Welche Rolle spielt die EFSA?
Europäische Lebensmittel-Wächter in der Nähe der Industrie
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) steht im Zentrum der Verfahren für die Bewertung von gentechnisch veränderten Organismen. Wie geht die EFSA mit der Studie um, die im September 2012 von einer Gruppe um den französischen Molekularbiologen Gilles-Eric Séralini veröffentlicht wurde?
Folgt man den Ergebnissen der am 19. September in der US-amerikanischen Fachzeitschrift Food and Chemical Toxicology veröffentlichten Studie, ist die Sicherheit von gentechnisch veränderten (gv) Lebensmitteln und Monsantos Herbizid Roundup einmal mehr in Frage gestellt. Die Studie untersucht die Toxizität von Monsantos gv-Mais NK603 (Roundup-tolerant), dem Herbizid Roundup und der Kombination von beidem an Ratten.1 Diese Untersuchung des französischen Wissenschaftlers Gilles-Eric Séralini machte sofort weltweit Schlagzeilen. Die Forscher reproduzierten eine von Monsanto im Jahre 2004 im selben Journal veröffentlichte Studie, die von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) für ihre positive Sicherheitsbewertung von NK603 verwendet worden war.2 ,3
Wie handhabt die EFSA den Fall?
Was war nun der Beitrag der EFSA zu dieser Debatte? Man könnte erwarten, dass die EFSA dazu beiträgt, die öffentliche Diskussion voranzubringen. Schliesslich ist es ja ihre Rolle, verlässliche Sicherheitsbewertungen für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) und andere Produkte zu erstellen. Dies sollte umso mehr der Fall sein, als sich in der Vergangheit wiederholt gezeigt hat, dass die EFSA auf unangemessene Weise von Seiten der Industrie beeinflusst wird - und sich bei ihren Entscheidungen ausschliesslich auf deren Daten verlässt. Es ist bezüglich der Experten und der Leitung der EFSA von zahlreichen Interessenskonflikte mit der Lebensmittel- wie der Biotech-Industrie berichtet worden. Infolgedessen hat sich die Entlastung des EFSA-Budgets 2010 durch das europäische Parlament um sechs Monate verzögert. Könnte die EFSA den Séralini-Fall nutzen, um etwas Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen? Schnell verkündetete die Europäische Kommission, sie würde die EFSA um eine Stellungnahme zur Séralini-Studie bitten. Allerdings hatte die EFSA in der Vergangenheit schon einmal eine positive Einschätzung zu eben jenen Substanzen abgegeben, die in der Séralini-Studie angefochten werden. Zudem hatte die EFSA auch eben jenes Verfahren zur Sicherheitsbewertung entworfen, dass Séralini in Frage stellt. (...) Es sollte vielleicht angemerkt werden, dass Séralini schon zum Zeitpunkt der Veröffentlichung seiner Studie die EFSA kritisierte. Er sagte, dass er eine Beurteilung seiner Studie durch diejenigen, die in dem EFSA-Bewertungsverfahren von NK603 und von Roundup beteiligt waren, ablehne, da diese Leute einen „Interessenskonflikt“ hätten. Die erste EFSA-Stellungnahme zur Séralini-Studie wurde von den EFSA-MitarbeiterInnen verfasst und am 4. Oktober publiziert. Es war kaum davon auszugehen, dass die EFSA die Ergebnisse der Studie anerkennt, denn damit hätte sie gleichzeitig zehn Jahre der eigenen Sicherheitsbewertung in Frage stellen müssen. Auch gibt es Bedenken, dass einige der MitarbeiterInnen selbst Interessenskonflikte haben. Eine von ihnen, Claudia Paoletti aus dem Gentechnik-Ausschuss der EFSA, hat zum Beispiel einen Artikel zusammen mit den der Biotech-Industrie nahe stehenden Wissenschaftlern Harry Kuiper und Marc Fellous sowie mit der ehemaligen EFSA-Mitarbeiterin Suzy Renkens, die von Syngenta als Lobbyistin rekrutiert worden ist, veröffentlicht. Diese Zweifel lassen sich auch nicht aus dem Weg räumen, da die EFSA sich weigerte, die Erklärungen zu eventuellen Interessenskonflikten der relevanten MitarbeiterInnen offenzulegen. Noch bedenklicher ist es, dass Andrew Chession, einer der beiden Wissenschaftler, die an dem Peer-review-Verfahren der EFSA-Stellungnahme beteiligt waren, zu der positiven Bewertung von NK603 durch die EFSA im Jahre 2003 beigetragen hatte. Ein Interessenskonflikt, der von der Abgeordneten im Europaparlament, Corinne Lepage angeprangert wurde. Warum sich die EFSA-Leitung entschieden hat, anstatt externen WissenschaftlerInnen ohne Interessenskonflikte gerade diese Personen auszuwählen, ist nicht bekannt. Es führte jedoch dazu, dass Séralini und die EFSA sich nun in den Haaren liegen. Séralini erklärte, dass er die Roh-Daten seiner Studie nur veröffentlichen werde, wenn die EFSA die Daten der Studien der Industrie auf eine öffentliche Website stellt. Die EFSA hatte Séralini daraufhin diese Daten zukommen lassen, hatte sie aber nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, zudem behauptet Séralini, sie seien unvollständig.4
Die erste Stellungnahme der EFSA
Die erste EFSA-Stellungnahme äußert sich insgesamt kritisch gegenüber der Studie von Séralini. Die AutorInnen teilen mit, es sei derzeit unmöglich, die Schlussfolgerungen des Autors als wissenschaftlich einwandfrei zu betrachten. In der Tat wiederholt die Bewertung einige der falschen Argumente, die schon die Industrie benutzt hatte, um die Untersuchung zu diskreditieren. (...) Die EFSA hat nun also die Schlussfolgerung gezogen, die Studie von Séralini beeinflusse die „laufende Neubewertung des Glyphosats nicht“. Nach den Regeln der strikten Wissenschaftlichkeit erscheint dieses Votum jedoch mehr als zweifelhaft. Séralini hat das Roundup in den Zusammensetzungen getestet, wie es auch als Produkt zu kaufen ist - also Glyphosat in Kombination mit einer Reihe von Zusatzstoffen. Er stellt die Hypothese auf, dass die Kombinationen möglichweise toxischer wirken, als wenn die Inhaltsstoffe einzeln untersucht würden. In seiner Studie fordert er daher eine Bewertung von „Roundup“ und nicht von Glyphosat allein. Logische Schlussfolgerung aus Séralinis Studie - unter Berücksichtigung der Perspektive der öffentlichen Gesundheit - wäre eigentlich, dass mehr Untersuchungen benötigt werden, um das Roundup selbst bewerten zu können, und nicht, dass die Studie keine Auswirkungen auf die Bewertung der individuellen Komponenten hat. Zusammengefasst gleicht die erste Stellungnahme der EFSA mehr einer Anklage als einer Bewertung. Sie ist eher eine Zusammenstellung von anderen Kritiken als der Versuch, die Angelegenheit im Sinne des öffentlichen Interesses zu klären.
Noch einmal: Biotech-Lobbyisten und EFSA diskutieren GVO-Risikobewertung
Bemerkenswerterweise wurden einige der EFSA-MitarbeiterInnen (einschliessliche Paoletti), die an der Bewertung von Séralinis Studie beteiligt waren, am 24. Oktober in ein Luxushotel in Brüssel eingeladen, um bei einer von der Lobby-Organisation EuropaBio organisierten Konferenz über GVO-Risikobewertungen zu diskutieren.5 Die EFSA wurde unter anderem auch durch Harry Kuiper repäsentiert, genau jenem Wissenschaftler, der dem EFSA-GVO-Ausschuss zwischen 2003 und 2012 vorstand und dessen Verbindungen zur Industrie klar dokumentiert sind. Diese sind auch Anlass der Beschwerde beim Ombudsmann der Europäischen Union, die von den Organisationen Testbiotech und CEO vorgebracht worden sind.6 Ebenfalls anwesend war Suzy Renkens, ehemalige Leiterin des EFSA-GVO-Ausschusses. Sie hatte die EFSA verlassen, um bei Syngenta in die Lobbyarbeit einzusteigen und ist mittlerweile für EuropaBio als Lobbyistin tätig.7 Demgegenüber hat die EFSA einen Monat später Nichtregierungsorganisationen eingeladen, um über das Thema der GVO- Risikobewertung zu sprechen ... allerdings in Parma.8
Die abschliessende Bewertung der EFSA
Am 28. November veröffentlichte die EFSA ihre abschließende Stellungnahme zur Studie Séralinis. Darin hat sie ihre erste Bewertung nicht verändert, sondern einfach nur Einschätzungen angefügt, die von nationalen Behörden zur Lebensmittelsicherheit aus sechs Mitgliedstaaten vorgenommen wurden. Des Weiteren werden einige Punkte aus Séralinis offenem Brief, der in Food and Chemical Toxicology veröffentlich wurde, aufgegriffen. Die EFSA schlussfolgert: „Angesichts der Tatsache, dass die Studie, wie in den Veröffentlichungen von Séralini et al. 9 zu erkennen ist, nicht angemessen angelegt, analysiert und dargestellt wurde und in Anbetracht der Bewertungen der Mitgliedsstaaten, ist die EFSA der Auffassung, dass die Studie von unzureichender wissenschaftlicher Qualität und somit für eine Sicherheitsbewertung ungeeignet ist. Daraus folgert die EFSA, dass die Studie von Séralini et al., wie in ihren Veröffentlichungen berichtet, die laufenden Neubewertungen des Glyphosats nicht beeinträchtigt. Auf der Basis der gegenwärtigen Sachlage sieht die EFSA keine Notwendigkeit, die existierende Sicherheitsbewertung des Mais NK603 und anderer gv-Sorten, in denen seine gentechnische Veränderung zum Einsatz gekommen ist, wieder zu eröffnen.“10 Die EFSA hat die Studie also abgelehnt mit der Begründung, dass es nicht genügend statistisch signifikante Beweise gebe, um die die Schlussfolgerungen in Bezug auf die Mortalität und Tumorbildung zu stützen. Dieser Punkt wird von allen nationalen Sicherheitsagenturen und sicher auch in Teilen von den Autoren selbst geteilt. Die Behörde wiederholt das irreführende Argument, das die Bewertung des Glyphosats nicht in Frage steht, aber versäumt es, zu thematisieren, dass in Séralinis Studie Roundup und nicht einfach Glyphosat verwendet wurde. Die EFSA nutzt diese Befunde, um die gesamte Studie abzulehnen. Dies steht in einem starken Kontrast zu den Schlussfolgerungen von mindestens zwei nationalen Agenturen (Frankreich und Belgien), die auch in den Bewertungsprozess der Studie involviert waren. Sie haben ihre Aufgabe, die öffentliche Gesundheit zu schützen, ernst genommen, in dem sie zusätzliche Untersuchungen und die Prüfung der aktuellen Richtlinien zur Sicherheitsbewertung fordern.
Schlussfolgerungen
Die Art, in der die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit mit dem Séralini-Fall umgegangen ist, folgt nicht dem Standard, den man von einem „Grundpfeiler der Sicherheitsbewertung in Bezug auf Lebensmittel und Lebensmittelsicherheit in der Europäischen Union“ erwarten würde. Anstatt einen bedeutsamen Beitrag zur öffentlichen Debatte zu leisten, indem schlechte Argumente von guten unterschieden werden, und - noch viel wesentlicher - anstatt sich durch das Einfordern von mehr Forschung auf die Seite der öffentlichen Sicherheit zu stellen, facht die EFSA die Flammen der öffentlichen Kontroverse noch an: Sie veröffentlicht einer radikal einseitige Einschätzung, die die ganze Schuld bei Séralini ablädt. Sie legt ein Niveau von wissenschaftlichen Standards an die Studie an, das von Monsantos Studie zum NK603, die für die EU-Genehmigung akzeptiert wurde, nie erreicht wurde. Sie ignoriert die Forderung einiger nationaler Sicherheitsbehörden nach mehr Forschung und einer Überprüfung der Richtlinien zur GVO- und Pestizid-Sicherheitsbewertung. Darüber hinaus hat die EFSA dabei versagt, sorgfältig und transparent einen Ausschuss von WissenschaftlerInnen zu benennen, die über den Verdacht eines Interessenkonfliktes erhaben sind. Und sie versäumte es anzuerkennen, dass es ihre Glaubwürdigkeit unterminiert, wenn sie sich mitten in einem Prozess der Bewertung mit der größten europäischen Biotechindustrie-Lobbygruppe trifft und Richtlinien zur GVO-Risikobewertungen diskutiert. Heute mehr denn je scheint die EFSA vor der Notwendigkeit einer radikalen Veränderung zu stehen - um von der Industrie, die sie kontrollieren soll, wirklich unabhängig zu werden.
Übersetzung: Kirsten Grover
- 1Gilles-Eric Séralini et al. (2012): Long term toxicity of a Roundup herbicide and a Roundup-tolerant genetically modified maize. Food and Chemical Toxicology 50, S. 4221-4231, online 19.09.12.
- 2Hammond, B. et al. (2004): Results of a 13 week safety assurance study with rats fed grain from glyphosate tolerant corn. Food Chemical Toxicology 42, S. 1003-1014.
- 3EFSA: Scientific Opinion - Applications (references EFSA-GMO-NL-2005-22, EFSA-GMO-RX-NK603) for the placing on the market of the genetically modified glyphosate tolerant maize NK603 for cultivation, food and feed uses, import and processing and for renewal of the authorisation of maize NK603 as existing products, both under Regulation (EC) No 1829/2003 from Monsanto. Angenommen am 27.05.09. EFSA Journal (2009) 1137, 1-50, www.efsa.europa.eu/en/efsajournal/doc/1137.pdf.
- 4Siehe dazu den Artikel „Das richtige Design?" Seite 19 in dieser GID-Ausgabe.
- 5„Workshop on the Risk Assessment Requirements for GM food and feed with respect to Toxicology and Allergenicity”. EuropaBio, 24.10.12, Brüssel. www.europabio.org oder www.kurzlink.de/gid216_c.
- 6Corporate Europe Observatory (2012): Independence of EFSA's GMO risk assessment challenged. www.corporateeurope.org oder www.kurzlink.de/gid216_d.
- 7Former EFSA GMO head lobbies EFSA for Europabio, EU Food Policy, 23.11.12.
- 8„EFSA hält sechstes jährliches GVO-Treffen mit Nichtregierungsorganisationen ab.“ 27.11.12, www.efsa.europa.eu.
- 9Fußnote im Original mit Verweis auf die Publikationen von Séralini et al. Siehe dafür Fußnote (1). Außerdem: Séralini et al. (2013): Reply to letters to the editor - Answers to critics: Why there is a long term toxicity due to a Roundup- tolerant genetically modified maize and to a Roundup herbicide. Food and Chemical Toxicology 53, Seiten 461 - 468, online 9.11.12.
- 10EFSA (2012): Final review of the Séralini et al. (2012a) publication on a 2-year rodent feeding study with glyphosate formulations and GM maize NK603 (...). EFSA Journal 2012;10(11):2986, im Netz unter www.efsa.europa.eu/de/efsajournal/pub/2986.htm.
Corporate Europe Observatory ist eine Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Brüssel. www.corporateeurope.org
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