Rezension: Die Geburt moderner Biopolitik
„Enlightenment Biopolitics” von William Max Nelson
In „Enlightenment Biopolitics. A History of Race, Eugenics, and the Making of Citizens” zeichnet der US-amerikanische Historiker William Max Nelson die Ideengeschichte des modernen biopolitischen Denkens nach – bis ins Zeitalter der Aufklärung. Die europäische Aufklärung wird oft mit emanzipatorischen Idealen wie Freiheit und Gleichheit verknüpft, obgleich sie auch koloniale Expansion, weißes Überlegenheitsdenken, Unterdrückung und Gewalt hervorbrachte. Mit seinem Fokus auf eugenische Visionen aus dieser Zeit zeigt Nelson auf, dass diese scheinbar widersprüchlichen Leitgedanken nicht einfach nebeneinander existierten, sondern miteinander verwoben waren. Die vermeintliche Wissenschaftlichkeit von Theorien der Ungleichheit lieferten die Legitimation für Ausbeutung und Unterdrückung ebenso wie die Basis für diverse Vorstöße für Programme, die einen besseren Menschen heranzüchten sollten. Nelsons Ausführungen verdeutlichen, dass der Gedanke von der Kontrolle über Körper – sei es der einzelne oder der kollektive einer Bevölkerung – konstitutiv für die Gedankenwelt dieser Epoche war. Indem er sich einer Einordnung der europäischen Aufklärung als entweder fundamental repressiv oder emanzipatorisch verwehrt und die Formation eugenischen Denkens in den Mittelpunkt seiner Analyse stellt, gelingt Nelson eine dritte, gewinnbringende Perspektive – sowohl auf die Epoche selbst als auch auf deren Bedeutung für das Denken der Gegenwart.
Nelson, W. M. (2024): Enlightenment Biopolitics. A History of Race, Eugenics, and the Making of Citizens. The University of Chicago Press, 328 Seiten, Englisch, 37,80 Euro, ISBN: 978-0-226-82558-8.
Jonte Lindemann ist Mitarbeiter*in des GeN und Redakteur*in des GiD.
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