25 Jahre gegen Patente auf Leben
Vor 25 Jahren wurde in USA das erste Bakterium patentiert. Der Supreme Court in USA befand, Bakterien seien "unbelebten chemischen Verbindungen weit ähnlicher als Pferden oder Bienen oder Himbeeren" und deshalb auch patentierbar. Diese Entscheidung hatte weitreichende Konsequenzen. Denn in den Folgejahren wurden sehr bald auch Patente auf Pflanzen und sogar auf Tiere angemeldet.
Schon 1984 wurde das erste transgene Tier - die so genannte Krebsmaus - am US-Patentamt angemeldet. Das Patent wurde im Jahre 1988 erteilt und sorgte weltweit für Empörung. Ein "gentechnisch krankgemachtes" Säugetier, vermarktet als Erfindung des Menschen! Das Krebsmauspatent wurde auch am Europäischen Patentamt (EPA) angemeldet. Es wurde zunächst abgelehnt, da nach Europäischem Patentübereinkommen - und dies gilt bis heute! - Tierarten und Pflanzensorten von der Patentierung ausgeschlossen sind. Die Beschwerdekammer des EPA befand aber, Tiere seien patentierbar, auch wenn Tierarten nicht patentiert werden könnten. So wurde das Patent 1992 am EPA erteilt. Es folgten Proteste: 17 Einsprüche von über 100 Gruppierungen und über tausend Einzelpersonen wurden eingelegt. All diese Einsprüche waren ethisch begründet, nicht einer hatte kommerzielle Absichten. Die Verhandlung vor der Einspruchskammer dauerte fast sieben Jahre, dann folgte die Erörterung durch die Beschwerdekammer. Das Patent blieb durch beide Instanzen des EPA hindurch im Wesentlichen erhalten, wobei die generelle Patentierbarkeit von Tieren vom Patentamt keineswegs in Frage gestellt wurde. Am 24. Juni 2005 ist das Patent - nach 20jähriger Laufzeit - in den USA und in Europa abgelaufen. Die EU-Kommission legte 1988 die EU-Biopatentrichtlinie vor, die 1995 vom EU-Parlament abgelehnt wurde. Wenig später wurde sie in kaum veränderter Form erneut dem Parlament vorgelegt. Mit Hilfe einer unglaublich großen Lobbyaktion durch die Biotech-Industrie wurde diese Richtlinie 1998 in Brüssel verabschiedet. Die Umsetzung in nationales Recht sollte nach den Vorgaben aus Brüssel bis Juli 2000 durchgeführt sein. Sie stieß jedoch wieder auf sehr viel Widerstand und konnte letztendlich nur durch immensen Druck von Seiten der EU-Kommission und der Industrie durchgesetzt werden. Der Deutsche Bundestag hat im Dezember 2004 der Richtlinie mit einigen Einschränkungen zugestimmt, Italien, Luxemburg, Lettland und Litauen haben bis heute nicht umgesetzt. Sollte die Diskussion damit zu Ende sein? Sind "Patente auf Leben" nun legalisiert?
Lieber im stillen Kämmerlein
Die Biotech-Industrie hätte die Gesetzesveränderungen gerne im Stillen und so schnell wie möglich durchgeführt. Die Problematik wurde jedoch an die Öffentlichkeit gebracht und über eine lange Zeit verhandelt. "Patente auf Leben" sind in vieler Munde! Nicht zuletzt deshalb wird Gentechnik im Bereich Pflanzen und Nahrungsmittel vom Großteil der Bevölkerung abgelehnt. Landwirte und Sortenzüchter wissen, dass sie durch die Nutzung von Gentech-Pflanzen ihre Selbstständigkeit verlieren und in die direkte Abhängigkeit von den Großkonzernen geraten könnten.
Ansprüche zurückgewiesen
Das letzte Wort ist jedoch noch keineswegs gesprochen. So hat zum Beispiel das Britische House of Lords zur Frage der Patentierbarkeit von Gensequenzen im Fall Erythropoietin (EPO) bei einem Verfahren zwischen der Biotechnologiefirma Amgen und dem Biopharmazie-Unternehmen Transkaryotic Therapies, Inc. (TKT) im Oktober 2004 folgendermaßen geurteilt: "Gensequenzen sind Entdeckungen oder Informationen über die Natur und keine Erfindungen". Amgen wurde damit in seinen Ansprüchen zurückgewiesen.(1) Auch die Patentierbarkeit von menschlichen embryonalen Stammzellen ist bislang noch nicht geklärt. Das EPA weist zur Zeit Ansprüche auf Verfahren im Zusammenhang mit Stammzellen und die Zellen selbst zurück. Im Oktober 2005 wird eine Verhandlung vor der Beschwerdekammer des EPA zu diesem Thema stattfinden (EP 770125). Wird dann auch der Mensch zum vermarktbaren Produkt?
Keine einheitlichen Patentvoraussetzungen
Die EU-Kommission hat am 18.Juli einen Bericht zur Situation der Biopatente veröffentlicht: Dieser zeigt, dass die Umsetzung der Richtlinie inzwischen - auf recht unterschiedliche Weise - in den verschiedenen europäischen Ländern ausgeführt worden ist. Von einheitlichen Patentvoraussetzungen kann daher nicht gesprochen werden. Diese Tatsache scheint nun stillschweigend akzeptiert zu werden, auch wenn das Ziel der Richtlinie ursprünglich die "Harmonisierung" des Bio-Patentrechtes war.(2) Damit wird offensichtlich, dass die Richtlinie umgehend wieder revidiert werden muss. Hiltrud Breyer, Abgeordnete im Europäischen Parlament für Bündnis 90/Die Grünen, schreibt in einer Pressemitteilung dazu: "Die Patentierungsrichtlinie bietet keinen Schutz vor der Kommerzialisierung des menschlichen Lebens, ethische Regeln erweisen sich als nicht wirkungsvoll und es besteht keine kohärente Rechtssituation in den Europäischen Mitgliedstaaten. Gefordert ist eine komplette Neuverhandlung der Biopatentrichtlinie."(3)
Fußnoten
- Nature Biotechnology 23, 367-368 (2005)
- www.europa.eu.int/rapid/pressReleasesAction.do?re… =IP/05/960&format=HTML&aged=language=DE&guiLAnguage=en
- www.hiltrud-breyer.de/presse/pm32.html
Ruth Tippe ist Sprecherin der Initiative Kein Patent auf Leben!
Das Krebsmaus-Patent
1985 hatte die US-amerikanische Harvard-Universität erstmalig ein Patent auf ein genmanipuliertes Säugetier – die Krebsmaus – beim Europäischen Patentamt (EPA) in München angemeldet. Die Erstanmeldung hatte in den USA schon im Jahre 1984 stattgefunden und das Krebsmauspatent wurde dort im Jahre 1988 erteilt. Das EPA lehnte das Patent zunächst ab, erteilte es dann jedoch 1992 unter der Nummer EP 169672. Das Krebsmaus-Patent erstreckte sich zunächst nicht nur auf diese Maus, sondern auf alle (!) Säugetiere mit Ausnahme des Menschen, die gentechnisch so verändert sind, dass sie Krebs bekommen. Nach zwei öffentlichen Verhandlungen 1995 und 2001 wies das EPA alle Einsprüche im Wesentlichen zurück und bestätigte das Patent im Kern. Lediglich die Patentansprüche wurden eingeschränkt, so dass sie sich zunächst auf Nagetiere, und seit Sommer 2004 "nur noch" auf Mäuse bezogen. Am 24. Juni 2005 ist das Patent nach 20jähriger Laufzeit abgelaufen. Nun darf diese Maus "erzeugt" werden, ohne an den Lizenzinhaber Gebühren zahlen zu müssen. Da die Krebsmaus für die Krebsforschung jedoch kaum verwendet wurde, ist nicht zu erwarten, dass sie nun dort eingesetzt wird. (Quelle:PM Menschen für Tierrechte, Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V., "Kein Patent auf Leben", 27.06.05) (the)
Chronologie Biopatente
1980: Erstes erteiltes Patent auf ein Bakterium in USA. 1984: Erstanmeldung des Krebsmaus-Patentes in den USA. 1985: Anmeldung dieses Patentes am Europäischen Patentamt (EPA), EP 169672. 1988: Erteilung des Krebsmaus-Patentes in den USA. EU-Kommission legt Entwurf für EU-Biopatentrichtlinie vor. 1989: Rückweisung des Krebsmaus-Patentes am EPA Erteilung des ersten Patentes auf eine Pflanze am EPA 1990: Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer (T19/90) für das Krebsmaus-Patent. 1991: Gründung der Bürgerinitiative "Anti-Gen". 1992: Das Krebsmauspatent wird am EPA erteilt (13.5.92). Gründung des Koordinationsbüro "Kein Patent auf Leben" in München. Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung der bald über hundert deutschen Organisationen, die sich an den Einsprüchen beteiligen wollen. Erste Protestaktionen am Europäischen Patentamt. 1993: Antrag des Europäischen Parlamentes, Krebsmaus-Patent zurückzuziehen, 11.02.93. 17 Einsprüche werden gegen das Krebsmaus-Patent von über 100 verschiedenen Organisationen und über tausend Einzelpersonen am 13.02.95 eingereicht. 1995: PGS/Greenpeace-Verhandlung am EPA (T 356/93): keine Patente auf Pflanzen. Europäisches Parlament lehnt Biopatentrichtlinie ab, 01.03.95. Einspruchsverhandlung des Krebsmaus-Patentes, November 1995, Abbruch dieser Verhandlung. EU-Kommission legt wieder Entwurf für EU-Biopatentrichtlinie vor. 1996/97: Aussendungen an die Abgeordneten des Europäischen Parlamentes. Darin werden die wichtigsten Kritikpunkte an der Richtlinie argumentativ aufbereitet und Vorschläge für Neuformulierungen der entsprechenden Paragraphen gemacht. 1998: Über 35 Organisationen aus ganz Europa schließen sich zur European Campaign on Biotechnology Patents (ECOBP) zusammen. Sie verfassen eine Broschüre zur zweiten Lesung. Für ECOBP wird eine Person eingesetzt, die bis zur Abstimmung im Mai 1999 in Brüssel intensiv Lobbyarbeit betreibt. Europäisches Parlament nimmt die Biopatent-Richtline in zweiter Lesung an (98/44/EG). 1999: Im Oktober legt das Niederländische Parlament Klage gegen die Richtlinie bei Europäischen Gerichtshof ein. Italien und Norwegen schließen sich an. EPA übernimmt EU-Biopatent-Richtlinie in die Ausführungsordnung des Europäischen Patentübereinkommens. Erteilung des Edinburgh-Patentes zur gentechnischen Veränderung menschlicher Embryonen (EP 695351 am 08.12.99). 2000: Novartis-Entscheidung G1/98 am EPA: Patente auf Pflanzen und Tiere. Greenpeace mauert das Europäische Patentamt zu wegen der Erteilung "Edinburgh-Patentes". Frist zur Umsetzung der Biopatent-Richtlinie: 30.07.00. Nur vier Länder haben umgesetzt (GB, IE, FI, DK). Der Europarat verabschiedet am 23. September eine Empfehlung gegen die Patentierung von Leben. 2001: Die Enquete-Kommission "Ethik in der Medizin" des Deutschen Bundestages empfiehlt Ablehnung der Richtlinie. Bundesrat kritisch zur Biopatentrichtlinie. Übergabe der Unterschriftenlisten "Heut die Kuh und morgen du" und des Positionspapiers des Beirats des Gen-ethischen Netzwerks an den Deutschen Bundestag. EUGH bestätigt im Oktober die EU-Biopatent-Richtlinie. 2002: Neu-Verhandlung des Krebsmaus-Patentes vor der Einspruchskammer. Einsprüche werden im Wesentlichen zurückgewiesen. Verhandlung um das Embryonen-Patent der Universität Edinburgh (EP 695 351). Das Patent wird in wesentlichen Teilen zurückgewiesen. 2003: Krebsmaus wird vom Supreme Court in Kanada zurückgewiesen: keine Patente auf Tiere und Pflanzen. Klage der EU-Kommission gegen die Länder, die die Biopatent-Richtlinie nicht umgesetzt haben. 2004: Petitionsausschuss leitet kritische Anträge zur Biopatent-Richtlinie an Parlament weiter. Bundesrat äußert sich kritisch zur Patentierung von menschlichen Gensequenzen. Greenpeace verriegelt EPA wegen der Erteilung eines Patentes auf eingefrorene Embryonen (April). 2005: Verhandlung des Krebsmaus-Patentes vor der Beschwerdekammer. Patent bleibt im Wesentlichen erhalten. Umsetzung der Biopatentrichtlinie in Deutsches Patentrecht (Dezember). Krebsmauspatent abgelaufen, in USA und in Europa. Biopatentrichtlinie bis jetzt, Juli 05, in Italien, Luxemburg, Lettland und Litauen (noch) nicht umgesetzt.
Ruth Tippe