelinks.de/gid259-ta [letzter Zugriff: 04.10.2021].
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
259
vom November 2021
Seite 34 - 36

Laura Perler ist Sozialanthropologin und hat sich in ihrer Dissertation an der Universität St. Gallen mit dem spanischen Reproduktionsmarkt beschäftigt.

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Zur Autorin der Artikelreihe

Portrait Laura Perler

Laura Perler ist Sozialanthropologin und hat sich in ihrer Dissertation an der Universität St. Gallen mit dem spanischen Reproduktionsmarkt beschäftigt. In ihrem Postdoc-Projekt geht es um reproduktive Biografien von Frauen im schweizerischen Asylkontext. Zudem beschäftigt sie sich weiterhin mit ihrem Dissertationsthema: Aus einer Zusammenarbeit mit der valencianischen Fotografin Tamara Pérez Sánchez ist eine Fotoausstellung entstanden, welche in den nächsten Jahren in der Schweiz, in Deutschland und in Spanien gezeigt werden soll. Zudem arbeitet sie an der Veröffentlichung ihrer Dissertation als Buch, welches im April 2022 bei Edition Assemblage erscheinen wird.

In drei GID-Ausgaben gibt Laura Perler einen Einblick in ihre Dissertation. Im aktuellen Artikel wird die Bedeutung der Reprogenetik und im Speziellen die genetischen Träger*innentests behandelt. Im letzten Artikel (Teil 1) ging es um den ökonomisierten Kontext der „Eizellspende“ in Spanien und im nächsten Artikel (Teil 3) werden die Biografien der „Eizellspenderinnen“ im Fokus stehen.

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