Präimplantationsdiagnostik ist keine Vorsorge sondern Selektion!

Berlin, 07. Juli 2010. Anlässlich des Grundsatzurteils des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGH) am 6. Juli zur angeblichen Straffreiheit der Präimplantationsdiagnostik (PID) erklärt das Gen-ethische Netzwerk in Berlin:

PID ist eine Technologie zur gezielten Unterscheidung von „wertem“ und „unwertem“ Leben. Als solche ist sie nicht neutral, sondern bedeutet für alle Kranken, Behinderten oder nicht der gesellschaftlichen Leistungsnorm entsprechenden Menschen eine indirekte Infragestellung ihrer „Existenzberechtigung“. Die Anwendung der PID ist keine Vorsorge, sondern Selektion! Das Gen-ethische Netzwerk schließt sich damit den kritischen Stellungnahmen der Behindertenverbände an und kritisiert das Grundsatzurteil des BGH als sozial unsensible Liberalisierung, die nicht der Emanzipation von Frauen dient, sondern in der erster Linie die genetische Diskriminierung befördert. Susanne Schultz vom Gen-ethischen Netzwerk e.V. erklärt: „Dass das Embryonenschutzgesetz die PID verbietet, galt in den letzten zwanzig Jahren juristisch als Konsens. Mit dem Urteil des BGH wird nun völlig unverständlich eine Neuinterpretation eines aus unserer Sicht eindeutigen Gesetzes vorgenommen.“
Ebenso selektiv wird sowohl im Urteil als auch in der darauf folgenden Medienberichterstattung immer wieder eine Parallele zwischen Pränataldiagnostik (PND) und PID gezogen. Es wird argumentiert, die PID könnte Frauen einen Schwangerschaftsabbruch nach einem beunruhigen Untersuchungsergebnis mittels PND ersparen. Dabei wird erstens verkannt, dass auch die Anwendung der PID keine gesunden Kinder garantieren kann. Und zweitens wird die Logik der Selektion auch hier stillschweigend als legitim vorausgesetzt. Die Perfidität dieser Argumentation liegt darin, dass die schleichende Ausweitung pränataldiagnostischer Untersuchungen in der Schwangerschaft stets mit dem Vorsorgeprinzip und mit Freiheits- und Selbstbestimmungsrechten der Frauen gerechtfertigt wird. Diese Argumente sind falsch bzw. führen an der Realität vorbei; denn 1. ist Selektion keine Prävention und 2. schafft PID keine Freiheit, sondern erzeugt einen neuen Bedarf nach Selektion.
Eine Diskussion über den Beginn des Lebens führt in diesem Zusammenhang in die Sackgasse. Das Gen-ethische Netzwerk wendet sich seit über zwanzig Jahren gegen Gentechnik und die zunehmende Biologisierung von Krankheits- und Verhaltensmodellen. Die Reduktion von ethisch relevanten Fragen auf biologische Fragen über den Beginn des Lebens entpolitisiert grundsätzliche Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens.
Monika Feuerlein vom Gen-ethischen Netzwerk: „Wenn wir uns hinsichtlich ethischer Grundsatzentscheidungen von vermeintlichen biologischen „Fakten“ abhängig machen, drohen die Prinzipien des Zusammenlebens mit jeder neuen technologischen Machbarkeit oder „Erkenntnis“ neu infrage gestellt zu werden. Fragen nach dem gesellschaftlichen Umgang mit Krankheit sollten aber mittels öffentlicher Debatten über angemessene Lebensbedingungen und nicht im Labor entschieden werden.‟

9. Juli 2010