Kurznachrichten - zu kurz gegriffen?
Selbstkritische Reflexionen von GID-RedakteurInnen
Ein paar selbstkritische Reflexionen von GID-RedakteurInnen beim Verfassen der Kurznachrichten - und zu unserem Umgang mit Medienmacht im Wissenschaftssektor.
Nur kalter Kaffee?
09:00 Uhr, warmer Kaffee, ich fahre langsam hoch, der Rechner auch. Ein erster Klick aufs eMail-Fach, die digitale Flut beginnt. Neues Gen für Alkoholsucht; Spender-Eier fürs Klonen und Affenchimären in den USA, BASF steckt auch schon wieder in neuen Machenschaften. Irgendeine chinesische Forschergruppe bastelt etwas aus embryonalen Stammzellen. Oder zumindest tun die so, wer weiß das schon. Es reicht, wenn eine darüber schreibt, dann schreiben alle darüber, schon alleine, weil es komisch kommt, wenn man als Einzige nicht darüber schreibt. Das sieht dann aus, als hätte man etwas Wichtiges verpasst. Zumindest so funktioniert sie, die Kontrolle durch die Medien. Aber wir sind eine kritische Zeitung, wir filtern; ungefilterte Nachrichten sind wie ungefilterter Kaffee, den kann keiner trinken. Filtern zu können, das gibt ein gewisses Gefühl von Macht. Wir können bestimmen, wie viele Stammzell-News durch unseren Tastenfilter sickern, wir können sie mit Kommentaren spicken, bevor wir sie neu aufbrühen und unserer Leserschaft servieren. Nicht ganz brandheiß versteht sich, aber dafür mit Herkunftsgarantie. Nicht wenige solcher Hypes und Hopes konnten wir als Seifenblasen eines überschäumenden Kaffee-, pardon Kapitalmarktes enttarnen. Dennoch: Der kleine Anflug an Selbstzufriedenheit kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir nicht an der Quelle sitzen. Was in den Nachrichtenkanälen fließt, bestimmen andere, unsere „Gegner“, wenn man so will, die lustig weiter ihre PR-Geschichten in die eMail-Fächer gießen. Und im PR-Geschäft stören kritische Berichte nicht, Bad News are Good News, und Good News sind Aktien. Mein Alltag hier besteht dagegen zum großen Teil aus dem, was ich nicht will, aus immer wieder aufgekochten Stories von magischen Therapieansätzen und längst verbrannten Genkonstrukten. Und da beschleicht mich doch manchmal der Gedanke: was wäre, wenn ALLE den Gen-Spam einfach auf einen Schlag gemeinsam stoppen: Keine Stammzellnachrichten, keine Klon-News, keine Schlagzeile für die BASF?! Nach der Logik des Medienzeitalters GIBT es die Gentechnik dann einfach nicht!!! Stattdessen reicht eine einzige Zeile: Gentechnik ist wie kalter Kaffee, die Welt braucht sie nicht. (mf)
Wenn ich Zeit habe…
Oh, schon wieder ein neuer GID fällig! Kurznachrichten müssen her - was fällt den „Anderen“ auf: bei Bionews reingucken oder doch Biopolitical Times? Eigentlich wär's mal wieder Zeit, selbst die wissenschaftlichen Zeitschriften zu wälzen und die Online-Ableger der Wissenschaftsjournale zu checken. Aber dafür scheint nie Zeit übrig zu sein. Die reicht höchstens noch für die Editorials, die meine Aufmerksamkeit lenken wollen. Welche Nachrichten springen mich an? Klar gibt es Lieblingsthemen - das Neueste vom Epigenetik-Hype, iPS enttäuschen mal wieder, Gentests für das Absurde. Und genauso gibt es Meldungen, die an mir vorbeiziehen: neues Patent für xy - wäre eigentlich wichtig, aber für mich zu komplex, dann doch lieber... Hin und wieder regt sich aber doch mein alter Ehrgeiz: selber checken, was haben die „Anderen“ übersehen, was steht in den Primärquellen? Was verschweigen die Editorials? In den Originalveröffentlichungen nachschauen: Wo haben die ForscherInnen getrickst? Die Zeit ist dafür aber oft nicht da, da geht doch auch Umschreiben. Und komplettieren mit den Standardfragen: Wem nützt‘s? Wo steckt das Geld? Alles hübsch online recherchiert, die sichtbare Oberfläche. Aber das Investigative? - das kommt oft zu kurz. (we)
Dem Marketing aufgesessen
Im GID Nr. 195 schrieb ich eine Kurznachricht mit dem Sensationstitel: „Künstliche Spermien im Stammzellkarussell“. Es ging um ein Forscherteam in Newcastle, dessen Leiter behauptet hatte, Spermienzellen aus embryonalen Stammzellen hergestellt zu haben. Im Titel der Kurznachricht übernahm ich die Vision des Forscherteams - auch wenn ich den Nachrichtentext mit der Anmerkung eines anderen Wissenschaftlers garnierte, die Spermienähnlichkeit dieser Zellen sei nicht genug belegt. Ich saß also dem Hype auf, der die Nachricht auch in die Schlagzeilen von BBC und Spiegel gespült hatte. Einen Monat später zog der Herausgeber der Zeitschrift Stem Cells and Development, die das alles losgetreten hatte, den Artikel wieder zurück - und ich im GID 196 gleich hinterher: „Spermienähnliche Zellen waren Plagiat“. Interessantes Detail: Grund für die Rücknahme des Artikels war nicht das Marketing, das die Zeitschrift selbst betrieben hatte: Im Titel war von „menschlichen Spermien“ die Rede, im Text etwas abgeschwächt von „spermienähnlichen Strukturen“. Grund war vielmehr, dass zwei Absätze im Artikel identisch waren mit früheren Veröffentlichungen in der Zeitschrift, ohne dass die AutorInnen dies kenntlich gemacht hatten. Wie gehe ich mit solchen Nachrichten um? Mein kritisches Denken schwankt zwischen zwei Polen. Auch ich war fasziniert von der Vorstellung „künstlicher Spermien“ - und von den Distopien, die mit dem Gedankenexperiment aufscheinen. Im Hier und Jetzt geht es aber zunächst darum, den wissenschaftlichen Größenwahn zu entlarven. Da hätte ich lieber die „spermienähnlichen Strukturen“ aus dem Text der Zeitschrift ernst nehmen und nicht den marktschreierischen Titel reproduzieren sollen. (sus)
Monika Feuerlein ist freie Journalistin und arbeitete mehrere Jahre lang als Redakteurin für den Gen-ethischen Informationsdienst (GID).
Susanne Schultz lehrt Soziologie an der Goethe-Universität Frankfurt a. M., forscht zu Demografiepolitik, ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Rosa Luxemburg Stiftung und promovierte zum Thema Frauengesundheitsbewegungen.
Uwe Wendling ist Mitarbeiter des Gen-ethischen Netzwerk.
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