Schrumpeltomaten patentierbar?
Grundsatzentscheidung mit entwicklungspolitischen Folgen
Anhand von zwei Gemüsearten wird das Europäische Patentamt auf höchster Ebene entscheiden, ob konventionelle Züchtungen patentierbar sind oder nicht. Brokkoli und Tomaten landen bei den meisten EuropäerInnen als Gemüse im Kochtopf und stehen bei diesen für gewöhnlich nicht im Mittelpunkt einer politischen Auseinandersetzung.
In den nächsten Monaten wird das Europäische Patentamt eine Grundsatzentscheidung fällen, wo die Grenzen der Patentierbarkeit konventioneller Züchtungen liegen. Damit gewinnt die jetzt anstehende Entscheidung der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes eine Bedeutung, die nicht hoch genug eingeschätzt werden kann - für Landwirte auf der ganzen Welt. Es geht eben auch um die Frage, ob in Zukunft konventionell gezüchtete Pflanzen unter Patentschutz gestellt werden dürfen. Anhand von Patenten auf Brokkoli (EP1069819) und Tomate (EP 1211926) wird die Große Beschwerdekammer entscheiden, ob die Patente gegen das Verbot der Patentierung von „im Wesentlichen biologischen Verfahren zur Züchtung von Pflanzen und Tieren“ aus Artikel 53b des Europäischen Patentübereinkommens verstoßen. Über einen kleinen technischen Schritt versuchen verschiedene Forscher und Unternehmen dieses Verbot zu unterlaufen. Genau das ist auch der Grund, warum das Europäische Patentamt das Tomaten-Patent an die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer angehängt hat: In beiden geht es letztendlich um die Frage, ob die Patentierungsverbote des Europäischen Patentübereinkommens angewandt werden. Bereits im April gründete sich eine Globale Koalition gegen Patente auf Pflanzen und Tiere, die Organisationen aus der Entwicklungspolitik, landwirtschaftliche Vertreter und andere vereinigt (siehe Kasten, siehe auch Interview „Präzedenz-Patente” auf S.5 in diesem Heft). Züchtungsprozess zum Patent angemeldet Ein Blick auf die Ansprüche der patentierten Schrumpeltomate macht deutlich, dass hier ein Züchtungsprozess von gewöhnlichen Tomaten (Lycopersicum esculentum) mit Wildarten beschrieben wird. Das - wohlgemerkt erteilte - Patent für die Schrumpeltomate, das im Übrigen von zwei mehr oder minder unbekannten Privatpersonen aus Belgien und Israel gehalten wird, umfasst vor allem Kreuzen und Selektion der Pflanzen sowie das längere Hängenlassen der Früchte an der Tomatenpflanze: „Verfahren zum Züchten von Tomatenpflanzen, die Tomaten mit verringertem Fruchtwassergehalt erzeugen, umfassend die Schritte: - Kreuzen von mindestens einer Lycopersicum esculentum-Pflanze mit einem Lycopersicon spp., um Hybridsamen zu erzeugen; - Sammeln der ersten Generation von Hybridsamen; - Züchten von Pflanzen aus der ersten Generation von Hybridsamen; - Bestäuben der Pflanzen der jüngsten Hybridgeneration; - Gestatten, dass die Pflanzen über den Punkt des normalen Reifens hinaus an dem Stängel verbleiben; und Durchmustern auf verringerten Fruchtwassergehalt, wie durch die verlängerte Konservierung der reifen Frucht und Faltung der Fruchthaut angezeigt.“1 Der Wortlaut der zitierten Ansprüche zeigt, dass hier nichts anderes beansprucht wird, als normale Verfahren zur Züchtung. Das gilt sowohl für die Kreuzung der Pflanzen als auch für die Idee, die geeigneten Pflanzen durch Merkmale während des Reifungsprozesses auszuwählen. Dennoch wurde das Patent bewilligt.
Biopiraterie
Eine Erfindung enthält das Patent also nicht. Dafür sind die weit reichenden Ansprüche aber Biopiraterie. So sind alle wilden Tomaten von dem Patent umfasst, die mit handelsüblichen Tomaten gekreuzt werden und zu Früchten mit einem verringertem Wassergehalt führen. Dieser umfassende Patentschutz schränkt viele Menschen in Entwicklungsländern stark ein. Die wilde Tomate Lycopersicon hirsutum stammt aus Ecuador und Peru. Sie ist gegen viele Krankheiten resistent und wird in der Patentschrift ausdrücklich erwähnt. Durch das weit reichende Patent für die Schrumpeltomaten kann es passieren, das Bauern aus diesen Ländern gegen das Patent verstoßen, wenn sie handelsübliche Sorten mit der Wildsorte kreuzen.
Folgen für Entwicklungsländer
Die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer wird auch Folgen für Bauern und Konsumenten in anderen Entwicklungsländern haben. Die großen Preissteigerungen für Mais, Weizen und Reis haben vor allem arme Konsumenten in Entwicklungsländern getroffen. So ist die Zahl der Hungernden, nach Angaben der Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen, um weitere gut 70 Millionen auf 923 Millionen angestiegen. In einigen Ländern wie Ghana oder Marokko sind Tomaten eine tägliche Beilage. Erfahrungen mit patentgeschütztem Saatgut aus Indien zeigen, dass sich die Preise für Saatgut durch die Lizenzen vervielfachen. Mexiko, Tunesien und Marokko zählen zu den führenden Tomatenproduzenten. So landen in Marokko die auf freiem Feld produzierten Tomaten in den heimischen Kochtöpfen, während die Gewächshaus-ernten zu 90 Prozent nach Europa exportiert werden. Abgesehen davon wirkt sich der grundsätzliche Charakter der Entscheidung negativ auf die Entwicklungsländer aus. Wenn es in Europa möglich werden sollte, dass auch konventionelle Pflanzen patentiert werden können, wird diese Verschärfung der geistigen Eigentumsrechte früher oder später auch in den Entwicklungsländern ankommen. In der Regel werden für diesen „Transfer“ das multilaterale Abkommen der Welthandelsorganisation WTO oder bilaterale Verträge zwischen der EU und einem Entwicklungsland genutzt. In beiden Fällen verfügen die Industriestaaten über mehr Verhandlungsmacht, so dass sie für gewöhnlich ihre Regeln im Wesentlichen durchsetzen.
Was steht an?
Die Definition des Patentierungsverbots für „im Wesentlichen biologische Verfahren“ ist zu ungenau. So definiert die EU-Biopatentrichtlinie diese Verfahren in Artikel 2,2 als „vollständig auf natürlichen Phänomenen wie Kreuzung oder Selektion“ beruhend. Etliche Zuchtunternehmen haben in ihren Stellungnahmen zum Brokkoli-Patent darauf hingewiesen, dass durch die Praxis des Patentamtes der Sortenschutz unterlaufen wird. Hier ist eine Klarstellung durch den Gesetzgeber, ob national oder auf der Ebene der EU, notwendig. Die Koalition „No Patents on Seeds“ hat einen Musterbrief zur Schrumpeltomate an die Große Beschwerdekammer entwickelt, die Frist läuft noch bis Ende Oktober.
- 1Übersetzung der Autorin; ssp. = Subspezies, das heißt Kreuzung der genannten Tomatensorte (Lycopersicum esculentum) mit einer anderen, nicht näher benannten Tomatensorte.
Mute Schimpf war Vorstandsmitglied des GeN und ist Food Campaigner bei Friends of the Earth Europe.
Globaler Aufruf gegen Patente auf Pflanzen und Tiere
Der Globale Aufruf wurde im April 2007 von den Organisationen Erklärung von Bern, Greenpeace, Kein Patent auf Leben!, Misereor und Swissaid gegründet, um Verbände und Nichtregierungsorganisationen für ein gemeinsames Vorgehen gegen die zunehmende Patentierung von Saatgut, konventionellen Pflanzensorten und Nutztierrassen zu bündeln. Wegen der großen Nachfrage ist der Aufruf vor einem Jahr auch für Privatpersonen zur Zeichnung freigegeben worden. Seither sind 35.000 Unterschriften zusammen gekommen. Diese sollen am 23. Oktober im Rahmen einer Demonstration in München an das Europäische Patentamt übergeben werden. Die Demonstration wird unterstützt von dem Bundesverband Deutscher Milchviehhalter und der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Weitere Informationen unter: www.no-patents-on-seeds.org (Christof Potthof)