Risikokommunikation
Zum gesellschaftlichen Umgang mit Risiken
Die Welt ist im Wandel. In früheren Jahren bestimmten eine relativ klare Front zwischen Ost und West und eine verhältnismäßig übersichtliche Informationslage die Diskussionen über Gefahren von Biowaffen. Mittlerweile haben der wissenschaftliche Fortschritt, das Internet und terroristische Akteure die Debatte über Missbrauch von Ergebnissen medizinischer und biotechnologischer Forschung deutlich komplexer werden lassen.
Dass Wissen zur Bedrohung werden kann, ist keine neue Erkenntnis. Im 21. Jahrhundert rückt jedoch eine neue Forschergruppe ins Zentrum der Aufmerksamkeit: die Biomediziner. Die synthetische Biologie hat im Informationszeitalter eine neue Dimension bekommen, die ihre gesellschaftliche Bewertung erschwert. Wissenschaftliche Entwicklungen haben das Verschwinden von tödlichen Krankheiten möglich gemacht. Das Wissen um biologische Zusammenhänge kann allerdings auch missbräuchlich verwendet werden. Die Anthrax-Briefe 2001 haben dies sehr eindrücklich gezeigt. Neu an dieser sogenannten Dual-Use-Problematik ist, dass es nicht mehr nur das Material ist, das unterschiedlich verwendet werden kann, sondern auch das Wissen, die Information selbst. Dabei geht es nicht nur um die Tatsache, dass wissenschaftliche Erkenntnis mithilfe der Informationstechnologien besser und schneller kommuniziert werden kann, sondern auch darum, dass die wissenschaftliche Erkenntnis selber auf einer Informationsbasis steht: dem genetischen Code, der Information und kein statisches, physisches Material ist. Während man im Kalten Krieg relativ eindeutig Fronten der Auseinandersetzung zuordnen konnte und sich die Dual-Use-Problematik auf die Verwendungen von Material beschränkte, ist dies aufgrund der Informationsbasis der Biomedizin gar nicht mehr möglich. Bedrohung entsteht hier in dem Zusammenhang, dem Kontext und der Absicht, in dem beziehungsweise mit der dieses Wissen verwendet wird. Dies stellt eine neue Herausforderung für die Sicherheitspolitik und für die ethische und gesellschaftliche Bewertung von biomedizinischer Forschung im 21. Jahrhundert dar. Aktuell wird diskutiert, ob Forschungen zulässig sind, die sehr grundlegende Fragen zur Übertragbarkeit und Pathogenität von Viren experimentell beantworten. Befürchtet wird zweierlei: zum einen, dass durch den ‚human factor’ oder andere Pannen mutierte pathogene Virenbestandteile physisch freigesetzt werden. Diese Gefährdung wird durch hohe Sicherheitsstandards in Laboren minimiert, so dass sie nicht passieren sollten, aber dennoch vorkommen: Nadelstichverletzungen und Laborinfektionen (zum Beispiel Ebola in Hamburg, 2009) oder Krankheitsausbrüche im Umkreis von Laboren (wie zum Beispiel die Fuß-Mund-Krankheit in Pirbright, 2007). Eine weitere Befürchtung ist, dass durch die wissenschaftliche Publikation dieser Grundlagenforschungen andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in die Lage versetzt werden, diese Erkenntnis nicht nur zum Guten, sondern auch missbräuchlich anzuwenden. Befürchtet wird, dass man die Kontrolle über dieses abstrakte Wissen verliert. Dem gegenüber stehen die Vorteile dieser Entwicklung: zum einen, dass man auf der Grundlage dieser Forschungen ein besseres Verständnis darüber bekommt, warum Viren so krankmachend und übertragbar sind und durch dieses Verständnis bessere Präventions- und Therapiemöglichkeiten entwickeln kann. Zum anderen ist die Publikation von wissenschaftlichen Ergebnissen eines der fundamentalen Prinzipien der Wissenschaft, die die kritische Auseinandersetzung und Bewertung überhaupt erst möglich machen. Die ethische und gesellschaftliche Bewertung dieser neuen wissenschaftlichen Möglichkeiten ist komplex und nicht einfach. In einem ersten Reflex möchte man all die Dinge verbieten, die Angst machen und einen Kontrollverlust bedeuten können. Diese reflexartige Antwort auf die neuen ethischen und sicherheitspolitischen Herausforderungen ist nicht adäquat und eher Ausdruck einer ‚Kehrwochenmentalität’.
Der Kontext entscheidet
Viren mutieren unablässig. Um mit neuen Krankheitsausbrüchen, die in anderen Teilen der Welt möglicherweise schon auftreten, und künftigen Pandemien besser umgehen zu können, ist ein gutes Verständnis der wissenschaftlichen Zusammenhänge nötig. Forschungen jetzt einzuschränken oder zu verbieten, kann sich als nachteilig erweisen, wenn gerade diese Kompetenz und dieses Wissen bei künftigen Ausbrüchen dringend gebraucht werden. Was gefährliche und besorgniserregende Forschung ist, entscheidet der Kontext: Während in den 1990er Jahren die Forschung zur Synthetisierung und Rekonstruktion des H1N1-Virus der Spanischen Grippe legitim und erwünscht war, wurde der gleichen Forschung nach 2001 das Potential zugemessen, Biowaffen zu produzieren; 2009 war Forschung an H1N1 wieder hoch angesehen, um den Ausbruch der Schweinegrippe besser zu verstehen und einzudämmen. „Forschung verbieten oder nicht?“ scheint nicht die angemessene Frage zu sein, weil die scharfe Trennung in ein Entweder-oder bei dieser Dual-Use-Forschung einfach nicht mehr gilt. Die neue Herausforderung an Gesellschaften und ihre wissenschaftlichen und ethischen Organe ist, die Dimensionen und Kontexte besser zu verstehen, die etwas als Bedrohung interpretierbar werden lassen und anderes nicht. Die Publikation von Dual-Use-Forschung zu unterbinden, ist in einer Zeit, in der Informationen schnell und dezentral ‚gepostet’ werden, nahezu gefährlich. Aus Sicht der Restriktion von Publikationen wird dem wissenschaftlichen Prozess ein wesentlicher Bestandteil der Qualitätssicherung und ein wichtiges Regulativ entzogen. Wenn ein breites wissenschaftliches Review fehlt, kann nicht von der wissenschaftlichen Expertise auf ein Gefährdungspotential hingewiesen werden. Mit der Restriktion von Publikationen nimmt man der wissenschaftlichen Gemeinschaft die Möglichkeit einer Risikobewertung und führt eine Diskussion über Bedingungen und Möglichkeiten der Prävention und der ‚Entschärfung’ von möglichen Gefahren ad absurdum. Mit der Restriktion der Forschungsergebnisse erreicht man daher keine sichere Wissenschaft, sondern - im Gegenteil - unsichere, von der fachkundigen Bewertung durch die Wissenschaftler ausgenommene Forschungsbereiche, die aufgrund der fehlenden allgemeinen wissenschaftlichen Bewertung erst zur Gefahr werden. Das weltweite Teilen von Daten zu Infektionsausbrüchen und zu genetischen Informationen ist ein wesentliches Erfolgsmoment der Infektionsbekämpfung. Das Management von Infektionsausbrüchen besteht maßgeblich darin, Information möglichst früh unter allen Beteiligten (politische Entscheidungsträger, wissenschaftliche Gemeinschaft) zu teilen und eine schnelle, transparente Kommunikation mit der Bevölkerung zu erreichen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen auf gemeinsame Datenbanken zugreifen, damit sie Ausbrüche identifizieren und diagnostische Tests für neue oder veränderte Erreger entwickeln können. Die Kommunikation mit der Bevölkerung über aktuelle und potentielle Gefährdung, über die Hintergründe von Entscheidungen, über Strategien der Risikominimierung sind ein zentrales Element der Infektionskontrolle und von widerstandsfähigen und starken Gesellschaften.
Verbieten ist keine Option
Die Möglichkeiten der synthetischen Biologie versetzen uns schon jetzt in die Lage, auf Basis von Sequenzinformationen virale Genome zu synthetisieren. Diese Kapazitäten werden sich in den kommenden Jahren noch verstärken. Insofern sollte in naher Zukunft ein intensiver Diskussionsprozess innerhalb der Organe der Wissenschaft aber auch zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit um die Chancen und Risiken wissenschaftlicher Forschung entstehen. Dies sollte dazu beitragen, die Wissenschaft stärker in die Gesellschaft einzubinden. Es ist zunächst erforderlich, die neuen Dimensionen dieses Dilemmas besser zu verstehen, um so zu Lösungsmöglichkeiten zu kommen, die der aktuellen Problematik angemessener sind. Verbieten, Einschränken, Wegsperren sind keine adäquaten Optionen für demokratische Gesellschaften. Risikokommunikation wird dabei als Möglichkeit verstanden, einen langfristigen, verständnisbildenden Diskurs innerhalb der Gesellschaft über die Möglichkeiten und Gefahren wissenschaftlichen Wissens zu führen. Dieser Metadiskurs berührt nicht nur die zentralen Inhalte der Wissenschaften, sondern gibt auch Auskunft über die Gesellschaft, in der diese Diskurse so geführt werden. Er ermöglicht damit, aus einer reflexiven und reflektierten Position heraus, gesellschaftlichen und sicherheitspolitischen Entscheidungen eine andere Grundlage zu geben. Gesellschaften stärker und widerstandsfähiger - kurz: resilienter - zu machen, ist das langfristige Ziel der Risikokommunikation. Für die Beratungs- und Entscheidungsorgane der Gesellschaft bedeutet dies zum einen auszuhalten, dass die bisherigen Reaktionsmuster auf Gefahren (Verbote, Restriktion, et cetera) bei dieser neuen Problematik einfach nicht mehr funktionieren, und zum anderen die intellektuelle Stärke, innovative Kreativität und Geduld bei der Suche nach neuen, adäquaten Antworten mitzubringen. Die neuen biomedizinischen Möglichkeiten sind riskant. Nur gute Risikokommunikation versetzt Gesellschaften in die Lage, diese Möglichkeiten besser zu verstehen und zu lenken und die Risiken auszuhalten, indem sie Gesellschaften resilienter macht.
Petra Dickmann ist Gründerin und Direktorin von „dickmann risk communication - drc“ (www.dickmann-drc.com). 2012 erschien von ihr „Biosecurity - Biomedizinisches Wissen zwischen Sicherheit und Gefährdung“, transcript Verlag, Bielefeld. ISBN 978-3-8367-1920-1.
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