Koalitionen in Dörfern und Regionen
Lange spielte sich die Diskussion um den Einsatz der so genannten grünen Gentechnik in eher exklusiven Debattierrunden von Experten ab. Lobby-VertreterInnen verschiedener Interessengruppen gaben sich bei den PolitikerInnen in Brüssel die Klinke in die Hand. Mittlerweile scheint die Diskussion bei den Leuten im Lande angekommen zu sein. Insbesondere in bäuerlichen Kreisen formieren sich Aktionsbündnisse, um gemeinsam gegen die Gentechnik auf dem Acker vorzugehen. Ein kurzer Eindruck aus Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Hessen.
Das Stuttgarter Ministerium für Ernährung und Ländlichen Raum und die BIOPRO Baden-Württemberg GmbH hatten sich eine schöne ruhige Werbeveranstaltung vorgestellt, als sie im Rahmen des 96. Landwirtschaftlichen Hauptfestes des Landes eine Informationsveranstaltung über die Vorzüge der Gentechnologie in Land- und Lebensmittelwirtschaft einluden. Doch daraus wurde nichts: Ein regionales Bündnis aus konventionell und ökologisch arbeitenden Landwirten, Bioland, Demeter, der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), BUND, Greenpeace, dem Naturschutzbund und einer Attac-Gruppe war hellhörig geworden. Zunächst hatten sich die kritischen VertreterInnen des Bündnisses nur darüber beklagt, dass weder sie noch andere kritische Stimmen zur Veranstaltung geladen worden waren. Als jedoch klar wurde, dass es sich dabei um den Versuch einer bewusste Harmonisierung der Veranstaltung handelte, schürte dies nur den Willen der Gruppe, den eigenen Ansichten zu diesem Thema gerade an dieser Stelle Ausdruck zu verleihen. Spontan wurde vor der Veranstaltung demonstriert und schließlich wurde den Demonstrierenden auch "Einlass gewährt".
Koexistenz nicht möglich
Auch im nördlichsten Bundesland hat sich ein "Aktionsbündnis für ein Gentechnik-freies Schleswig-Holstein" gebildet. Die tragenden Kräfte sind hier die AbL, der BUND Schleswig-Holstein und die Öko-Gruppe von Attac in Kiel. Aktueller Anlass ist das drohende Ende des EU-Zulassungsmoratoriums für gentechnisch veränderte Organismen, mit dem in naher Zukunft gerechnet wird. Regional von großer Bedeutung ist, dass auf zwanzig Prozent der Äcker in Schleswig-Holstein Raps angebaut wird. Vom Raps wird vermutet, dass er eine der ersten gentechnisch veränderten Pflanzen auf den deutschen (europäischen) Äckern sein könnte, da die Entwicklung transgener - insbesondere Herbizid-resistenter - Sorten weit vorangeschritten ist. Gleichzeitig ist er besonders von Auskreuzung bedroht, da seine Pollen verhältnismäßig weit fliegen, zum Teil deutlich über zehn Kilometer. Nicht selten ist mittlerweile zu hören, dass es eine Koexistenz zwischen konventionellem, ökologischem und transgenem Raps in Europa nicht geben kann. Erfahrungen aus Kanada unterstützen diese These genauso, wie neuere Forschungsergebnissse aus Großbritannien (siehe Artikel "UK on the Way" in diesem Heft). In Kanada ist es nach weniger als zehn Jahren Anbau von gentechnisch veränderten Sorten praktisch nicht mehr möglich, nach den Kriterien für den ökologischen Landbau - das heißt ohne jeglichen Anteil von GVO - Raps zu erzeugen. Auf der britischen Insel zeigten unlängst veröffentlichte Untersuchungen unter anderem, dass es bei Raps - nach Abschätzungen - bis zu 16 Jahre dauern könnte, bis Durchwuchspflanzen aus im Boden überdauernden Samen so selten sind, dass beim Ernteprodukt Grenzwerte von einem Prozent eingehalten werden können.(1) In Hessen hat sich das Bündnis mit den meisten Unterstützer-Gruppen gebildet: Beteiligt sind hier unter dem Motto "Keine Gentechnik auf Hessens Feldern und in Hessens Lebensmitteln" mehr als zehn Gruppen, Unternehmen und Verbände aus den Bereichen Umwelt und Naturschutz, Ernährung und Landwirtschaft.(2) Die Gruppen setzen sich mit ihrer "Wiesbadener Erklärung" vom 13. Oktober dieses Jahres vor allem für den Schutz der Gentechnik-freien Landwirtschaft ein. Da aber die Kleinräumigkeit der hessischen Landwirtschaft eine Koexistenz nicht ermöglicht, sollte im Lande auf den Einsatz der neuen Technologie verzichtet werden, wozu sie die hessischen Bauern auffordern. Gleichzeitig wendet sich das Bündnis an den Lebensmittel-Einzelhandel und die Futtermittel-Industrie, die mit ihrer Unterstützung durch Nachfrage von Gentechnik-freien Rohstoffen und Waren helfen können, das Bündnis zu unterstützen.
Gentechnik-freie Zonen
In verschiedenen anderen Bundesländern sind ebenfalls Aktivititäten gestartet worden, so gibt es in Mecklenburg-Vorpommern eine Gruppe von 15 Bäuerinnen und Bauern, die ihre Region Ende November zur - nach eigenen Angaben ersten - Gentechnik-freien Zone in Deutschland erklärt haben, allerdings soll ihr Memorandum zunächst nur für ein Jahr gelten. Insgesamt werden von den Beteiligten fast 10.000 Hektar bewirtschaftet. In Sachsen-Anhalt hat sich erst vor kurzem der Landesbauernverband - nach Absprache mit dem Deutschen Bauernverband - gegen einen Großversuch mit gentechnisch veränderten Pflanzensorten ausgesprochen und ihre Kooperation verweigert. Die Biotech-Industrie in persona ihre BIO-Mitteldeutschland GmbH (3) wollte - und will vermutlich noch - in Kooperation mit der Landesregierung Sachsen-Anhalt "das Mit- und Nebeneinander verschiedener Anbauformen in der landwirtschaftlichen Praxis" erproben. Da aber genau diese Koexistenz nicht geklärt ist, wollen sich die Bäuerinnen und Bauern nicht an dem Versuch beteiligen.(4) Auch in Niedersachsen und in Nordrhein-Westfalen gab es erste Treffen zur Gründung von Bündnissen. Ob als Gentechnik-freie Zone, für ein Gentechnik-freies Deutschland oder für die Klärung und gesetzliche Regelung der Koexistenz im Sinne des Schutzes der Gentech-freien Landwirtschaft: Die Diskussion um die Gentechnik in der Landwirtschaft ist wieder im Lande angekommen.
Fußnoten:
- Samen können auf verschiedene Arten in den Boden gelangen (zum Beispiel bei der Ernte). Dort können sie sehr lange überdauern. Sie keimen in den Folgejahren und treten dann als so genannte Durchwuchspflanzen in Erscheinung. Die Zahlen stützen sich auf einen Bericht, der im Auftrag der britischen Regierung erstellt worden war und im Oktober dieses Jahres veröffentlicht wurde: The potential for oilseed rape feralal (volunteer) weeds to cause impurities in later oilseed rape crops. (Der Bericht findet sich im Internet unter: http://www.defra.gov.uk/environment/ gm/research/epg-rg0114.htm).
- Das Aktionsbündnis Hessen besteht aus: der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Demeter, Alnatura, den Umweltbeauftragten der Evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck, zwei regionalen Attac-Gruppen, Greenpeace, Bioland, Naturland, dem Bundesverband Naturkost, Naturwaren, Einzelhandel, der Bäckergruppe Siebenkorn, dem Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft, der Einzelhandelskette tegut, dem BUND und der Vereinigung Ökologischer Landbau Hessen.
- Die landeseigene Bio-Mitteldeutschland GmbH (BIO-MD) wurde gegründet mit dem erklärten Ziel, die Biotechnologie in Mitteldeutschland insbesondere in Sachsen-Anhalt zu fördern. Geschäftsführer der BIO-MD ist Jens Katzek, der bis vor etwa einem Jahr noch Geschäftsführer des Deutschen Industrieverbandes Biotechnologie (DIB) war. (siehe zum Beispiel: www.bioregio.com/bmd.htm und www.biomitteldeutschland.de).
- Siehe auch: Kurz notiert - Landwirtschaft und Lebensmittel, in diesem Heft
Christof Potthof war bis Ende April 2020 Mitarbeiter im GeN und Redakteur des GID.