Whistleblowing
Schutz für Informanten und Whistleblower
Die Warnpfeife blasen - Whistleblowing - ist in den letzten Jahren mehr und mehr Teil der öffentlichen Debatten geworden. Wo Whistleblowing stattfindet dient es öffentlichen Interessen, da so Risiken und Missstände frühzeitig erkannt und behoben werden können. Aber leider findet Whistleblowing viel zu selten statt. Whistleblower sind häufig Anfeindungen und Mobbing, ja sogar Kündigungen und Strafverfolgung ausgesetzt. Zum Schutz der Whistleblower muss mehr getan werden.
Was ist Whistleblowing?
Beim Whistleblowing geht es um die Meldung von tatsächlichen oder gutgläubig angenommenen Verletzungen oder Gefährdungen öffentlicher Interessen. In der Regel ist es so, dass der Whistleblower in einem Abhängigkeitsverhältnis steht. Dabei ist es zunächst einmal egal, ob es sich um ein Beamtenverhältnis handelt oder ob die Person als Freiberufler arbeitet. Entscheidend ist, dass er oder sie auf Missstände mit Bezug auf dieses Verhältnis hinweist. Ziel ist, diese Missstände abzustellen. Um die Whistleblower zum Beispiel von Informanten abzugrenzen, ist es wichtig zu wissen, dass Whistleblower oft auch innerhalb einer Organisation auf Missstände hinweisen. Das ist üblicherweise bei den Informanten nicht der Fall, denn darunter versteht man gemeinhin jene, die sich mit ihren Informationen an die Medien wenden.
Was ist wesentlich für den Schutz der Whistleblower?
Nach unseren Vorstellungen sollen die Whistleblower ein Wahlrecht bekommen, ob sie sich zunächst an interne Stellen ihrer Organisation oder sofort an jemanden von außen wenden, zum Beispiel eine Behörde. Nach der derzeitigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes ist es im Regelfall so, dass sich der Arbeitnehmer zunächst an seinen Arbeitgeber wenden muss. Nur in Ausnahmefällen - die vielleicht erst Jahre später von einem Richter anerkannt werden - darf sich ein Arbeitnehmer auch an jemanden außerhalb wenden. Dafür, dass das Wahlrecht funktioniert, gibt es auch Vorbilder, zum Beispiel im bisherigen Datenschutzrecht. Wir gehen letztendlich davon aus, dass der Whistleblower auch in anderen Bereichen selbst am besten weiß, welche Stelle geeignet ist. Untersuchungen zeigen im Übrigen, dass in den meisten Fällen zunächst der interne Weg gegangen wird. Wir wollen außerdem einen Fonds bilden, aus dem dann Entschädigungsleistungen bestritten werden können. Analogien könnte man zum Beispiel zu einer Regelung ziehen, mit der Entschädigungsleistungen für Nothilfen geleistet werden. Diese sind gesetzlich verankert. Wenn ich also einen Ertrinkenden rette und dabei zum Beispiel meine Kleidung kaputtgeht, dann habe ich Anspruch auf eine Entschädigung. Auch so etwas könnte mit einer rein arbeitsrechtlichen Regelung nicht umgesetzt werden. Für uns wäre es zum Beispiel auch von Bedeutung, dass strafrechtliche Regulierungen Eingang in ein Gesetz finden, zum Beispiel wenn jemand versucht, Einfluss im Sinne einer Geheimhaltung von Informationen zu nehmen, deren Veröffentlichung im Interesse der Öffentlichkeit wäre.
Welche Rolle spielt das Whistleblowing in der Wissenschaft?
Unserer Definition entsprechend gibt es ganz sicher auch viele Fälle in der Wissenschaft. Einer der Bekannteren ist der des ungarischen Wissenschaftlers Árpád Pusztai, der mit gentechnisch veränderten Kartoffeln gearbeitet hat. Pusztai hatte über seine Forschungsergebnisse unter anderem in einem Fernsehinterview berichtet, war in der Folge von seinem Posten entbunden und von Kollegen sehr scharf und nicht immer in angemessener Form kritisiert worden. Im Gegensatz dazu wäre ein Wissenschaftler, den zum Beispiel niemand bedrängt und der ganz einfach seine Ergebnisse publiziert, nach meinem Verständnis kein Whistleblower.
Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach die neuen Technologien, allen voran natürlich Internet-Plattformen wie zum Beispiel Wikileaks?
Bisher sind diese technischen Lösungen für bestimmte Anwendungen sicher schon sehr hilfreich. Wenn es zum Beispiel um das Veröffentlichen von Dokumenten geht, dann ist Wikileaks eine gute Sache. Allerdings wissen wir bei den Plattformen zum Beispiel nicht, wie die Anonymität hergestellt wird. Außerdem sind sie Einbahnstraßen, das heißt die Details oder Unklarheiten einer speziellen Situation können nicht nachträglich geklärt werden. Auch das ist nicht immer im Sinne der Sache. Zu bedenken ist auch, dass Whistleblowing häufig offen und im Vertrauen darauf beginnt, jemanden zu finden, der einem hilft. Diese Fälle sind natürlich für das geheime Whistleblowing verloren, egal, wie sie sich später entwickeln.
Wo würden Sie den gesetzlichen Schutz des Whistleblowing ansiedeln?
Wir würden die Gesetzgebung zum Whistleblower-Schutz gerne als eigenständiges Recht einführen. Wenn man das zum Beispiel im Arbeitsrecht ansiedeln würde, dann würde die ganze Situation nur auf den Schutz von Arbeitnehmern begrenzt bleiben - das wäre aber viel zu wenig. Es gibt ja auch arbeitnehmerähnliche Verhältnisse, es gibt Dreiecks-Verhältnisse, es gibt Leiharbeiter, es gibt Beamte, Scheinselbstständige und tatsächlich Selbstständige oder Auftraggeber und -nehmer, die in sehr engen Abhängigkeits-Verhältnissen stehen. Die Übergänge sind fließend. Hinzu kommt, dass in bestimmten Fällen der Schutz gegenüber dem Arbeitgeber auch nicht ausreicht. Wenn wir uns zum Beispiel den Dioxin-Skandal des vergangenen Winters anschauen, dann kann man nur sagen, dass ein so kleiner Betrieb letztendlich sowieso geschlossen werden wird und der Whistleblower dann doch auf der Straße landet. Damit wären seine Ansprüche erloschen. Ökonomisch gesehen wäre es also in einer solchen Situation immer klüger, den Mund zu halten. Und genau das wollen wir ja nicht.
Wo sehen Sie denn Vorbilder für ein Whistleblowing-Gesetz auf der einen Seite und für die Förderung der Kultur des Whistleblowing auf der anderen Seite?
Ein Wechsel in der Kultur ist uns tatsächlich sehr wichtig. Wir wollen zum Beispiel einen Whistleblowing-Beauftragten einrichten. Hier kann der Wehrbeauftragte, wie wir ihn für die Interessen im Zusammenhang mit der Bundeswehr ja schon kennen, als Vorbild dienen. Dieser Whistleblowing-Beauftragte könnte zum Beispiel auch den oben bereits angesprochenen Fonds verwalten. Gleichzeitig könnte er vorbildliches Verhalten in diesem Zusammenhang fördern beziehungsweise bekannter machen. Er könnte Bildungsmaßnahmen durchführen und so weiter. Last but not least könnte hier auch eine Art von Ombudsmann-Überprüfungsinstanz eingerichtet werden. Wenn Sie nach den Vorbildern fragen, dann müssen wir verschiedene Regelungen aus verschiedenen Ländern anschauen: In den Niederlanden zum Beispiel gibt es so etwas ähnliches wie einen Wistleblowing-Beauftragten. In Großbritannien finden wir ganz gute Ansätze in Bezug auf den Schutz von Arbeitnehmern. Dabei geht es um ein dreistufiges System, demzufolge das interne Whistleblowing immer geschützt ist. Das nicht öffentliche, aber nach außen gerichtete Whistleblowing - das heißt, wenn sich der Whistleblower zum Beispiel an eine Behörde wendet - steht auch praktisch immer unter Schutz. Hinweise müssen nur gutgläubig abgegeben werden und an Tatsachen anknüpfen. Das öffentliche, mediale Whistleblowing ist demgegenüber nur unter ganz engen Voraussetzungen vom Gesetz geschützt. In den USA gibt es verschiedene Gesetze, die sich mit verschiedenen Ebenen des Whistleblowing beschäftigen. Zum einen auch hier der Versuch, den Whistleblower zu schützen. Darüber hinaus aber auch Gesetze, in denen Anreizsysteme geregelt werden, die das Whistleblowing explizit fördern sollen. Dies können zum Beispiel Prämiensysteme sein. So gibt es zum Beispiel im Pharma-Bereich in den USA Fälle mit Schadensersatz und Strafschadensersatzzahlungen in bis zu dreistelliger Millionenhöhe. Soweit diese durch Whistleblower aufgedeckt werden, können diese einen Anteil von zum Beispiel 25 Prozent an jenen Beträgen bekommen. Dies hat dazu geführt, dass sich diese Verfahren auch für Anwälte lohnen, die auf Provisionsbasis arbeiten und die Whistleblower dann umfassend unterstützen. Ob dieses Belohnungssystem ein für Europa gangbarer Weg wäre ist fraglich, aber immerhin bekommen die Whistleblower dort die nötige professionelle Unterstützung, die ihnen bei uns fehlt.
In Deutschland ist das Thema Whistleblowing in den letzten drei oder vier Jahren etwas prominenter geworden. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Im vergangenen Jahr ist Whistleblowing natürlich durch die Diskussionen über Wikileaks mittransportiert worden. Da beißt die Maus ja keinen Faden ab. In Wirtschaftskreisen hat sich auch insofern etwas getan, als dass die europäischen Tochterunternehmen von US-Konzernen mittlerweile auch hier bei uns Whistleblower-Regelungen treffen müssen. Dies ist die Folge einer geänderten Gesetzgebung in den USA. Außerdem ist ja in den vergangenen Jahren auch mehr über Korruptionsbekämpfung gesprochen worden. Auch in den Firmen sind diese Themen angekommen. Mit Blick auf internationale Abkommen müssen wir aber sagen, dass Deutschland da schon ganz schön zurückliegt. Es gibt zum Beispiel Initiativen der Vereinten Nationen, des Europarates oder unter dem Dach der G-20-Gruppe, die in Deutschland nicht ratifiziert sind beziehungsweise von der deutschen Regierung nicht aktiv unterstützt werden. Gleichzeitig sind wir ohne ein entsprechendes Gesetz mit Österreich und der Schweiz in guter Gesellschaft. Auch dort wird bisher nur diskutiert.
Es gab ja vor Kurzem eine elektronische Petition an den Bundestag zum Thema Whistleblowing. Wie ist die gelaufen?
Dafür, dass das Thema immer noch eher etwas für Spezialisten ist - gehen Sie mal auf die Straße und fragen Sie die die Leute, ob sie wissen, was ein Whistleblower ist - glaube ich, dass die Petition mit etwa 5.000 Stimmen gar nicht so schlecht gelaufen ist. Natürlich hätte man das besser vorbereiten können, aber oft ist es eben so, dass ein motivierter Student diese Petitionen auf der Internetseite des Bundestages einreicht und eben nicht vorher eine Koalition zur Unterstützung geschmiedet hat. Allerdings werden wir das Thema voraussichtlich noch vor der Sommerpause wieder in den Bundestag bekommen, da die SPD-Fraktion einen eigenen Antrag einbringen will.1 Das Problem der fehlenden Mehrheiten bleibt aber bestehen. In der CDU reden sie immer noch von „Denunzianten-Paragrafen“. Herr Kauder hat im Bundestag bei anderer Gelegenheit in diesem Zusammenhang das Wort „Blockwart“ verwandt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es da so schnell zu einem Umdenken kommt. Wir müssen davon ausgehen, dass wir in dieser Legislaturperiode wohl kein vernünftiges Gesetz mehr bekommen werden.
Herr Strack, wir danken für das Gespräch und wünschen alles Gute.
Das Gespräch führte Christof Potthof.
- 1„SPD wird Gesetz zum Schutz von Whistleblowern einbringen“. Pressemitteilung der SPD-Bundestagsfraktion vom 24.02.11. Im Netz unter: www.spdfraktion.de.
Guido Strack ist Vorsitzende des deutschen Whistleblower Netzwerks und setzt sich für den Schutz von Skandalaufdeckern ein. Der studierte Jurist arbeitete beim Bundeswirtschaftsministerium und von 1995 bis 2005 bei der EU-Kommission. Nachdem er das Amt für Betrugsbekämpfung auf angebliche Unregelmäßigkeiten innerhalb der Kommissionsbürokratie aufmerksam gemacht hatte, schied er aus dem EU-Beamtendienst aus.
Zivilcourage und Whistleblowing
Die Wissenschaftsjournalistin Antje Bultmann beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Whistleblowing und Zivilcourage und war 2006 Mitbegründerin des Whistleblower-Netzwerk. Mit ihrem aktuellen Buch leistet sie nun einen weiteren Beitrag zu dem gesellschaftlich brisanten und politisch höchst aktuellen Thema. Auf den ersten 80 Seiten des Buches wird das Phänomen Whistleblowing in einen gesellschaftlichen Kontext gestellt. Bultmann hält Whistleblowing für ein sehr wichtiges Element in einer Gesellschaft, die sich durch „Verknappung der Ressourcen“, „Arroganz der Naturwissenschaft“ und der „Expansion des neoliberalistischen Denkens und Handelns“ auszeichnet. Dieser gesellschaftlichen Notwendigkeit steht jedoch die soziale Ächtung gegenüber, der sich Whistleblower in der Regel ausgesetzt sehen. Die Entscheidung zum öffentlichen „Alarm-Schlagen“ erfordert somit ein gutes Stück Zivilcourage. Um Betroffene dennoch zu diesem Schritt zu ermutigen, fordert Bultmann einerseits einen gesetzlichen Whistleblower-Schutz. Andererseits gibt sie der geneigten Leserin/ dem geneigten Leser konkrete Ratschläge an die Hand, um diese schwierige Situation möglichst gut meistern zu können. In der zweiten Hälfte des Buches stellt Bultmann zwölf Fälle von Whistleblowing vor. Die thematische Bandbreite erstaunt ebenso wie die unterschiedlichen beruflichen Positionen der Whistle- blower: Der ehemalige Berater der US-Marine und heutige „Rebell gegen die untaugliche Technik der Raketenabwehr“ Theodore Postol befindet sich ebenso darunter wie der Golfkriegsveteran Douglas Rokke, der zum Kriegsgegner wurde und heute über die verheerenden Auswirkungen von Uranwaffen informiert, oder der kanadische Schäfer Eugene Bourgois, der auf Leckagen im naheliegenden Kernkraftwerk aufmerksam macht. All diese Menschen verbindet der Wunsch, durch die Weiterleitung von sicherheitsrelevanten Informationen zu einer Verbesserung beizutragen oder negative Konsequenzen für die Allgemeinheit abzuwehren. Bultmanns Buch ist leider ziemlich unübersichtlich gegliedert und lässt nur schwerlich einen „roten Faden“ erkennen; häufig verbleibt das Gefühl einer losen Aneinanderreihung von beispielhaften Einblicken in das Thema. Für all diejenigen, die sich in leicht lesbarer Sprache einen ersten Überblick über das Thema verschaffen wollen, oder die das Engagement von Whistleblowern an konkreten Beispielen aufgezeigt bekommen möchten, stellt es dennoch eine sicherlich lesenswerte Lektüre dar.
Anne Bundschuh
Antje Bultmann: Helden im Schatten der Gesellschaft. Zivilcourage und Whistleblowing. Michaels-Verlag, Peiting (2010), 190 Seiten, 14,80 Euro, ISBN 978-3895392290.