Mehr Stop als Go
Wenn die Biowaffenkonvention festsitzt, müssen andere Wege her
International treten die Bemühungen zur Verhinderung des Missbrauchs von Ergebnissen lebenswissenschaftlicher Forschung für die Entwicklung von Biowaffen auf der Stelle. Trotzdem gibt es Ansatzpunkte, wie Fortschritte gemacht werden könnten.
Fortschritte in den lebenswissenschaftlichen Arbeiten haben in den vergangenen Jahren neue und verbesserte Ansätze zur Bekämpfung von Krankheiten und zur Beförderung von Gesundheit im Allgemeinen gebracht. Solche Forschungen sind weiterhin essentiell. Der potentielle Missbrauch der lebenswissenschaftlichen Forschungen für die Produktion von Biowaffen ist jedoch ein Aspekt, der nicht ignoriert werden darf. Diese Arbeiten sind mit einem sogenannten Dual-Use-Charakter (doppelte Verwendbarkeit) behaftet, der es besonders schwer macht, den Nutzen zu ernten und gleichzeitig die damit verbundenen Risiken zu minimieren. Mehrere Forschungsarbeiten, über die auch in Fachzeitschriften berichtet wurde, haben bezüglich ihrer Biosecurity Anlass zur Sorge gegeben. Zu einer Kontroverse im Bereich Biosecurity-relevanter Forschung, die bis heute anhält, führten Experimente mit dem Vogelgrippevirusstamm H5N1, die in den Jahren 2012 und 2013 durchgeführt worden waren. H5N1-Grippeviren selbst infizieren Menschen nur selten. Wenn dies aber geschieht, verläuft die Krankheit häufig tödlich. Bisher kamen Infektionen von Menschen hauptsächlich über den direkten Kontakt mit infiziertem Geflügel und nicht über den Luftweg zustande. Letzteres könnte schnell zu einer Epidemie oder gar zu einer Pandemie führen. Es ist daher entscheidend, dass das Virus nicht leicht von Mensch zu Mensch übertragbar ist. Nichtsdestotrotz haben zwei Gruppen von Forschern (in den USA und in den Niederlanden) im Jahre 2012 mutierte Varianten des H5N1-Virus produziert, die über den Luftweg von Versuchstier zu Versuchstier übertragbar sind („airborne“). Das Geschehen hat die Frage nach der Notwendigkeit eines angemessenen Risikomanagement- Systems für potentiell gefährliche Arbeiten in den Lebenswissenschaften aufgeworfen. Unter dem Eindruck der damals laufenden Debatten stellte eine internationale Gruppe von Influenzaforschern im Rahmen eines freiwilligen Moratoriums ihre derartigen Forschungsprojekte an Vogelgrippeviren von Januar 2012 bis Januar 2013 ein. Parallel dazu wurden in den USA neue Richtlinien für den Umgang mit dieser Art von Forschung erarbeitet. Deren Veröffentlichung wurde als maßgeblicher Grund für das Ende des Moratoriums genannt, zumindest für die Forschung, die unter die überarbeitete Regulierung fällt. Nach dem Ende des Moratoriums werden mittlerweile wieder Biosecurity-relevante Experimente an Vogelgrippeviren durchgeführt.
Stärkere Erreger aus dem Labor?
Es bleibt grundsätzlicher Klärungsbedarf zu Fragen des angemessenen, verantwortungsvollen Umgangs mit den direkten Missbrauchsrisiken, die durch solche Forschungen an gefährlichen Mikroorganismen entstehen können. Zum Beispiel gibt es nach wie vor keine Einigkeit unter Wissenschaftlern über die Bewertung beziehungsweise Abwägung von Nutzen und Risiken im Zusammenhang mit diesen sogenannten Gain-of-Function-Experimenten - also Forschungen, die darauf zielen, Krankheitserreger, hier zum Beispiel Grippeviren, im Labor gefährlicher zu machen. Einige Wissenschaftler meinen, dass solche Untersuchungen an Grippeviren nötig seien, um das Pandemiepotential der Influenzaviren besser einschätzen zu können. Andere, ebenso renommiert, argumentieren, dass genau dies mit experimentell erzeugten Mutationen nicht möglich sei. Einige Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen weisen ferner darauf hin, dass eine angemessene Abwägung von Nutzen und Risiken in diesem Zusammenhang bis jetzt nicht durchgeführt wurde. Sie warnen vor der Fortführung von Gain-of-Function-Experimenten, bis diese Lücke sachgemäß adressiert worden ist. Hinzu kommen aktuelle Berichte über Biosafety-Vergehen in Hochsicherheitslaboratorien. All dies hat dazu geführt, dass verschiedene Gruppen von Wissenschaftlern dazu aufgerufen haben, dieser Art von Forschung mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Zum Beispiel wurde eine internationale Konferenz vorgeschlagen, auf der offen über Chancen und Risiken von Gain-of-Function-Experimenten an gefährlichen Krankheitserregern diskutiert werden soll.
Biowaffenkonvention blockiert
Eigentlich gibt es ein internationales Abkommen, in dem derartige Fragen und Probleme reguliert werden könnten. Der Biowaffenkonvention (BWC) von 1972 zufolge ist die Entwicklung, Herstellung, Lagerung, der Erwerb oder das Behalten mikrobiologischer oder anderer biologischer Agenzien und Toxine für nicht-friedliche Zwecke verboten. Gleichzeitig erlaubt die Konvention alle Aktivitäten inklusive der Forschung mit biologischen Agenzien für friedliche Zwecke. Durch ihre allgemeine Zweckbestimmung ist gesichert, dass wissenschaftlicher Fortschritt nicht blockiert wird. Alle neuen technologischen Entwicklungen, die für nicht-friedliche Zwecke bestimmt sind, sind dagegen verboten. Somit bietet die Konvention den Mitgliedstaaten einen umfassenden Schutz gegen biologische Waffen. Hierin liegt die Stärke der Konvention. Ihre Schwäche liegt in der mangelnden Implementierung, das heißt der Umsetzung der Bestimmungen in Regelungen und Gesetze auf nationaler Ebene. Auch wurde bei der Vereinbarung des Übereinkommens kein Verifikationsregime installiert, das eine Überprüfung der Vertragstreue ermöglichen könnte. Nach wie vor weigern sich einige Staaten, über gesetzlich-bindende Verifikationsmaßnahmen zu verhandeln. Um die Konvention trotzdem vorwärts zu bringen, haben die Mitgliedstaaten seit 2003 jährliche Treffen („intersessional processeses“) durchgeführt. Ziel dieser Treffen ist die Förderung gemeinsamer, jedoch gesetzlich nicht-bindender Standpunkte und effektiver Maßnahmen. Ebenfalls seit 2003 haben die Mitgliedstaaten über die Notwendigkeit der Entwicklung von Verhaltenskodizes diskutiert. Weitere Themen waren die Weiterbildung und das Erhöhen der Aufmerksamkeit von Wissenschaflern in Bezug auf die Fragen der Biosecurity, sowie die Implementierung von Risikomanagement-Programmen für die Regelung lebenswissenschaftlicher Arbeiten. All dies könnte zur Prävention des Missbrauchs der Ergebnisse von lebenswissenschaftlichen Forschungen beitragen. Leider ist bis jetzt sehr wenig „effective action“ auf der BWC-Ebene zustande gekommen.
Zivilgesellschaft aktiv
Demgegenüber hat die Zivilgesellschaft ausgezeichnete Arbeit mit der Entwicklung von Verhaltenskodizes und Unterrichtsprogrammen geleistet. Diese sind entscheidend, da Lebenswissenschaftler eine wirkungsvolle Risikobeurteilung ihrer Arbeit nur dann vornehmen können, wenn sie diese Risiken verstehen und ihnen die Gefahren, die damit verbunden sind, bewusst sind. Auch Verhaltenskodizes können nur dann ihre volle Wirkung entfalten. Es wurden zum Beispiel Online-Unterrichtsmodule entwickelt, um Informationsdefizite über Dual-Use-Aspekte der Lebenswissenschaften und ihre Relevanz für die B-Waffenkonvention zu verringern. Die Programme sind so konzipiert, dass entsprechende Teile davon leicht in die bestehenden Curricula inkorporiert werden können. Eins dieser Programme richtet sich gezielt an Lehrende („Train the Trainer“). Es sind damit Programme vorhanden, mit denen Ausbilder, die möglicherweise selbst keine Experten auf diesem Gebiet sind, gemeinsam mit ihren Studierenden lernen können. Die Zivilgesellschaft hat also ihre Arbeit geleistet. Um solche Programme zu implementieren, muss jedoch Unterstützung geleistet werden. Hier sind die Regierungen gefragt, da sie Ausbildungs- und Risikomanagement-Programme top-down einrichten können.
Stellungnahme des Deutschen Ethikrats
Auf Nachfrage der deutschen Regierung, ob die existierenden Regelungen und andere Maßnahmen wie Verhaltenskodizes in diesem Bereich ausreichen, um den Missbrauch von Forschung und Forschungsergebnissen in den Lebenswissenschaften zu minimieren oder gar zu verhindern, hat der Deutsche Ethikrat eine Stellungnahme veröffentlicht. Darin finden sich Empfehlungen, um ein kohärentes Regelsystem zu entwickeln. Die Empfehlungen umfassen konkrete Schritte zur Einrichtung von Dual-Use-Unterricht für Lebenswissenschaftler, einige Eckpfeiler für einen nationalen Verhaltenskodex und gesetzlich-bindende Risikomanagement-Regelungsmaßnahmen. Meiner Erfahrung nach gehen Wissenschaftler im Grunde verantwortungsbewusst mit besorgniserregenden Gefahren bei der Arbeit um, solange ihnen die Gefahren bewusst sind und sie klare Hinweise zum korrekten Umgang bekommen. Leider zeigen Umfragen, dass die Mehrzahl der Lebenswissenschaftler Biosecurity-Fragen nicht aktiv reflektieren, hauptsächlich weil sie kein Bewusstsein für mögliche Dual-Use-Aspekte ihrer Arbeit besitzen. Die Empfehlungen des Deutschen Ethikrates geben den Wissenschaftlern ausreichend Gelegenheit zu zeigen, dass sie von sich aus verantwortlich in der Arbeit vorgehen. Die Stellungnahme wurde den Ministerien, die die Anfrage an den Ethikrat gerichtet haben, in einer Pressekonferenz am 7. Mai 2014 präsentiert. Es bleibt abzuwarten, ob oder wann diese Empfehlungen umgesetzt werden. In der Zwischenzeit sollten Diskussionen über die Regulierung von Biosicherheits-relevanten Arbeiten mit allen Beteiligten stattfinden.
Eine Version dieses Beitrags mit umfangreichen Quellen kann über das Büro des Gen-ethischen Netzwerkes bezogen werden.
Kathryn Nixdorff ist emeritierte Professorin für Mikrobiologie und Genetik an der Universität Darmstadt. Sie engagiert sich seit mehr als zwei Jahrzehnten im Bereich Biosecurity und war zuletzt an der Erstellung der Stellungnahme des Deutschen Ethikrates beteiligt.
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