Vererbbare genetische Veränderungen am Menschen
Kritisches Grundsatzpapier veröffentlicht
(Berlin, 17. Juni 2024) Eine internationale Koalition aus Wissenschaftler*innen und Vertreter*innen der Zivilgesellschaft stellt zukunftsweisende Grundsätze für die Debatte um Keimbahneingriffe beim Menschen vor. Dabei im Fokus: soziale Gerechtigkeit.
Mitgliedsorganisationen der Gender Justice and Disability Rights Coalition
Das Grundsatzpapier der „Gender Justice and Disability Rights Coalition on Heritable Genome Editing“ thematisiert erstmalig die immensen Risiken vererbbarer Eingriffe in die menschliche Keimbahn – also die Veränderung der DNA von Embryonen oder Keimzellen, um sogenannte Designerbabys zu erzeugen. Es beleuchtet die Technologie auch aus feministischer und anti-eugenischer Perspektive.
Vor fünf Jahren „erschuf“ ein Wissenschaftler die ersten CRISPR-Babys. Obwohl sein gefährliches Experiment weltweit verurteilt wurde, drängt ein kleiner Kreis von führenden Wissenschaftler*innen weiterhin darauf, vererbbares Genome Editing zu erforschen und in klinischen Studien zu testen – auch in Deutschland. Es ist daher wichtig, jetzt zu entscheiden, ob eine Weiterentwicklung dieser Technologie für die Menschheit von Nutzen ist oder ihr womöglich schadet.
Viele hochrangige Institutionen haben bereits Grundsatzpiere und Empfehlungen veröffentlicht. Darin steht jedoch meist die technische Sicherheit im Vordergrund, während das große Risiko für die Gesellschaft, etwa durch verstärkte Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen und anderen Minderheitsmerkmalen, vernachlässigt wird. Auch die ungleiche Verteilung des Risikos von klinischen Studien wird selten thematisiert, das speziell Frauen und schwangere Personen sowie die so erschaffenen Kinder und deren Nachkommen tragen würden.
In dem neuen Papier definieren die 16 Autor*innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft daher die Voraussetzungen für eine gerechte und inklusive Gesellschaft. „Auf dieser Basis kommen wir zu dem Schluss, dass Keimbahneingriffe sich nicht mit feministischen, anti-eugenischen und menschenrechtlichen Grundsätzen in Einklang bringen lassen“, resümiert Dr. Isabelle Bartram vom Gen-ethischen Netzwerk in Berlin, das sich an der internationalen Koalition beteiligt.
Mehr als 70 Einzelpersonen und Organisationen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft unterstützen das Grundsatzpapier. Es ist auf Deutsch, Englisch und Spanisch verfügbar und liefert wichtige Impulse für die gesellschaftspolitische Debatte um Genome Editing am Menschen. „In Deutschland sind vererbbare Eingriffe in die menschliche Keimbahn durch das Embryonenschutzgesetz zwar noch verboten, aber am Reproduktionstourismus sehen wir bereits, dass eine internationale Regulierung von kontroversen Technologien wie dem Eizelltransfer und der Leihschwangerschaft notwendig ist, um unethische Praktiken in Ländern mit lockeren Regelungen zu verhindern“, so Bartram.
„Wir möchten, dass die politischen Entscheidungsträger*innen und die Öffentlichkeit wissen, dass vererbbares Genome Editing kein Nischenthema ist, sondern viel für die Gesellschaft auf dem Spiel steht“, so Bartram. Die Berücksichtigung der gesellschaftlichen Auswirkungen sei genauso wichtig wie die Diskussion über Sicherheit oder Ethik.
Über das Gen-ethische Netzwerk
Das Gen-ethische Netzwerk e.V. ist ein spendenfinanzierter Verein, der Wissen zu Bio-, Gen- und Fortpflanzungstechnologien für die interessierte Öffentlichkeit aufbereitet. In Zusammenarbeit mit feministischen und ökologischen Bewegungen ermöglicht er differenzierte Debatten, die die gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Technologien ins Zentrum stellen.
Gen-ethisches Netzwerk e.V.
Kontakt
Dr. Isabelle Bartram
Tel. 030-685 7073
Isabelle.bartram@gen-ethisches-netzwerk.de