Ohne klare Haftung zahlen Bauern die Zeche
Einer der zentralen Knackpunkte bei der Gentechnik-Gesetzgebung ist die Haftung. Sie ist im Sommer auf europäischer Ebene nicht einheitlich für alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union geregelt worden. Die Haftungsfrage - und dementsprechend im Vorfeld die Frage, wer für die Kosten der Trennung zwischen gentechnisch veränderten und konventionellen Produkten zahlen soll - ist auch in Deutschland bei der Novellierung des Gentechnik-Gesetzes ein sehr umstrittenes Feld. Höchste Zeit für die Bauern, für ihre Interessen einzutreten und Rechtssicherheit im Bereich der Gentechnik zu fordern.
Schon vor drei Jahren hat Familie Glöckle aus Baden-Württemberg erfahren, wie lange es dauert, bei gentechnischer Verunreinigung auf dem Acker eine Entschädigung zu bekommen und wie wenig Unterstützung dabei gegenüber der Saatgutfirma von öffentlichen Stellen kommt (siehe Kasten). Ein ganzes Jahr dauerte es, bis das Geld auf ihr Konto einging. Was für einen Hof bei einem Acker noch tragbar ist, kann für einen Direktvermarkter bei einem Schaden in größerem Ausmaß das Ende bedeuten. Nun treibt die EU-Kommission den Anbau und die Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen entschlossen voran, ohne dass die Frage der Haftung für Bäuerinnen und Bauern auch nur in Ansätzen gelöst ist. Für Bauern ist entscheidend: Wer muss in welchem Fall wem was nachweisen? Was kann der Vermehrer von Saatgut dem Käufer garantieren, was der Landhandel dem Bauern, der Futtermittel bei ihm kauft? Und was sollte ein Bauer in Zukunft besser keinem Abnehmer mehr garantieren?
Was soll im Gentechnik-Gesetz stehen?
Noch ist nicht bekannt, was - wenn die Frage der Haftung schon nicht auf europäischer Ebene geregelt wird - im neuen Gentechnik-Gesetz konkret stehen wird. In der Diskussion ist, die Haftung in der Art zu regeln, dass ein Landwirt, der transgene Pflanzen anbaut, seinen Nachbarn Schäden ersetzen muss, die durch Übertragung, Beimischung oder sonstigen Eintrag entstehen. Dabei gilt als Schaden, wenn die Ernte des Nachbarbetriebs nicht mehr ohne Kennzeichnung verkauft oder nicht mehr zum vorgesehenen Zweck verwendet werden darf. Der GVO-Nutzer gilt zunächst als schuldig, das heißt er haftet im Zweifelsfall, es sei denn, er kann belegen, dass er seiner Vorsorgepflicht nachgekommen ist. Kommen mehrere Verursacher für den Schaden in Betracht, haften sie gemeinsam. Das heißt aber auch: Für die Haftung wird es vermutlich nicht zu einer - von verschiedenen Seiten geforderten - Fonds-Regelung kommen. Diese könnte die Auseinandersetzungen auf den Dörfern minimieren, wenn es zu Problemen mit dem Nebeneinander von gentechnisch veränderten und gentechnikfreien Anbauformen kommt.
Bringschuld der Industrie
Im Bundeslandwirtschaftsministerium werden bereits erste Regeln, wie dieses Nebeneinander zwischen Gentechnik-Bauern und ihren Berufskollegen aussehen könnte, diskutiert. Sie werden voraussichtlich nicht im Gesetzestext, sondern in einer nachgeordneten Verordnung geregelt werden. Diese soll eine genauere Auslegung der guten fachlichen Praxis vorsehen. Danach sollen diejenigen Landwirte, die Gentech-Saatgut ausbringen, dazu verpflichtet werden, Abstände einzuhalten oder Mantelsaaten auszubringen, um Auskreuzungen zu verhindern. Schritte in die richtige Richtung; bleibt nur zu hoffen, dass Landwirtschaftsministerin Renate Künast mit ihren Ankündigungen, sich für klare Haftungsregelungen einzusetzen, ernst macht. In Brüssel sind im Sommer zwei Verordnungen verabschiedet worden, die den Umgang mit der Gentechnik in der Land- und Lebensmittelwirtschaft regeln sollen: Für Lebensmittel und erstmals auch Futtermittel gibt es nun eine Kennzeichnungspflicht. Zusätzlich soll der Warenfluss durch Begleitdokumente oder der Anbau durch ein Kataster, in dem die Flächen gemeldet werden, transparenter werden. Doch diejenigen, die die Einführung der Gen-Pflanzen und Produkte in Europa so vorantreiben, bleiben einige Antworten schuldig. Wenn eine Risikotechnologie eingeführt wird, muss gewährleistet werden, dass die Unternehmen für die Folgen der Technologie herangezogen werden können. Es ist an der Gentechnik-Industrie, Vorschläge auf den Tisch zu bringen, wie sie an jedem einzelnen Punkt, an dem Verunreinigungen denkbar sind, die Haftung klären will. Wer das Problem verursacht, soll wenigstens eine Lösung auf den Tisch legen, die mehr Überzeugungskraft besitzt, als die Behauptung, dass es in den USA und Kanada ja ein Nebeneinander der herkömmlichen und Gentech-Landwirtschaft gebe.
Kosten des Alltags nicht beziffert
Was EU-Agrarkommissar Franz Fischler beim Thema Koexistenz "Wahlfreiheit der Verbraucher" nennt, verschleiert, was eine gentechnikfreie Produktion braucht: keine Freiheit sondern einen starken Schutz. Ende Mai wurde während eines Runden Tisches zur Koexistenz auch im Bundeslandwirtschaftsministerium erkannt, dass die Haftungsfrage bei der Koexistenz drängt. Denn selbst auf die Frage, wie hoch die Kosten einer Trennung von der Saatguterzeugung bis in den Supermarkt sein werden, schweigt sich die Gentechnik-Industrie in der Öffentlichkeit aus. Deutlich wird, dass Eindeutigkeit hergestellt werden muss, denn ohne klare Regeln werden wieder einmal die konventionell und ökologisch wirtschaftenden Bauern als schwächstes Glied in der langen Lebensmittelkette für Untersuchungen und Schäden zahlen müssen.
Mute Schimpf war Vorstandsmitglied des GeN und ist Food Campaigner bei Friends of the Earth Europe.
Der lange Weg der Entschädigung:
Im Frühsommer 2000 wurden in mehreren Bundesländern gentechnische Verunreinigungen in der Sommerrapssorte Hyola 401 entdeckt. So auch bei der Familie Glöckle in der Nähe von Ulm. "Hätten uns die öffentlichen Stellen direkt nach ihrer Kenntnis über die Verunreinigung am 3. April 2000 informiert, hätten wir den Gentech-Raps erst gar nicht Anfang April auf unserem Acker ausgesät", erzählt Georg Glöckle. In der Tageszeitung las er erst am 20. Mai von der Verunreinigung, sein Landhandel informierte ihn nochmals drei Tage später darüber. Der Vorschlag von Seiten des Landhandels und des Bauernverbandes, den Raps getrennt zu ernten und abzuliefern, fand keine Zustimmung bei den Glöckles: "Wir haben einwandfreies Saatgut bestellt, bezahlt und Anspruch darauf und nicht auf illegalen Raps". In Eigeninitiative überlegte sich die Familie, den Raps nicht zu ernten, sondern noch vor der Blüte abzumulchen und als Flächenstilllegung mit Begrünung umzumelden, was so schnell in der zuständigen Behörde in Ulm keiner mitverantworten wollte. Ab Juni 2000 versuchte die Familie dann mit Unterstützung einer Rechtsanwältin, von der Saatgutfirma Advanta Schadensersatz zu bekommen. Die deutsche Niederlassung erklärte sich prompt für nicht zuständig und im umfangreichen Schriftverkehr musste auf englisch gegenüber Advanta Seeds UK bewiesen werden, dass das Saatgut tatsächlich ausgesät wurde und von der Firma kam, welche Menge gesät wurde, dass der Raps vernichtet, welcher Ertrag zu erwarten und zu welchem Preis zu verkaufen gewesen wäre... Bis im Juni 2001 - also ein Jahr später - endlich nach mehreren Aufforderungen eine Entschädigung von Advanta auf das Konto der Familie Glöckle einging. (ms)