EFSA: Konfusion um Risiken
Stellungnahme der EFSA lässt entscheidende Fragen unbeantwortet
Laut einer Stellungnahme der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA gehen mit den als SDN-1 und SDN-2 bezeichneten neuen Gentechnikverfahren keine spezifischen Risiken einher. Entscheidende Fragen der Risikobewertung lässt sie jedoch unbeantwortet.
Ende November 2020 veröffentlichte die Europäischen Lebensmittelbehörde (EFSA) eine Stellungnahme zur Anwendung der neuen Gentechnik (NGT) an Pflanzen.1 Diese war von der EU-Kommission in Auftrag gegeben worden und bezieht sich auf Verfahren, die als SDN-1 und SDN-2 (site directed nucleases) abgekürzt werden. Bei SDN-1 und SDN-2 Verfahren wird das Erbgut von Pflanzen mithilfe von Werkzeugen wie der Gen-Schere CRISPR-Cas gentechnisch verändert, ohne zusätzliche Gene einzufügen, während mittels SDN-3 zusätzliche Gene eingefügt werden. SDN-1- und SDN-2-Anwendungen sind die derzeit am häufigsten eingesetzten Techniken der neuen Gentechnik bei Pflanzen. Bei der Mehrzahl dieser Pflanzen werden gleich mehrere Kopien eines Gens oder mehrere verschiedene Gene verändert. Dies führt zu biologischen Eigenschaften, die mit bisheriger Züchtung nicht oder nur sehr schwer erreichbar sind.
Die EFSA kommt in ihrer Stellungnahme zu dem Ergebnis, dass mit dem Einsatz von Gen-Scheren wie CRISPR-Cas an Pflanzen keine spezifischen Risiken einhergehen, solange keine zusätzlichen Gene eingefügt werden. Gleichzeitig gibt die Behörde aber auch zu verstehen, dass mit Hilfe der neuen Gentechnik das Erbgut von Pflanzen auf neue Weise für Veränderungen verfügbar gemacht wird und neue genetische Kombinationen ermöglicht werden, indem das Erbgut beispielsweise gleich an mehreren Stellen verändert wird.
Die Industrie begrüßte die Stellungnahme. So freute sich beispielsweise die Firma Cibus, die seit Jahren fordert, in der EU einen mit neuer Gentechnik produzierten herbizidresistenten Raps ohne Risikoprüfung und ohne Kennzeichnung vermarkten zu dürfen.2 Insgesamt passt die Stellungnahme der EFSA in ihrer Lückenhaftigkeit und Widersprüchlichkeit gut zu den Kernbotschaften der Industrie und anderer Akteure, die eine weitgehende Deregulierung der neuen Gentechnik fordern. Risikoprüfung und Kennzeichnung sind aus ihrer Sicht äußerst hinderlich, wenn es um die Vermarktung entsprechenden Saatguts geht.
Dabei muss sich die EFSA aber vorwerfen lassen, dass sie im Rahmen ihrer Prüfung die eigentlich relevanten Fragen gar nicht gestellt hat. Sie befasste sich nicht mit den Risiken komplexer (das heißt mehrfacher) genetischer Veränderungen, wie sie für die Mehrheit der bisherigen SDN-1 Anwendungen bei Pflanzen typisch sind. Dies liegt möglicherweise an einer weitreichenden Fehleinschätzung: Die EFSA ordnet diese NGT-Pflanzen der „synthetischen Biologie“ zu, deren Risiken von der EFSA in einer separaten Stellungnahme bewertet werden sollen, die noch nicht veröffentlicht ist. Da diese NGT-Pflanzen aber ebenfalls mit SDN-1- (bzw. SDN-2-)
Verfahren generiert wurden, ist die Herangehensweise der EFSA irreführend. Es ist völlig unklar, wie und warum die EFSA Pflanzen, die mit der gleichen Technik gentechnisch verändert wurden, in getrennte Kategorien einteilt. Konfus ist die EFSA auch bei der Bewertung von unbeabsichtigten Effekten. Sie scheint der Auffassung zu sein, dass die Fehler, die die Gen-Schere bei ihrer Arbeit macht, auch bei konventioneller Züchtung auftreten können. Sie gibt zu, dass sie dazu keine umfassende Literaturrecherche gemacht habe und vertritt die vorgefasste Meinung, dass viele dieser Effekte gar nicht erst untersucht werden müssten. Wissenschaftliche Publikationen, die während der Konsultation eingereicht wurden und zu anderen Ergebnissen als die EFSA kommen, werden in der Stellungnahme nicht erwähnt. Das steht nicht im Einklang mit üblichen wissenschaftlichen Standards.
Fest steht: Die CRISPR-Cas-Methode kann eine große Bandbreite von unerwünschten Effekten verursachen, deren Auftreten vom jeweiligen Verfahren, den experimentellen Rahmenbedingungen, den ausgewählten Zielregionen im Erbgut und den spezifischen Organismen abhängig ist und die daher fallspezifisch untersucht werden müssen. Zudem wird CRISPR-Cas in den meisten Fällen in mehrstufigen Verfahren und in Kombination mit alten Gentechnikverfahren eingesetzt. Auch dadurch kann eine große Bandbreite ungewollter Effekte verursacht werden. Im Ergebnis ist die aktuelle Stellungnahme der EFSA widersprüchlich und unzureichend und trägt nicht zur Klärung der Risiken von NGT-Pflanzen bei.
- 1EFSA (2020): Applicability of the EFSA Opinion on site-directed nucleases type 3 for the safety assessment of plants developed using site-directed nucleases type 1 and 2 and oligonucleotide-directed mutagenesis. Online: www.efsa.europa.eu oder www.kurzelinks.de/gid256-pa [letzter Zugriff 08.01.2021].
- 2Businesswire (2020): Cibus Applauds the European Food Safety Authority (EFSA) Conclusion that Gene Editing by ODM, SDN-1 and SDN-2 Does Not Pose More Hazards than Conventional Plant Breeding. Online www.businesswire.com oder www.kurzelinks.de/gid256-pb [letzter Zugriff 08.01.2021].
Christoph Then ist Geschäftsführer der Nichtregierungsorganisation Testbiotech und Sprecher des internationalen Bündnisses No Patents on Seeds (Keine Patente auf Saatgut), www.no-patents-on-seeds.org.
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