Gene Drives vs. Evolution
Neue Gentechnik zur Manipulation ganzer Ökosysteme
Gene Drive-Organismen können und sollen wild lebende Populationen oder Arten durch gentechnisch veränderte Varianten ersetzen oder gar ausrotten. Sie verwandeln die Natur in ein Gentechniklabor und erzwingen die Vererbung nachteiliger Mutationen an alle Nachkommen.
Kommen Gene Drive-Organismen in der Landwirtschaft zum Einsatz, werden sie möglicherweise hier zum Problem: Douglas County, US-Bundesstaat Wisconsin.
Im Jahr 2014 ist es Forscher*innen in den USA erstmals gelungen, den bei vielen Arten in der Natur vorkommenden Effekt von sich selbst verbreitenden egoistischen Genen mittels Gentechnik nachzuahmen. Die Funktionsweise synthetischer Gene Drives wurde erstmals an Fruchtfliegen demonstriert. Seit dieser ersten Erprobung wurde die erzwungene Turbovererbung von Mutationen mittels Gene Drives im Labor auch erfolgreich an Hefen, Mücken und Mäusen getestet. Freilandversuche haben noch nicht stattgefunden.
Mit Gene Drives beginnt eine neue Ära der Gentechnik
Synthetische Gene Drives setzen die Grundregeln der Evolution außer Kraft und sind deshalb die vielleicht gefährlichste Anwendung der Gentechnik, die bisher entwickelt wurde. Mithilfe neuer gentechnischer Verfahren, darunter vor allem des sogenannten CRISPR-Cas-Verfahrens können Tiere und Pflanzen, die sich sexuell fortpflanzen, so manipuliert werden, dass sie auch Mutationen weitervererben, die für den Organismus tödlich oder für das Überleben der Art schädlich sind. Normalerweise setzen sich Mutationen erst dann in einer Population durch, wenn es dem Überleben der Art zuträglich ist. Doch die durch den Gene Drive ausgelöste Genmanipulation setzt eine Kettenreaktion in Gang: Das gentechnische Werkzeug bleibt im Erbgut der veränderten Organismen aktiv. Es kopiert sich selbst bei jeder Fortpflanzung ins Erbgut der Nachkommen. Während bislang die Auskreuzung von gentechnisch veränderten (gv) Tieren und Pflanzen mit wilden Artverwandten um jeden Preis verhindert werden sollte, gilt bei Gene Drive-Organismen (GDO) das Gegenteil: Ihr erklärtes Ziel ist eine möglichst totale Auskreuzung.
Mit Gene Drives lästige Pflanzen und Tiere ausrotten?
Die durch Gene Drives ermöglichte Turbo-Vererbung von Genen kann zum Beispiel dazu genutzt werden, Unfruchtbarkeit zu verbreiten oder nur noch männliche Nachkommen zu erzeugen. Beide Anwendungen zielen darauf, Populationen zusammenbrechen oder eine Art aussterben zu lassen. Diese Möglichkeiten haben unterschiedlichste Hoffnungen und Anwendungsphantasien geweckt: Das bislang am weitesten fortgeschrittene Projekt zur Nutzung von Gene Drives wird von der Bill und Melinda Gates-Stiftung finanziert. Deren Projekt „Target Malaria“ hat das Ziel, mit Gene Drives die malariaübertragende Anopheles-Mücke auszurotten. Involvierte Forscher*innen hoffen in fünf bis zehn Jahren Gene Drive-Mücken in Malariagebieten wie Burkina Faso, Mali, Ghana oder Uganda im Freiland testen zu können.1 Die möglichen Risiken für Mensch und Natur sind derzeit nicht ansatzweise erforscht und entsprechend nicht abzusehen.
Gene Drives als neue Wundermittel der Agrarindustrie?
Das in Zukunft größte Anwendungsgebiet könnte in der Landwirtschaft liegen. Das zeigt ein Blick in die Patentschriften rund um die Gene Drive-Technologie.2 US-amerikanische Anbauvereinigungen arbeiten bereits heute daran, Gene Drive-Organismen zukünftig zur Dezimierung von lästigen Arten wie Fruchtfliegen, Blattläusen, Nematoden oder Hefepilzen in der Landwirtschaft zu nutzen. Alle diese Anwendungen würden die industrielle Landwirtschaft weiter zementieren und wirklich nachhaltige Alternativen wie den Ökolandbau und agrarökologische Ansätze unterminieren. Denn eine Landwirtschaft mit Gene Drives würde weiterhin einzelne Arten als Schädlinge bekämpfen, anstatt ein Agrarökosystem zu schaffen, in dem sich diese Arten auf natürliche Weise regulieren.
Gene Drives als Biowaffen?
Gene Drives könnten auch als Biowaffen gegen Pflanzen, Tiere und Menschen eingesetzt werden und dabei auch nur auf bestimmte Ethnien abzielen. Das Forschungsinstitut des US-amerikanischen Militärs (DARPA) ist daher, zur Erforschung einer effektiven Abwehr, einer der größten Finanziers der Gene Drive-Forschung. Biowaffen-Expert*innen beobachten die Entwicklung dieser Technologie deshalb sehr wachsam.
Mit Gene Drives invasive Arten stoppen?
Die Naturschutzorganisation ‚Island Conservation‘ und Forschervereinigungen wie ‚Genetic Biocontrol of Invasive Rodents‘ (GBIRd) hoffen, mit Gene Drives eine Handhabe gegen – invasive – Nagetiere gefunden zu haben, welche auf artenreichen Inseln eingeschleppt wurden. Angesichts dessen warnte sogar Gene Drive-Erfinder Kevin Esvelt vor schnellen Freisetzungen und der Anwendung von Gene Drive-Organismen im Naturschutz.3 Nichtsdestotrotz wird seit 2016 auch in der Weltnaturschutzorganisation IUCN über den Einsatz der Technologie diskutiert. Beim kommenden IUCN-Kongress im Juni 2020 könnte es zu einer Abstimmung kommen. Die Grundlage für die Entwicklung einer solchen Positionierung bietet ein von der IUCN in Auftrag gegebener wissenschaftlicher Bericht zur Bewertung der Synthetischen Biologie für den Naturschutz.4 Der IUCN-Bericht gibt einen wenig kritischen und kaum vorsorgeorientierten Ausblick auf die Chancen des Einsatzes von Technologien der Synthetischen Biologie für den Artenschutz. Die international tätige Nichtregierungsorganisation ETC Group macht dafür den starken Einfluss von Fürsprecher*innen und Entwickler*innen der Technologie unter den Autor*innen des Berichts und unter Mitgliedern einer IUCN-Task Force verantwortlich.5
Unkontrollierbar und nicht rückholbar: Risiken der Gene Drive-Technologie
Die Gene Drive-Technologie birgt neuartige Risiken – für den manipulierten Organismus selbst, wie auch für die betreffenden Ökosysteme. Eins dieser Risiken beruht auf dem Zweck von GDO, sich invasiv in allen Ökosystemen auszubreiten, in denen sie lebensfähig sind. Das bedeutet auch, dass sie vor Ländergrenzen nicht Halt machen, was vor allem eine Herausforderung für ihre internationale Regulierung ist. Zusätzlich können GDO in der Umwelt über Generationen hinweg überdauern und dabei unvorhersehbare Effekte im Genom der Population – als auch in ihren Lebensräumen hervorrufen.
Das in den Organismus eingebaute gentechnische Werkzeug birgt eigene technische Risiken: CRISPR-Cas, welches bei jeder Fortpflanzung mitvererbt wird, funktioniert längst nicht so präzise, wie anfänglich erhofft. CRISPR löst häufig auch an Stellen im Erbgut Veränderungen aus, die eigentlich unangetastet bleiben sollten. Unbeabsichtigte Mutationen und Eigenschaften können die Folge sein. Auch entwickeln die durch CRISPR gentechnisch veränderten Organismen häufig Resistenzen gegen den Gene Drive – sodass dieser nicht mehr funktioniert.
In welchem Ausmaß Auskreuzungen des Gene Drives mit Nichtzielarten auftreten würden, oder welche Effekte die Gene Drive-Organismen auf andere Arten beispielsweise in ihren Nahrungsnetzen hätten, ist kaum absehbar. Im schlimmsten Falle könnte eine gezielte Freisetzung, oder bereits das Entkommen eines GDO aus einem Forschungslabor, das weltweite Artensterben beschleunigen, Nahrungsnetze destabilisieren oder zum Zusammenbruch ganzer Ökosysteme führen. Bei unvorhergesehenen Effekten durch malariaübertragende Gene Drive-Mücken stünde zusätzlich die Gesundheit der betroffenen Menschen in den Malariagebieten auf dem Spiel. Der GAU – der größte anzunehmende Unfall – bei der Nutzung von Gene Drives in der Landwirtschaft, etwa in relevanten Insekten oder Bodenlebewesen wie Hefepilzen oder Nematoden hätte wohl auch negative Effekte auf die menschliche Ernährungssicherung zur Folge. Die durch Gene Drive-Organismen ausgelösten Veränderungen in Wildpopulationen und ihren Ökosystemen, aber auch die gesellschaftlichen Folgen des Einsatzes der Technologie, wären in jedem Fall irreversibel.
Fehlende Regulierung und Risikobewertung von GDO in Deutschland und Europa
Die aktuelle Gentechnikgesetzgebung und die daraus abgeleitete Risikobewertung auf nationaler und EU-Ebene sind auf die von GDO ausgehenden Risiken für die Umwelt nicht ausgerichtet. Eine Anwendung von Gene Drives widerspricht deshalb dem Vorsorgeprinzip. Dieses findet sich in internationalen Umweltabkommen wie der UN-Biodiversitätskonvention und bildet die Grundlage für das weltweite Naturschutzrecht. Auch in Europa ist es an zentraler Stelle, in den EU-Verträgen, verankert.
In Deutschland konnte durch den Druck eines NGO-Bündnisses ein erster Erfolg bei der politischen Anerkennung solch neuartiger Risiken durch GDO erzielt werden. Im Kontext der Überarbeitung der Gentechniksicherheitsverordnung wurde der Mangel deutlich: Keine der bisherigen Sicherheitsstandards war angemessen, um das Entweichen von GDO aus dem Labor zu verhindern. Nach einer Einzelfallbewertung müssen nun zusätzliche GDO-spezifische Standards entwickelt werden. Solche spezifischen staatlichen Vorgaben für die Gene Drive-Forschung gibt es bisher in den wenigsten Ländern der EU. Der Mangel an global festgelegten Sicherheitsstandards für GDO veranlasste selbst Gene Drive-Entwickler*innen, vor allem aus den USA, zu empfehlen, diese Sicherheitslücken dringend regulatorisch zu schließen.6
Auf europäischer Ebene beginnen derzeit erste Versuche, die neuen Risiken durch GDO zu erfassen. Im Frühjahr 2020 will die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA eine erste Zusammenfassung gesammelter Erkenntnisse – unter anderem aus einem Workshop im Frühjahr 2019 – präsentieren. Eine Anpassung der eigentlichen Leitlinien steht jedoch noch in weiter Ferne und unter dem Vorbehalt der Europäischen Kommission.
Gene Drives auf der globalen Agenda
Auch die Biodiversitätskonvention der Vereinten Nationen (CBD) berät über das Thema. Auf ihrer Vertragsstaatenkonferenz im November 2018 (COP 14) gehörten Gene Drives zu den umstrittensten Themen. Ein von der Zivilgesellschaft gefordertes globales Moratorium konnte bislang nicht erreicht werden. Stattdessen einigten sich die Delegierten auf die Anwendung des Vorsorgeprinzips, die Erstellung von Risikobewertungen sowie die Berücksichtigung und Einbindung „möglicherweise betroffener“ lokaler und indigener Gemeinschaften.7 Das ist begrüßenswert, doch nicht ausreichend. Denn die Freisetzung von sich global ausbreitenden GDO braucht einen politischen Konsens aller betroffenen Staaten und Menschen vor jeder einzelnen Anwendung.
2020: das Jahr der Entscheidung
Das Zeitfenster zur Erreichung eines bei der CBD erforderlichen einstimmigen Beschlusses unter den 196 Mitgliedstaaten bis zur COP 15 im Oktober 2020 in China ist klein. Die Widerstände gegen einen solchen Beschluss sind groß. Sie kommen aus interessierten Forschungs- und Investitionskreisen, zuvorderst aber aus dem Umfeld der Bill und Melinda Gates-Stiftung und ihrem Projekt Target Malaria. Die Rolle der deutschen Bundesregierung in dieser Sache hingegen ist nicht zu unterschätzen: Sie hat während der kommenden CBD-Vertragsstaatenkonferenz im Oktober 2020 die EU-Ratspräsidentschaft inne. In dieser Funktion leitet sie für die EU die Verhandlungen bei der COP 15. Sowohl die Bundesregierung als auch der EU-Rat müssen ein Moratorium und die Einrichtung eines globalen Entscheidungsfindungsgremiums rund um den Einsatz von GDO fordern. Damit könnten riskante und verfrühte Freisetzungen von Gene Drive-Mücken in Afrika verhindert und ausreichend Zeit sowie ein Raum geschaffen werden. So könnten eine demokratische und gesellschaftliche Debatte, die rechtliche Einordnung, Risikobewertung und Regulierung der Technologie ermöglicht werden, bevor einfach Fakten geschaffen werden.
Auch muss die COP 15 der Biodiversitätskonvention im Oktober 2020 die Biosicherheit zu einer wichtigen Säule des dort zu beschließenden neuen globalen Biodiversitätsrahmens machen, das Vorsorgeprinzip darin prominent verankern, die Erarbeitung von gemeinsamen Leitlinien für die Technologie- und Risikobewertung von GDO beschließen und dabei sozioökonomische Auswirkungen und ethische Fragestellungen mit einbeziehen.
Richtungweisend für die Ausrichtung der kommenden COP-Beschlüsse wird auch die Positionierung der IUCN zur Rolle der Synthetischen Biologie (einschließlich GDO) im Naturschutz sein. Die Bill und Melinda Gates-Stiftung verfügt über großen Einfluss und ist bestens vernetzt. Die mit ihr verbundenen Gene Drive-Forscher*innen sind mit ihrem Expertenwissen in internationalen Gremien wie IUCN und CBD gefragt. Deshalb ist es entscheidend, in welchem Maße die deutsche, europäische und globale Zivilgesellschaft es vermag, eine kritische gesellschaftliche, wissenschaftliche und politische Debatte über GDO anzustoßen. Ob es ihr gelingt Entscheidungsträger*innen auf allen Ebenen die Tragweite ihrer Beschlüsse rund um diese Technologie nahezubringen, wird eine der größten Herausforderungen rund um die Gentechnik im Jahr 2020 werden.
- 1Europäische Union (2019): The science and ethics of gene drive organisms. Case study: Eradicating malaria. Participant‘s booklet. Online: www.europarl.europa.eu oder www.kurzlink.de/gid251_w [letzter Zugriff: 15.10.19].
- 2Siehe zum Beispiel: Bier, Ethan et al. (2016): Method for Autocatalytic Genome Editing and Neutralizing Autocatalytic Genome Editing (Patent-Nummer: WO/2016/073559).
- 3Esvelt, Kevin M./Gemmell, Neil J. (2017): Conservation demands safe gene drive. PLoS Biol, 15 (11), doi: 10.1371/journal.pbio.2003850.
- 4IUCN (2019): Genetic frontiers for conservation: an assessment of synthetic biology and biodiversity conservation: technical assessment.
- 5ETC Group (2019): Driving under the Influence? A review of the evidence for bias and conflict of interest in the IUCN report on synthetic biology and gene drive organisms. Online: www.etcgroup.org oder www.kurzlink.de/gid251_y [letzter Zugriff: 09.10.19].
- 6Oye, Kenneth A. et al. (2014): Regulating gene drives. Science, 345 (6197), S. 626-628, doi: 10.1126/science.1254287.
- 7CBD (2018): Decision 14/19. Synthetic Biology. Online: www.cbd.int/decisions/cop/?m=cop-14 [letzter Zugriff: 14.10.19].
Mareike Imken ist Mitarbeiterin der Initiative Save Our Seeds im Berliner Büro der Zukunftsstiftung Landwirtschaft.
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