Wo stehen wir wirklich?
Reproduktionstechnologien zwischen Realität und Science-Fiction
Filme prophezeien uns die Auslagerung von Reproduktion aus dem menschlichen Körper – mithilfe von künstlichen Uteri. Gleichzeitig ist diese Auslagerung in vielen Ländern bereits Realität – durch die Arbeit von Leihschwangeren. Auch in Deutschland wird eine Legalisierung von Eizelltransfer und Leihschwangerschaft erwägt. Zeit für eine Bestandsaufnahme.
Findet die menschliche Fortpflanzung bald vollständig in einem Labor wie diesem statt? Foto: Technology Stock photos by Vecteezy
Dem Thema Reproduktionstechnologien wird sich zumeist mithilfe der Naturwissenschaften und der Medizin genähert: Was ist technisch möglich? Welche Lösungen für gesundheitliche Probleme können Reproduktionstechnologien bieten? Und welche Risiken bergen sie? Die Sozialwissenschaften liefern uns wiederum Antworten darauf, welche gesellschaftlichen Folgen der Einsatz dieser Technologien haben kann, wie akzeptiert sie sind und wer sie nutzen kann.
Wo wir in Deutschland aktuell rechtlich und politisch stehen, wenn es um assistierte Reproduktion in Form von Eizelltransfer und Leihschwangerschaft geht, nimmt Amina Nolte in ihrem Artikel zu den Ergebnissen der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission zu reproduktiver Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin in den Blick. Der Bericht liegt seit April vor, mit teils klaren Empfehlungen und Handlungsaufträgen an die Politik, zumindest im Bereich Schwangerschaftsabbrüche. Viel passiert ist seitdem jedoch nicht.
Der Schwerpunkt dieser Ausgabe nimmt eine weitere Perspektive hinzu: Science-Fiction. Das mag zunächst weit hergeholt klingen, ist aber eigentlich naheliegend. So definierte der bekannte US-amerikanische Biochemiker und Autor Isaac Asimov Science-Fiction als „den Zweig der Literatur, der sich mit den Reaktionen der Menschen auf Veränderungen in Wissenschaft und Technologie beschäftigt“.1
Der Blick ist also weiter als die reine Frage nach dem technisch Möglichen. Im Englischen spricht man auch von „speculative fiction“ – und das ist letztendlich genau das, was passiert: Die Bücher sind Gedankenspiele, wie Menschen mit einer neuen Technologie umgehen würden. Macht sie den*die Einzelne*n korrumpierbar? Vermag sie es, unsere Gesellschaftsordnung von Grund auf zu verändern? Wer würde diese Technologie besitzen? Sie für oder gegen andere einsetzen? Diese literarischen Fantasien funktionieren aber nur, weil sie an etwas Reales anknüpfen: an tatsächliche Entwicklungen, historische Begebenheiten, aber vor allem auch an etwas, das viele Leute anspricht und emotional abholt, nämlich kollektive Ängste und Hoffnungen.
Das zeigt sich zum Beispiel an den vielen Publikationen, die sich während des Kalten Krieges mit der Möglichkeit eines Atomschlags und dem gesellschaftlichen Danach befassten oder am Erfolg von Gudrun Pausewangs Jugendroman „Die Wolke“ nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, der inzwischen von Generationen von Schüler*innen gelesen wurde und durchaus einen Einfluss auf die Einstellungen der Bevölkerung zur Atomkraft gehabt haben dürfte. Dafür spricht auch, dass das Buch nach dem Unfall im japanischen Fukushima 2011 erneut in die Bestsellerlisten schoss.2 Literatur vermag also beides: abbilden, wie die Menschen zu einer gegebenen Zeit über eine bestimmte Technologie denken, aber auch unsere Meinung beeinflussen.
Imaginationen von Reproduktion
Reproduktion ist ein wiederkehrendes und oft zentrales Motiv in Science-Fiction-Werken, sowohl in Büchern als auch Filmen. Dies mag auch daran liegen, dass es um eine Vorstellung der Zukunft der Menschheit geht, ob diese nun utopisch oder dystopisch ist. Und daran, dass Fortpflanzung zentral für diese Zukunft ist. Mal dient Reproduktion – bzw. deren Abwesenheit – als Ausgangspunkt einer dystopischen Erzählung, etwa durch eine globale Unfruchtbarkeit, z. B. im Roman „The Children of Men“ von P. D. James. In anderen Büchern ist sie Austragungsort von Macht, etwa wenn Reproduktion komplett fremdbestimmt und Teil eines unterdrückerischen Regimes ist, wie in Margaret Atwoods „Report der Magd“. Und wieder andere Autor*innen entwerfen feministische Utopien, in denen Frauen die vollständige Kontrolle über ihre Reproduktion haben, diese aus ihrem Körper auslagern oder zumindest ohne weitere Parteien gestalten können. Wo eigentlich die Grenze zwischen Utopie und Dystopie liegt, welche Rückgriffe auf historische Unterdrückungsgeschichten sich in spekulativer Literatur finden und was Romane uns über Reproduktion verraten können, auch was die Sozialwissenschaften nicht zu greifen vermögen, darum geht es im Interview mit der Literaturwissenschaftlerin Alys E. Weinbaum (S. 11 in diesem Heft).
Mit „Baby to Go“ kam im Frühjahr 2024 ein Film in die Kinos, der ein Zukunftsszenario entwarf, in dem Schwangerschaft mithilfe von In-vitro-Fertilisation und künstlichen Uteri in Form von Hightech-Plastikeiern stattfindet – zumindest für jene, die es sich leisten können. Jonte Lindemann geht der Frage nach, wie weit fortgeschritten die Forschung an künstlichen Uteri tatsächlich ist und ob diese ein emanzipatorisches Potenzial bergen.
Dystopisches Begehren: Reproduktionspolitiken von Rechts
Nicht alle Fantasien vom Einsatz von Reproduktionstechnologien sind progressiv, so haben auch rechte AkteurInnen3 ihre ganz eigenen Vorstellungen davon, wie Reproduktion aussehen und vor allem wie der Staat diese steuern sollte. Historisch gab es eine Umsetzung dieser gewaltvollen Ideologien durch Bevölkerungskontrolle beispielsweise während des deutschen Kolonialismus, z. B. durch den Erlass sogenannter Mischehenverbote. Die Vorstellung eines angeblich reinen deutschen Volkskörpers setzte sich in den nationalsozialistischen „Rassegesetzen“ und dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ fort. Dieses behindertenfeindliche, antisemitische und rassistische Denken endete allerdings nicht mit der Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg. So erklärte die Bundesrepublik Deutschland die Urteile der „Erbgesundheitsgerichte“ erst Ende der 1980er Jahre zu NS-Unrecht.4
Dass sich rassistische Vorstellungen davon, wer in unserer Gesellschaft Kinder bekommen sollte und wer nicht, auch nach der Wiedervereinigung hartnäckig hielten, zeigte sich spätestens 2010 mit der Veröffentlichung und dem Erfolg von Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“. Versuche, die reproduktiven Rechte von Frauen und trans Personen einzuschränken, sind auch heute noch Bestandteil eines Antifeminismus, der als inhaltliche Klammer von konservativen AkteurInnen bis hin zur extremen Rechten fungiert. Gemein ist ihnen die Angst vor der Erosion der tradierten Geschlechterordnung sowie ein rassistisch und antisemitisch geprägter Nationenbegriff. Wie rechte AkteurInnen sich zu aktuell diskutierten Technologien wie dem fremdnützigen Eizelltransfer positionieren und wie sie diese mit ihrer menschenverachtenden Ideologie verknüpfen, damit beschäftigt sich Anna Beckmann im Artikel „Rechte Fantasien“.
Zwischen Kritik und Utopie
Auch während der Arbeit der Kommission zu reproduktiver Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin und nach Veröffentlichung des Berichts haben rechte AkteurInnen versucht, das Thema für sich zu vereinnahmen. Neben ihrer Ablehnung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch machten sie aber vor allem die Debatte um Eizelltransfer und Leihschwangerschaft zu einem Schauplatz queerfeindlicher Hetze. Schwule Männer, so das gängige Narrativ, könnten sich im Ausland einfach ein Baby kaufen. Rechte propagieren hingegen ein heterosexuelles Familienbild, alle anderen Konstellationen sehen sie als unnatürlich und schädlich an. Eine Petition auf der rechten Plattform CitizenGo, die dem Netzwerk rund um die queerfeindliche „Demo für Alle“ nahesteht, rückt schwule Männer, die Leihschwangerschaften in Anspruch nehmen, in die Nähe von Pädosexualität.5
Eine fundierte Kritik am Einsatz von Reproduktionstechnologien darf sich nicht gemein machen mit rechten Forderungen. Sie muss die medizinischen Risiken in den Blick nehmen und die ökonomischen Abhängigkeiten betrachten. Die intersektional-feministische Perspektive des GeN bildet einen guten Ausgangspunkt für diese Fragen, die trotz des rasanten technischen Fortschritts im Kern die gleichen bleiben – etwa die nach dem Umgang mit den Möglichkeiten genetischer Selektion und ihren behindertenfeindlichen Implikationen.
Es ist hilfreich, neben all der Kritik auch die Utopie in den Blick zu nehmen. Hierbei kann Science-Fiction durchaus einen wertvollen Zugang bieten. Denn den rechten Vereinnahmungsversuchen der Kritik an Reproduktionstechnologien verwehren wir uns am besten, indem wir positiv darüber nachdenken, wie vielfältige Modelle des Zusammen- und Familienlebens aussehen, gestaltet und anerkannt werden können.
Und auch ein Blick auf das in naher Zukunft technisch Mögliche in einem erdachten Universum mit einer anderen Gesellschaftsform kann unsere Perspektive auf das Hier und Jetzt schärfen: Nicht jede Kritik hängt an der Technologie selbst, sondern an unserem Umgang mit ihr und der Art und Weise, wie sie sich in unsere gesellschaftlichen und vor allem auch wirtschaftlichen Logiken einfügt. Eine Schwangerschaft im Plastikei, bezuschusst vom Arbeitgeber und geleast von einer Firma, die den Geburtstermin bestimmt, weil ihr der künstliche Uterus gehört? Dystopisch. Die gleiche Technologie ohne kapitalistische Zwänge? Wer weiß.
- 1Asimov, A. (1975): How Easy to See the Future, In: Natural History, April 1975.
- 2Hardach, M. (03.11.2022): The Cloud: The dystopian book that changed Germany. Online: bbc.com.
- 3In rechten Ideologien wird die Existenz geschlechtlicher Vielfalt geleugnet und ein rigides Zweigeschlechtersystem propagiert, zur Kenntlichmachung wird daher das Binnen-I verwendet.
- 4Vgl.: Lindemann, J. (2023): Zwang und Fremdbestimmung – Historische Kontinuitäten der reproduktiven Selbstbestimmung von behinderten Menschen. In: GID Magazin, 40 Jg., Nr.266, S.14-16, online: www.gen-ethisches-netzwerk.de/node/4584.
- 5CitizenGo (05.04.2024): Werbeverbot für Leihmutterschaft! Online: www.citizengo.org. [Letzter Zugriff Onlinequellen: 24.07.2024]
Jonte Lindemann ist Mitarbeiter*in des GeN und Redakteur*in des GiD.
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