Agro-Gentechnik – vom Hof auf den Tisch?

EU-Kommission veröffentlicht Arbeitsschwerpunkte in Land- und Lebensmittelwirtschaft

Mit der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ will die EU-Kommission die Nachhaltigkeit der europäischen Landwirtschaft verbessern. Die Gentechnik wird darin – wenn überhaupt – einen marginalen Platz einnehmen. Die Zivilgesellschaft muss trotzdem auf der Hut sein.

Demo 2014

Foto: Wir haben es satt 2014, BUNDjugend (CC BY 2.0)

Neue wie alte Gentechniken werden in der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ („Farm to Fork“) der Europäischen Kommission keine wesentliche Rolle spielen. Das geht aus einem Anfang März bekannt gewordenen Leak eines EU-Dokumentes1 hervor, das dem GID in Auszügen vorliegt. Darin heißt es: „Neue, innovative Techniken, auch aus den Biotechnologien, könnten bei der Verbesserung der Nachhaltigkeit eine Rolle spielen, vorausgesetzt dass sie sicher für die Konsument*innen und die Umwelt sind und Vorteile bringen können für die Gesellschaft insgesamt. Die EU-Kommission erstellt [aktuell] eine Studie, um das Potenzial neuer Genom-Techniken zu ermitteln, die Nachhaltigkeit entlang der Lebensmittel-Kette zu verbessern.“

„Vom Hof auf den Tisch“ für mehr Nachhaltigkeit?

Auch wenn „könnten eine Rolle spielen“ (im Original: „may play“) eine sehr schwache Formulierung ist, setzt sich fort, was sich bereits in den Verlautbarungen der vergangenen Monate andeutete: Die neue Kommission hält sich zum Einsatz von Gentechniken in Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion auf Distanz, legt sich aber auch nicht fest. Die Gentechniken hatten schon in dem sogenannten „Mission letter”2 von Ursula von der Leyen an Stella Kyriakides keine, in Kyriakides‘ Befragung durch das Europäische Parlament oder in deren späteren öffentlichen Statements nur eine sehr marginale Rolle gespielt. Das ist besonders vor dem Hintergrund aktueller Auseinandersetzungen um die Regulierung neuer Gentechnikverfahren interessant. Verschiedene Organisationen aus Wissenschaft und Wirtschaft forderten in den vergangenen Jahren von der EU-Kommission eine Neu- beziehungsweise De-Regulierung von CRISPR und Co. Zuletzt zum Beispiel in Deutschland die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina gemeinsam mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG und der Union der Akademien der Wissenschaften.3

Die Zurückhaltung der neuen Kommission bezüglich des Einsatzes der Gentechniken in der Landwirtschaft wird möglicherweise auch am besten dem Umstand gerecht, dass die Kommission in den kommenden zwölf Monaten zunächst eine Studie zu den neuen Gentechniken erstellen wird.4 Darum hatte sie der Europäische Rat, das Gremium der Regierungen der Mitgliedstaaten im Brüsseler Institutionen-Gemenge, gebeten. Gleichzeitig – um den Brüssel-Sprech in einem weiteren Detail zu entschlüsseln – ist in dem genannten Absatz nur vom „Potenzial neuer Genom-Techniken“ die Rede, nicht von deren Risiken. So oder so verwundert es also nicht, wenn „Vom Hof auf den Tisch“ in Bezug auf Gentechniken vage bleibt.

Mit der Vorstellung der ersten Details der Strategie wollte sich die Kommission im März wieder ein Stückchen mehr in die Karten blicken lassen, was sie in den nächsten Jahren in Land- und Lebensmittelwirtschaft für wesentlich hält. Die Coronakrise hat einen Strich durch diese Planungen gemacht. Bisher gibt es nur ein buntes Informationsblättchen5 und eine kurze Rede von Kyriakides.6 Demzufolge soll mit der „Vom Hof auf den Tisch“-Strategie die Versorgung der Europäer*innen mit erschwinglichen und nachhaltigen Lebensmitteln gewährleistet, der Klimawandel bekämpft, die Umwelt geschützt, die Biodiversität erhalten und der Anteil des ökologischen Landbaus erhöht werden. Kyriakides hat drei Themen ausgemacht, in denen sie besonders aktiv werden will: Pestizide, Düngemittel und Antibiotika – alle drei sollen in ihrem Verbrauch reduziert werden; und alles sind Themen, bei denen die neuen – und auch die alten – Gentechniken nach dem Stand der Dinge nicht helfen können.

Inwieweit die Kommission überhaupt Handlungsspielräume nutzen kann, um die Bereitstellung von Lebensmitteln nachhaltiger zu gestalten, hängt in weiten Teilen auch davon ab, wie sie dieses Ziel in die Verhandlungen über die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union einbringt. Der Zeitplan der GAP – ohne Verzögerungen durch die Corona-Pandemie – sieht vor, dass diese Verhandlungen, an denen Kommission, Parlament und Rat beteiligt sind, bis Mitte des Jahres beendet sind, damit die Ergebnisse im kommenden Jahr in Kraft treten können. Im Rahmen der GAP wird etwa ein Drittel des EUHaushalts verteilt, das heißt etwa 60 Milliarden Euro im Jahr. Von diesen Summen gehen erhebliche Steuerungswirkungen aus. Soll die „Vom Hof auf den Tisch“-Strategie überhaupt eine Wirkung für eine nachhaltigere Landwirtschaft entfalten, kann sie nicht unabhängig von der GAP geplant werden.7

Europäischer Grüner Deal

„Vom Hof auf den Tisch“ ist Teil des europäischen Grünen Deals. Dieser Deal enthält die Grundzüge des Arbeitsprogramms der EU-Kommission für ein nachhaltiges Europa. Die Kommission hatte diesen bereits im vergangenen Dezember vorgestellt.8 Klimaneutralität des ganzen Kontinents bis 2050 heißt das alles überragende Ziel des europäischen Grünen Deals.

Allerdings ist der europäische Grüne Deal wiederum nur eine von sechs Prioritäten der Kommission von Ursula von der Leyen. Die anderen sind „Eine Wirtschaft im Dienste der Menschen“, „Ein Europa für das digitale Zeitalter“, die „Förderung unserer europäischen Lebensweise“, „Ein stärkeres Europa in der Welt“ und „Neuer Schwung für die Demokratie in Europa“.9

Fazit

Die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ steht im Zentrum der in die Zukunft weisenden Projekte für die europäische Landwirtschaft. Gentechniken werden aller Voraussicht nach nur eine kleine Rolle spielen. Das ist im Sinne der europäischen Bäuer*innen, die gentechnikfrei produzieren wollen und ebenso im Sinne der gentechnikkritischen Zivilgesellschaft – inklusive der Verbraucher*innen.

  • 1EU-Kommission (2020): A Farm to Fork Strategy. Communication from the Commission; (Entwurf, keine offizielle Veröffentlichung).
  • 2Als mission letter wird im Kontext der EU-Kommission ein Brief bezeichnet, in dem ein*e neu gewählte*r EU-Kommissionspräsident*in das Arbeitsfeld ihrer neuen Kommissar*innen beschreibt. Siehe zum Beispiel der Brief von Ursula von der Leyen an Stella Kyriakides. Online: www.ec.europa.eu oder www.kurzlink.de/gid253_zz [letzter Zugriff: 24.03.2020].
  • 3Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Union der deutschen Akademien der Wissenschaften und Deutsche Forschungsgemeinschaft (Hg.) (2019): Wege zu einer wissenschaftlich begründeten, differenzierten Regulierung genomeditierter Pflanzen in der EU. Online: www.leopoldina.org oder www.kurzlink.de/gid253_ss [letzter Zugriff: 27.03.2020].
  • 4EU-Kommission (ohne Datum): EC study on new genomic techniques. Online: https://ec.europa.eu/food/plant/gmo/modern_biotech/newgenomic- techniques_en oder www.kurzlink.de/gid253_tt [letzter Zugriff: 20.03.2020].
  • 5EU-Kommission (2019): Vom Hof auf den Tisch. Der europäische Grüne Deal. Online: www.ec.europa.eu oder www.kurzlink.de/gid253_yy [letzter Zugriff: 20.03.2020].
  • 6EU-Kommission (10.12.2019): Opening Speech at the 2019 EU Agricultural Outlook Conference – Sustainability from farm to fork. Online: www.ec.europa.eu oder www.kurzlink.de/gid253_xx [letzter Zugriff: 26.03.2019].
  • 7Zur GAP im Jahre 2020 siehe zum Beispiel Christian Rehmer (2020): Zwischen Kuhhandel und Pokerspiel. Die Verhandlungen zur zukünftigen EU-Agrarpolitik. In: Agrarbündnis e.V. (Hg.): Kritischer Agrarbericht 2020. Online: www.kritischer-agrarbericht.de oder www.kurzlink.de/gid253_ww [letzter Zugriff: 20.03.2020].
  • 8EU-Kommission (2019): The European Green Deal sets out how to make Europe the first climate-neutral continent by 2050 (…). Online: www.ec.europa.eu oder www.kurzlink.de/gid253_zj [letzter Zugriff: 20.03.2020].
  • 9EU-Kommission (ohne Datum): 6 Commission priorities for 2019-24. Online: www.ec.europa.eu oder www.kurzlink.de/gid253_uu [letzter Zugriff: 20.03.2020].
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
253
vom Mai 2020
Seite 23 - 24

Christof Potthof war bis Ende April 2020 Mitarbeiter im GeN und Redakteur des GID.

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