Kein Tauschhandel mit reproduktiven Rechten
Schwangerschaftsabbruch und Fortpflanzungsmedizin getrennt verhandeln!
Am Montag, den 15.04., hat die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin nach einjähriger Arbeit ihren Abschlussbericht vorgelegt.
"This is not property of the government" Gayatri Malhotra via unsplash.com
Zuvor waren in zwei Arbeitsgruppen Möglichkeiten zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuches (AG1) sowie eine eventuelle Legalisierung von Eizelltransfer und altruistischer Leihschwangerschaft (AG2) geprüft worden.
Dass aber beide Themen überhaupt innerhalb einer Kommission verhandelt wurden, wird der Komplexität nicht gerecht und verzerrt die öffentliche Wahrnehmung.
Zum Thema Schwangerschaftsabbruch gibt es in Deutschland eine lange zurück reichende öffentliche Debatte und eindeutige Leitlinien, wie etwa jene der WHO. Bei den verhandelten reproduktionsmedizinischen Methoden ist dies nicht gegeben. Im Gegensatz zur AG 1 hat die zweite Arbeitsgruppe unter der Leitung von Claudia Wiesemann auch auf die Anhörung von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen und Fachverbänden verzichtet.
Diese gesellschaftliche Debatte muss nun dringend nachgeholt werden – dazu gehört auch, dass die medizinischen Risiken und das ökonomische Gefälle, innerhalb dessen Eizelltransfer und Leihschwangerschaft stattfinden, sowie die Gewinnorientierung der beteiligten Akteur*innen wie Fertilitätskliniken, Versicherungen und Vermittlungsagenturen stärker in den Blick genommen werden müssen.
Beim Schwangerschaftsabbruch geht es um die Wahrnehmung der Entscheidung über den eigenen Körper, bei Eizelltransfer und Leihschwangerschaft geht es um die Erfüllung eines Wunsches, der außerhalb des eigenen Körpers liegt – dem nach einem Kind. Dabei wird auf körperliche Dienstleistungen Dritter zurückgegriffen, für die dadurch ein gesundheitliches Risiko besteht.
Diese beiden Themen sollten nicht gemeinsam verhandelt werden. Aber erst recht sollte kein politischer Tauschhandel stattfinden, in dem die FDP einer Liberalisierung beim Schwangerschaftsabbruch nur zustimmt, wenn es im Bereich Reproduktionstechnologien zu weitreichenden Veränderungen kommt. Wir fordern, dass die Verhandlungen separat geführt werden!
Zur AG 1: Regelungsbedarfe bei der medizinischen Indikation und beim Fetozid – behindertenfeindliche Selbstverständlichkeiten müssen angegangen werden!
Das Gen-ethische Netzwerk begrüßt die Klarstellung durch die Kommission, dass eine grundsätzliche Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs, vor allem in der Frühphase der Schwangerschaft, unhaltbar ist und spricht sich dafür aus, dass der aufgezeigte gesetzgeberische Spielraum zu Gunsten der Belange ungewollt Schwangerer genutzt wird und ihre Handlungsfähigkeit fokussiert. Das Ziel sollte der Abbau von Zugangshemmnissen sein, sodass Abbrüche so früh wie möglich durchgeführt werden können. Dazu gehört auch, das Ersetzen der Pflichtberatung durch ein Recht auf Beratung. Wir hoffen, dass sich in dem mit dem Kommissionsbericht begonnenen Prozess weiterhin an den medizinischen Maßstäben orientiert wird, was die Setzung etwaiger Fristen angeht, und sehen hier ebenfalls eine mögliche Grenze bei der extrauterinen Lebensfähigkeit.
Ebenfalls begrüßen wir, dass die Kommission Regelungsbedarfe bei der Ausgestaltung der medizinischen Indikation sowie beim Fetozid sieht, diese Problemlagen haben wir auch bereits in unserer Stellungnahme1 vor der AG1 ausführlich erläutert . Hierzu heißt es unter anderem: „Der Gesetzgeber sollte diese Problemlagen überdenken und die medizinische Indikation einschließlich der Fälle embryo- bzw. fetopathischer Befunde neu regeln. Dabei wird er auch zu erwägen haben, ob er den Schwangerschaftsabbruch bei einem embryo- bzw. fetopathischen Befund wieder als eigenständigen (Erlaubnis-)Tatbestand regelt. Dies wirft unter anderem die Frage auf, ob ein solchermaßen begründeter Schwangerschaftsabbruch mit dem Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG vereinbar ist.“2 Eine Wiedereinführung der embryopathischen Indikation erachten wir als unverantwortbar. Die Abschaffung der embryopathischen Indikation in den 1990er Jahren war ein großer Erfolg der Behindertenbewegung, die Schwangerschaftsabbrüche allein auf Grundlage einer Behinderung des Fötus zu Recht als behindertenfeindliche Selektion kritisierte. Neben dem Grundgesetz kann hier auch Artikel 8 der von Deutschland 2008 ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention herangezogen werden, wonach „in der gesamten Gesellschaft, einschließlich auf der Ebene der Familien, das Bewusstsein für Menschen mit Behinderungen zu schärfen und die Achtung ihrer Rechte und ihrer Würde zu fördern“3 sind – dazu gehört auch, dass nicht durch die Gesetzgebung der Eindruck entstehen darf, dass die Geburt behinderter Kinder gesellschaftlich unerwünscht ist.
Allerdings fanden pränatale Diagnosen Eingang in die neugefasste medizinische Indikation, auch wenn hier zumindest offiziell der Fokus auf der psychischen Gesundheit der Schwangeren liegt und nicht auf dem Fötus. Die Kommission trägt der Unklarheit dieser Rechtslage Rechnung und stellt auch die generelle Annahme einer automatischen psychischen Belastung durch Vorliegen eines auffälligen pränataldiagnostischen Befundes in Frage.
Wir sehen allerdings mit Sorge, dass die Kommission hier eine mögliche Lösung darin sieht, einheitlich festzulegen „ob und unter welchen Voraussetzungen ein Schwangerschaftsabbruch bei einem schwerwiegenden pränataldiagnostischen Befund, etwa bei einer diagnostizierten schwerwiegenden und nicht heilbaren Krankheit des Fetus (vgl. § 3a Abs. 2 ESchG), zumal wenn sie mit hoher Wahrscheinlichkeit zum frühen Tod nach der Geburt führt oder mit der Aussicht auf ein durch Leid und Schmerz geprägtes Leben einhergeht, unabhängig von einer eigenen Gefährdung der Frau auf ihr Verlangen zulässig ist.“ Hierin sehen wir die Gefahr der Einführung von Listen mit Diagnosen, die dann als unzumutbar gelten. Die Entstehung solcher Listen könnte in die Fahrwasser der Unwerturteile des NS führen. Im Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik war immer wieder betont worden, dass es nicht zu derartigen Listen kommen dürfe – dies muss unbedingt auch für Schwangerschaftsabbrüche bei auffälligen pränatalen Befunden gelten.
Eine medizinische Indikation, auch auf Grundlage der psychischen Situation der schwangeren Person, ist unabdingbar. Aus dem pränataldiagnostischen Befund aber automatisch eine Unzumutbarkeit abzuleiten, ist behindertenfeindlich.
Tatsächlich sollte eher die Position Schwangerer bei anderen psychischen Belastungen gestärkt werden: Erhebungen zeigen, dass eine Indikationsstellung infolge einer pränatalen Diagnose einfacher und häufiger ausgestellt wird, als bei einer psychischen Belastung Schwangerer, die nicht aus einem auffälligen Befund abgleitet wird.4 Tests auf Behinderungen stellen diese prinzipiell als vermeidungswürdig dar. Werden diese in die Regelversorgung übernommen, suggeriert das den Schwangeren, der Gesellschaft und den Menschen, die mit dieser Behinderung leben, dass es gesellschaftlich angestrebt wird, die Geburt von Menschen mit dieser Behinderung zu verhindern.
Statt über eine Ausdifferenzierung einer veränderten medizinischen Indikation, muss diese Praxis über strengere gesetzliche Vorgaben im Bereich der Pränataldiagnostik und neue Zulassungsverfahren für pränataldiagnostische Tests reguliert werden.
Zur AG 2: Keine eindeutigen Empfehlungen bei Eizelltransfer und Leihschwangerschaft – öffentliche Debatte muss dringend nachgeholt werden!
Anders als beim Thema Schwangerschaftsabbruch trifft der Abschlussbericht der AG 2 zu Eizelltransfer und Leihschwangerschaft auf eine weniger vorbereitete Öffentlichkeit. Informationen zu den medizinischen Risiken und ethischen Abwägungen müssen dringend weitere Verbreitung finden, damit eine gesellschaftliche Debatte auf sachlicher Basis stattfinden kann.
Das Gen-ethische Netzwerk möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass es sich bei dem Bericht um ein Ausloten des rechtlichen Spielraums handelt, der Gesetzgeber ist gefordert, diesen Spielraum nach reiflicher Abwägung zu nutzen – er muss ihn jedoch keinesfalls ausreizen.
Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Kommissionsbericht beim Thema Eizelltransfer zwischen unterschiedlichen Szenarien unterscheidet. Besonders hervorzuheben sind hier die ROPA-Methode, bei der innerhalb einer Partner*innenschaft eine Person ihre Eizellen zur Befruchtung entnehmen lässt und die andere Person diese austrägt, sowie die Nutzung überschüssiger Eizellen durch Dritte nach eigener IVF-Behandlung. Bei beiden Methoden handelt es sich um medizinische Behandlungen, die in erster Linie (oder vollständig) der Erfüllung des eigenen Kinderwunsches dienen. Davon unterscheidet sich die Entnahme von Eizellen, die von vornherein zur Herbeiführung einer Schwangerschaft (fremder) Dritter gedacht ist.
Eine Abwägung der Zulässigkeit und der medizinethischen Aspekte muss hier unserer Meinung nach entsprechend unterschiedlich ausfallen, gleiches gilt für die gesundheitlichen Risiken bei einer Leihschwangerschaft. Hinsichtlich des Eizelltransfers räumt der Bericht zwar gewisse gesundheitliche Risiken ein und bestätigt, dass die Datenlage unzureichend ist, um weitere Risiken zuverlässig auszuschließen – allerdings wird daraus kein Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Legalisierung des fremdnützigen Eizelltransfers abgeleitet. Dabei sollte hier eigentlich das Vorsorgeprinzip gelten!
Die Interessen und vor allem die körperliche Unversehrtheit jener Personen, die ihre Eizellen zur Verfügung stellen, haben unserer Ansicht nach einen zu geringen Stellenwert in der Abwägung der Kommission. Bei der Betrachtung der Fortpflanzungsmedizin im Licht der medizinethischen Grundprinzipien werden Eizellgeber*innen etwa als „Dritte“ betrachtet – die eigentlichen Patient*innen scheinen hier die Wunscheltern zu sein.
Der Bericht erkennt zwar an verschiedenen Stellen sowohl das ökonomische Gefälle zwischen Eizellgeber*innen/Leihschwangeren auf der einen Seite und Wunscheltern auf der anderen Seite sowie die unterschiedlichen Möglichkeiten zur (eventuell auch gerichtlichen) Durchsetzung ihrer Rechte an – tatsächliche Antworten findet sie darauf aber nicht. Unterbeleuchtet bleibt der Aspekt des enormen Gewinnpotenzials weiterer Parteien: Fertilitätskliniken, Versicherungen und Vermittlungsagenturen. So enthalten die Empfehlungen keine Vorschläge zur Regulierung dieses Marktes, obwohl hier große Wachstumsraten prognostiziert werden und Gewinne auf Grundlage der körperlichen Dienstleistung Dritter gemacht werden,5 die das gesundheitliche Risiko für den Kinderwunsch anderer auf sich nehmen.
Unbeantwortet bleibt auch die Frage, wie mit reproduktiven Reisen in Zukunft umgegangen werden soll. Die Beispiele anderer Länder zeigen deutlich, dass eine Legalisierung in der Regel nicht zu einer Abnahme der reproduktiven Auslandsreisen führt, häufig ist sogar das Gegenteil der Fall. Mit einer weitreichenden Legalisierung könnte Deutschland zu einem verstärkten Motor für das Wachstum ausbeuterischer Verhältnisse werden – auch anderswo.
Im Bericht werden die Familiengründungen queerer Menschen häufig als Argument für eine Legalisierung dieser Praktiken hervorgebracht. Dabei lässt der Bericht außer Acht, dass es sich hier um eine Verbesserung für eine vergleichsweise kleine, privilegierte Gruppe handelt: nämlich jene, die sich die Inanspruchnahme dieser Technologien leisten können – denn auch wenn Eizellgeber*innen und Leihschwangere nur eine Aufwandsentschädigung erhalten sollten, sind die Kosten für die damit verbundenen medizinischen Behandlungen für die meisten Menschen schlicht zu teuer.
Die Ansatzpunkte für eine gerechte Familienpolitik liegen woanders – in Ansätzen wie der Kindergrundsicherung, mehr bezahlbarem Wohnraum, Kinderbetreuung und auch in der rechtlichen Anerkennung unterschiedlicher Familienformen.
Soziale Probleme lassen sich nicht mit technologischen Lösungen beantworten. Und in manchen Fällen sind letztere fatal. Wir brauchen mehr echte Bemühungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Unterstützung für arme Familien und ein generelles Infragestellen des Kleinfamilienmodells, statt eine Ausweitung von Fortpflanzungstechnologien. Und wir brauchen Investitionen in Inklusion, statt Kassenübernahmen selektiver Pränataldiagnostik!
- 1Stellungnahme des gen-ethischen Netzwerks vom 10.10.23: https://event.ptj.de/lw_resource/datapool/systemf…
- 2Bericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin (2024), online: https://www.bmj.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Fa… [letzter Aufruf 16.04.24]
- 3Zitiert nach: https://www.behindertenrechtskonvention.info/uebe…
- 4Pro familia Bundesverband (2022): Klinische Angebote zum Schwangerschaftsabbruch im zweiten und dritten Trimenon (KAST). Abschlussbericht des Forschungsprojekts im Zeitraum 1. August bis 31. Dezember 2021. Online: https://www.profamilia.de/fileadmin/publikationen… Schwangerschaftsab- bruch/hintergrund_KAST_2021.pdf [letzter Zugriff: 15.04.2024]
- 5Herb, Irina (2023): Wenn Wall Street & Co. bei der Schwangerschaft mitreden. Online: https://www.gwi-boell.de/de/2023/09/01/wenn-wall-… [letzter Zugriff: 15.02.24]
Jonte Lindemann ist Mitarbeiter*in des GeN und Redakteur*in des GiD.