Wem gehören Gentestproben?

Über den Missbrauch von Gentests am Arbeitsplatz oder durch Versicherungen wird häufig diskutiert. Dabei gerät in Vergessenheit, dass die Verwendung von Gentestproben und daraus gewonnener Daten für Forschungszwecke ebenfalls geregelt werden muss.

Wer sein Erbgut testen lassen will, der hat es leicht: Sie oder er kann im Internet ein passendes Labor auswählen, auf dessen Homepage ein kurzes Formular ausfüllen und muss dann nur noch eine Speichelprobe an eine bestimmte Adresse schicken, wo sie ausgewertet wird. Mit der Zusendung des Testergebnisses ist der Auftrag für Testanbieter und Klienten abgeschlossen. Doch woher soll der Auftraggeber wissen, was mit seinen Körpermaterialien dann passiert? In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der meisten Testlabore sind keine Angaben dazu zu finden, ob und wann das eingesandte Material vernichtet wird. Nur einige wenige Firmen garantieren, die persönlichen Daten ihrer Kunden nach Ablauf einer Frist zu löschen. Und bei mindestens einem Unternehmen steht im Kleingedruckten, dass "Eingesandtes Probenmaterial (...) in das Eigentum des Auftragnehmers" übergeht.(1) Daraus kann nicht notwendigerweise auf eine weitere Verwendung der Proben und damit verbundener Informationen geschlossen werden. Wie Marc Müller von Medigenomix bestätigt, ist es aber "zumindest denkbar, dass private Labore Proben sammeln, um sie für Forschungszwecke zu verwerten."(2) Der Bedarf an genetischem Datenmaterial ist groß: Insbesondere Pharmafirmen äußern ihr Interesse an der Sammlung von Blut- und Gewebeproben, die mit Angaben zum Gesundheitszustand, der Lebensweise oder dem äußeren Erscheinungsbild der "SpenderInnen" verbunden sind. Aus solchen Genprofilen wollen sie auf neue "Angriffspunkte" für die Medikamentenentwicklung und für neue Therapieansätze schließen. Die wachsende Zahl an Proben, die für genetische Tests und Vaterschaftsnachweise gewonnen werden, sind somit für die Forschung ohne Zweifel attraktiv: Nicht selten werden von den Testlaboren nämlich auch Angaben zur ethnischen Zugehörigkeit oder zur familiären Krankengeschichte der Testpersonen abgefragt.(3)

"Anonymisierte" Proben

Victoria Koppenwallner schließt eine weitere Verwendung anonymisierter Proben zumindest für das von ihrer Firma Gentest24 in Auftrag genommene Labor nicht aus – obwohl die Vertragsbedingungen der Firma hierauf keinen Hinweis bieten. Eine solche Praxis würde demzufolge ohne Einwilligung der Betroffenen erfolgen. In der derzeitigen Rechtssituation wäre dies noch nicht einmal verboten: Das Bundesdatenschutzgesetz (BDG) findet nämlich bei Gewebeproben und anonymisierten Daten keine Anwendung. Als anonymisiert gelten die Daten, wenn sie nur mit einem "unverhältnismäßig großen Aufwand" einer bestimmten Person zugeordnet werden können.(4) In Kliniken und Forschungseinrichtungen gilt daher, dass Körpermaterialien unter Umständen auch ohne Einwilligung für weiterverwendet werden können, vorausgesetzt sie wurden anonymisiert. Von einigen Datenschützern wird diese Praxis jedoch kritisiert. So weist Thilo Weichert vom Unabhängigen Datenschutzzentrum in Schleswig-Holstein darauf hin, dass das Reidentifizierungsrisiko bei Körpersubstanzen "mit der Größe der Probensammlung (und) mit der Zunahme (…) der technischen Analysemöglichkeiten steigt".(5) Zumindest wenn eine personifizierte Referenzprobe vorliegt, lassen sich anonymisierte Proben laut Weichert mit einer Analyse der DNA eindeutig zuordnen.(6)

Unsichere rechtliche Situation

Für den Umgang mit Körpermaterialien, die bei Operationen oder diagnostischen Verfahren anfallen, gibt es in Deutschland keine expliziten Regelungen.(7) Zwar wird von diesem Problem das Eigentumsrecht und das Recht auf Selbstbestimmung der Betroffenen berührt. Diese Rechte können aber gegen das jeweilige Forschungsinteresse abgewogen werden.(8) Die juristischen Einschätzungen zur Verwendung menschlicher Körpersubstanzen für die Forschung sind demzufolge auch in der Ärzteschaft geteilt: So betont der Arbeitskreis medizinischer Ethikkommissionen, der die Ethikkommissionen in Kliniken und Landesärztekammern vertritt, für eine weitere Verwendung von Gewebeproben sei grundsätzlich die schriftliche Einwilligung der Betroffenen einzuholen. Diese Empfehlung gelte umso mehr für die Erhebung genetischer Informationen und wurde in den Musterantrag für epidemiologische Studien übernommen.(9) Allerdings muss nicht für jedes Forschungsprojekt notwendigerweise eine Ethikkommission mit einbezogen werden. Mediziner müssen zwar, wenn sie Körpersubstanzen für einen Forschungszweck entnehmen wollen, eine Ethikkommission einschalten. Bei der Weiterverwendung bereits entnommener Substanzen ist dies aber nicht der Fall.

Stellungnahme der ZEK

Mit einer im Februar 2003 veröffentlichten Stellungnahme versucht die Zentrale Ethikkommission der Bundesärztekammer angesichts der "unsicheren ethischen und rechtlichen Bewertung des Umgangs mit menschlichen Körpersubstanzen (...) zur Bewusstseinsbildung beizutragen".(10) Hier zeigt sich eine etwas anders gelagerte Argumentation. Zwar solle vor einer weiteren Verwendung von Körpersubstanzen für Forschungszwecke in "zumutbarer Weise" der Versuch unternommen werden, eine "rechtfertigende Einwilligung" des Betroffenen einzuholen. Als eine Einwilligung, so heißt es in der Stellungnahme weiter, sei jedoch unter Umständen auch "eine Zustimmung durch schlüssiges Verhalten" anzusehen: "Wenn der Betroffene das Material kommentarlos zurücklässt", könne "man in der Regel davon ausgehen", er wolle "das Eigentum daran aufgeben". Auch die Frage, ob Betroffene über eine kommerzielle Verwendung ihrer Proben aufgeklärt werden müssen, ist aus Sicht der ZEK nicht eindeutig zu klären, auch wenn die Einholung einer Einwilligung "dringend" empfohlen wird. Prinzipiell vertritt die ZEK die Auffassung: "Die kommerzielle Nutzung von biologischem Material und der aus ihm gewonnenen Produkte bedeutet keine Instrumentalisierung oder Objektivierung der Betroffenen." Über diese Position lässt sich allerdings streiten. Im Zweifelsfall bedeutet sie, dass Unternehmen mit menschlichen Substanzen "doppelt" Geld verdienen: Einmal durch die Diagnose, die beauftragt wurde, und noch einmal durch die Weiterverwertung oder Weitergabe der eingesandten Proben nach dem Test. Dabei können zudem Verfahren und Hypothesen entwickelt werden, die nicht im Interesse der Betroffenen sind. Aus ethischer Sicht bedeutet dies, wenn keine Einwilligung eingeholt wurde, ein Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht. Es ist somit zu fordern, dass die unsichere rechtliche Situation verändert wird.

Fußnoten:

  1. Allgemeine Geschäftsbedingungen der Firma gen.test.org, www.gen-test.org.
  2. Das Unternehmen Medigenomix gibt als einziges der für die Recherche untersuchten Testlabore eine vertragliche Garantie, dass eingesandte Proben nach einer Vaterschaftsanalyse sofort vernichtet werden. www.medigenomix.de
  3. Ein solcher Patientenfragebogen ist zum Beispiel auf der Homepage der Berliner Firma Gentest24 vorzufinden. Ob die hier erfragten Angaben zur "Rasse" für die Errechnung des individuellen Krankheitsrisikos – bzw. im Falle von Vaterschaftstests für die Bestimmung des Abstammungsverhältnisses notwendig sind, ist äußerst strittig. Zwar kann diese Auskunft im Einzelfall für einen Identitätsnachweis sinnvoll sein. Im Kontext medizinisch motivierter Gentests sind aber aus dieser Angabe in erster Linie bevölkerungsstatistische Aussagen abzuleiten.
  4. Siehe §3 Abs. 1 und Abs.7 Bundesdatenschutzgesetz. Das BDG gilt für öffentliche Einrichtungen des Bundes und für private Forchungsprojekte. Für Universitätskliniken und kommunale Krankenhäuser ist das Landesdatenschutzgesetz zuständig.
  5. Siehe hierzu auch die Stellungnahme des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein, zur "Aufbawahrungsdauer von für medizinische Forschung erhobenen Gewebeproben", 14. 01.2002, www.datenschutzzentrum.de
  6. Die derzeitige Diskussion um die Zulässigkeit heimlicher Vaterschaftstests hält Weichert im Hinblick auf die datenschutzrechtliche Regelung von Erbgutanalysen im Allgemeinen für einen Prüf- und Stolperstein: Wenn man heimliche Tests nämlich mit dem Argument erlaube, die Proben seien anonymisiert und könnten folglich nicht durch Dritte identifiziert werden, dann wäre es aus datenschutzrechtlicher Sicht auch nicht unzulässig, anonymisierte Proben ohne Einwilligung der Betroffenen für Forschungszwecke zu verwenden. Siehe hierzu: http://www.datenschutzzentrum.de/medizin/genom/vaterschtest.htm
  7. Dies gilt auch für Abstammungsanalysen: Während DNA-Proben, die für kriminalistische Zwecke entnommen werden, umgehend vernichtet werden müssen, gibt es für Vaterschaftstests keine solchen Regelungen. Die Entnahme von Organen zu "Heilzwecken" fällt unter das Transplantationsgesetz.
  8. "Die (Weiter-)Verwendung von menschlichen Körpermaterialien für Zwecke medizinischer Forschung", Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission der Bundesärztekammer, 20.2.2003.
  9. Stellungnahme und Musterantrag wurden auf der Jahresversammlung der Medizinischen Ethikkommissionen am 24.11.2001 verabschiedet und sind unter www.aerzteblatt.de/plus4802 abzurufen.
  10. ZEK, (Weiter-)Verwendung menschlicher Körpermaterialien, 20.2.2003.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
161
vom Dezember 2003
Seite 15 - 16

Monika Feuerlein ist freie Journalistin und arbeitete mehrere Jahre lang als Redakteurin für den Gen-ethischen Informationsdienst (GID).

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