Genetischer Datenschutz

Risiken und Nebenwirkungen wachsender DNA-Datenbanken

Die Sammlung von Gendaten für die Forschung, in polizeilichen Datenbanken und für kommerzielle Zwecke hat in den letzten Jahren rasant zugenommen. Im Zuge der ebenfalls wachsenden Analysemöglichkeiten, gewinnt der Schutz der genetischen Privatsphäre immer größere Bedeutung.

Graffiti Überwachungskamera

Foto: gemeinfrei auf unsplash.com (Q2-EQDwxFtw)

Genetische Proben und Daten enthalten hochsensible Informationen über biologische Verwandtschaft, Erkrankungsrisiken, Beeinträchtigungen und Abstammung von Betroffenen. Sie sind lebenslang identifizierend und unveränderbar. Die europäische Datenschutzgrundverordnung reguliert sie daher aufgrund ihrer Sensibilität als besondere Kategorie personenbezogener Daten (Art.9). In Deutschland soll das Gendiagnostikgesetz (GenDG), das im Februar 2010 in Kraft trat, eine Benachteiligung aufgrund genetischer Eigenschaften verhindern und die informationelle Selbstbestimmung von Betroffenen schützen.

Mehr als ein Jahrzehnt später bauen eine Vielzahl von Firmen ihre Geschäftsmodelle darauf auf, mithilfe von Angeboten für Lifestyle- oder Abstammungsgentests, die Daten von Millionen von Kund*innen zu sammeln und weiter zu verwerten. Seit der Aufnahme von Nicht-invasiven Pränataltests in die Schwangerschaftsvorsorge bekommen Herstellerfirmen Zugriff auf die genetischen Informationen von Menschen, noch bevor diese geboren sind. Zudem gilt das GenDG nicht für DNA-Sammlungen für Forschungszwecke, und Großprojekte sammeln biologische und genetische Daten von hunderttausenden Proband*innen für zum Teil unbestimmte zukünftige Forschungsziele.

Gleichzeitig entstehen durch die erweiterten technologischen Möglichkeiten neue Forschungsfelder wie die „genetischen Sozialwissenschaften“, bei denen sog. polygene Risikoscores für soziale Charakteristika berechnet werden. Immer neue Studien erscheinen, die Beweise für eine genetische Veranlagung von Bildungserfolg, Religiosität oder Sexualität vorlegen. Es braucht nicht viel Kreativität um sich vorzustellen, wie solche Ergebnisse zur Diskriminierung von Individuen oder Gruppen eingesetzt werden können – ganz unabhängig davon wie korrekt die Wissenschaft dahinter tatsächlich ist.

Sowohl wegen der vielfältigen Nutzungsoptionen menschlichen Erbguts als auch aufgrund der diversen problematischen Zugriffsmöglichkeiten auf DNA-Daten kann dieser Schwerpunkt nur einige Aspekte von DNA-Datenschutz zusammentragen. Der Bioinformatiker Dr. Zhiyu Wan gibt, zusammen mit weiteren Ko-Autor*innen, einen Einblick in mögliche Bedrohungsszenarien für den Schutz von Gendaten in verschiedenen Kontexten. Die Versprechen, sie dauerhaft anonym zu beforschen, erscheinen kaum haltbar. Denn derselbe hohe individuelle Informationsgehalt, der DNA-Sequenzen für Forschungszwecke attraktiv macht, öffnet die Tür für eine Re-Identifizierung von Datensätzen. Felix Butz, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie und Rechtssoziologie der Universität Leipzig, gibt eine Übersicht über die Verwendung von DNA durch staatliche Behörden, die technologischen Entwicklungen folgt. Je mehr möglich ist, desto größer erscheint der Nutzen für die Verbrechensaufklärung, doch gleichzeitig steigt die Eingriffstiefe in den Datenschutz von potenziell allen Menschen. Potenziell alle Bürger*innen sind hierzulande von der Digitalisierung und zentralen Sammlung von Gesundheitsdaten betroffen, die sich in der Umsetzungsphase befindet. Durch die gleichzeitig steigende Bedeutung von Gendiagnostik wird auch die Menge an Gendaten steigen, auf die verschiedene Akteur*innen Zugriff bekommen. Uta Schmitt vom Verein Patientenrechte und Datenschutz e.V., stellt den aktuellen Stand dar und weist auf gravierende Datenschutzprobleme hin. Genetische Diskriminierung ist kein theoretisches Zukunftsszenario. Besonders für gesellschaftliche Minderheiten, die als biologisch „anders“ konstruiert und diskriminiert wurden und werden, bedeutet es selten Gutes, wenn Gendaten verwendet werden, um nach Unterschieden zu suchen. Die Genetikerin und Native American Dr. Krystal Tsosie berichtet im Interview über die berechtigte Skepsis von Indigenen Communitys, ihre Proben für DNA-Forschung zu Verfügung zu stellen. Sie erläutert wie es dieser Bevölkerungsgruppe gelingen kann, die Entscheidungsmacht über Verwendungen der eigenen DNA zu behalten.

Zusammen zeigen die Autor*innen deutlich, dass genetischer Datenschutz kein abstraktes Nischenthema ist, sondern uns alle betrifft. Genetische Daten müssen nachhaltig und langfristig vor sowohl staatlichen als auch privatwirtschaftlichen Zugriffen geschützt werden, um Diskriminierung anhand von vermeintlichen unveränderlichen „Wahrheiten“ in unserem Erbgut zu verhindern.

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
262
vom August 2022
Seite 6

Isabelle Bartram ist Molekularbiologin und Mitarbeiterin des GeN. Außerdem ist sie Teil der Forschungsgruppe “Human Diversity in the New Life Sciences: Social and Scientific Effects of Biological Differentiations” (SoSciBio) an der Universität Freiburg.

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