Eugenik war keine „Pseudowissenschaft“

(Juli 2008) Das Gen-ethische Netzwerk e.V. Berlin kritisiert die Erklärung der Deutschen Humangenetiker anlässlich des 75. Jahrestages der Verkündung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ als historisch unausgegoren und kurzsichtig.

Anlässlich des 75. Jahrestages der Verkündung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ hat heute die Deutsche Gesellschaft für Humangenetik (GfH) eine Erklärung zur Eugenik abgegeben. Der Erklärung angeschlossen hat sich die Deutsche Gesellschaft für Genetik. Das Gen-ethische Netzwerk e.V. Berlin (GeN) begrüßt das klare und in dieser Form überfällige Bekenntnis der GfH zu ihrer historischen Verantwortung und zur Verpflichtung, „für den Respekt vor allen Menschen in ihrer natürlichen genetischen Verschiedenheit einzutreten“. http://www.gfhev.de/
Das GeN kritisiert jedoch scharf die Sprachpolitik der GfH als Ausdruck fortbestehender Uneinsichtigkeit in die bestehende Kontinuität. Die deutschen Humangenetiker schließen an die seit Ende des Nationalsozialismus verfolgte exkulpatorische Sprachpolitik an, wenn sie das Sterilisationsgesetz und die im Nationalsozialismus verfolgte Erbgesundheitspolitik als „pseudowissenschaftlichen“ Auswuchs und Missbrauch der Genetik und Humangenetik bezeichnen. „Die Humangenetiker zeigen sich damit trotz ihres begrüßenswerten Bekenntnisses in wesentlichen Punkten immun gegenüber den historischen Lehren“, erklärt Uta Wagenmann vom GeN. Nicht das „Versagen von Wissenschaftlern“ (GfH) hat die Eugenik und Erbgesundheitspolitik im Nationalsozialismus (NS) möglich gemacht, sondern, im Gegenteil, die reibungslose Zusammenarbeit von - international anerkannten - Humangenetikern in Deutschland und der NS-Gesundheitspolitik. Die Voraussetzung für diese Kooperation zwischen Wissenschaft und Politik bildete eine hochentwickelte genetische Wissenschaft, ein biologistisch bestimmtes Weltbild und ein gesellschaftliches Einverständnis über den „Lebensunwert“ bestimmter Bevölkerungsgruppen. Das ist das Fazit, das die Historikerkommission zur Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus nach mehrjähriger Arbeit gezogen hat. (Siehe dazu auch: http://www.mpiwg-berlin.mpg.de/KWG)
„Die Sprachpolitik der GfH verschleiert, dass die Humangenetik nicht nur vor 75 Jahren, sondern auch heute noch Wissen und Techniken für die Selektion behinderter und nicht als „normal“ bewerteter Menschen bereit stellt und darin eine ihrer wesentlichen Legitimationen als wissenschaftliche Disziplin findet“, so der Wissenschaftsforscher und Vorstand des GeN, Dr. Alexander v. Schwerin. „Auch wenn die Eugenik nicht mehr im Gewand eines dirigistischen Eugenikprogramms daherkommt, ist die heutige Humangenetik und Genomforschung doch Teil einer gesellschaftlichen Tendenz, „überflüssige“ und nicht voll leistungsfähige Menschen auszugrenzen. Am effektivsten erweist sich der Beitrag der Humangenetik in der Schwangeren-Pränataldiagnostik, die auf den Selektionspraktiken der Humangenetik gründet.“
Das GeN protestiert deshalb heute gegen den Versuch der GfH, diesen gesellschaftlichen Zusammenhang ihrer Wissenschaft und des humangenetischen Wissens zu leugnen.
Rückfragen an: Alexander Schwerin, Vorstand des Gen-ethischen Netzwerks Tel.: 0049 176 248 04 269
Siehe auch den Artikel „Ist Genetik eine Pseudowissenschaft?“ von Alexander Schwerin im GID 189, August 2008.

14. Juli 2008

Der International Congress for Genetics wird alle fünf Jahre abgehalten. In Deutschland wurde er das letzte Mal 1927 ebenfalls in Berlin unter der Präsidentschaft des Pflanzengenetikers und Eugenikers Erwin Baur abgehalten.

Seit vielen Jahren begleitet das Gen-ethische Netzwerk e.V. (GeN) kritisch humangenetische Forschung, humangenetische Wissensverbreitung und humangenetische Diagnostik – und kritisiert ihre Auswirkungen auf heutige Vorstellungen von Krankheit, Behinderung oder von Verhaltensmustern, die als abweichend gelten.