Nachhaltigkeitspreis für die BASF

Wer hat den Preis des Nachhaltigkeitsrates vergeben?

Ende letzten Jahres rief der Rat für Nachhaltige Entwicklung, der die Bundesregierung in Fragen der Nachhaltigkeit berät, einen Ideenwettbewerb aus. Gewonnen hat eine Arbeitsgruppe der BASF, die eine Methode zur Nachhaltigkeitsmessung in der Landwirtschaft entwickelt hat. Der landwirtschaftliche Experte im Rat war jedoch nicht an der Auswahl beteiligt.

Nachhaltige Unternehmensführung: Kosten kennen - Nutzen erschließen“ lautet der Titel des Ideenwettbewerbs, der sich an Mitarbeitende von Unternehmen und Forschungseinrichtungen richtet. Verantwortlich für die Auswahl der Gewinner ist eine vom Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) einberufene Steuerungsgruppe. Im April dieses Jahres lädt sie acht der Bewerber ein, um ihre innovativen Ideen zu präsentieren. Darunter der Biologe Dr. Dirk Voeste, sein Thema ist die Landwirtschaft. „Landwirtschaft, ein Zukunftsmarkt. Nachhaltigkeit ist entscheidend für diesen Markt. Aber Nachhaltigkeit ist kompliziert“ - so die Einleitung seiner Präsentation. Die Nachhaltigkeit landwirtschaftlicher Methoden könne nur dann angemessen beurteilt werden, wenn Faktoren entlang der ganzen Wertschöpfungskette betrachtet werden. „Vergleichende Lebenszyklusanalysen“ wird das in der Fachsprache genannt. Gemeinsam mit seinen Kollegen hat Voeste eine Methode entworfen, die diesen Anforderungen entsprechen soll: AgBalance („Ag“ wie in „Agriculture“) ist mit dem Versprechen angetreten, die Nachhaltigkeit landwirtschaftlicher Systeme zu messen und Verbesserungspotential zu identifizieren. Voeste erläutert die Methodik, zeigt Bilder von brasilianischen Sojafeldern und von indischen Kleinbäuerinnen. Er scheint das Publikum überzeugt zu haben; am Ende des Tages wird AgBalance als eine der zwei besten Ideen prämiert.1 Wer nun weiß, dass der Rat für Nachhaltige Entwicklung im vorigen Jahr empfohlen hat, den Ökolandbau als „Gold-Standard“ für das Leitbild einer nachhaltigen Landwirtschaft zu etablieren 2, mag davon ausgehen, den Mitarbeiter eines Öko-Anbauverbandes oder einer Umwelt-NGO vor sich zu haben. Doch Voeste ist Verantwortlicher für Nachhaltigkeit und Produktsicherheit der Pflanzenschutzsparte der BASF. Ein multinationaler Chemie-Gigant, der im Landwirtschaftsbereich bisher vor allem durch die Propagierung von herbizid-intensiven Monokulturen und Gentechnik aufgefallen ist, als Preisträger eines vom Rat für Nachhaltige Entwicklung verliehenen Nachhaltigkeitspreises - muss das denn sein?

Anspruch...

Die Methode AgBalance wurde im November zum ersten Mal vorgestellt. Für die Nachhaltigkeitsmessung werden zunächst etwa 200 Messgrößen erfasst und zu 69 Indikatoren aus den Bereichen Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft zusammengefasst. Diese Indikatoren messen beispielsweise die Bodenerosion, die Treibhausgasemissionen, die Kosten für Maschinen und Saatgut, das Vergiftungspotential oder den Zugang zu Land. In einem zweiten Schritt werden sie mit Hilfe verschiedener Algorithmen bewertet; am Ende entsteht ein in Zahlen ausgedrückter „Nachhaltigkeitswert“. Er soll ermöglichen, die Nachhaltigkeit ganz unterschiedlicher landwirtschaftlicher Systeme miteinander zu vergleichen.3 Um AgBalance richtig umzusetzen, ist somit eine enorme Menge von ökologischen und (sozio-)ökonomischen Daten erforderlich. Auf diese nicht zu unterschätzende Herausforderung weisen auch die Zertifizierungsunternehmen hin, von denen BASF die Methode validieren ließ. Der TÜV Süd beispielsweise stellt fest, dass die Vielfalt an Input-Daten eine große Herausforderung an die transparente Dokumentation der Daten darstelle, und dass die praktische Anwendbarkeit des Modells in Zukunft noch besser dokumentiert werden müsse.

… und Wirklichkeit

Inzwischen sind die ersten Studien durchgeführt worden. Um es gleich vorwegzunehmen: Die Transparenz lässt zu wünschen übrig. Bereits der genaue Untersuchungsgegenstand der ersten Studie bleibt unklar. Laut Pressemitteilung der BASF wurde die Nachhaltigkeit des Sojaanbaus in Brasilien analysiert - im entsprechenden Bericht hingegen ist wenig von Soja und viel von Zuckerrohr die Rede. Die zweite Studie analysiert die Nachhaltigkeit des Maisanbaus im US-Bundesstaat Iowa im zeitlichen Vergleich von 2000 und 2010, und kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Nachhaltigkeit um 40 Prozent verbessert hat.4 Die ökologische Verbesserung wird unter anderem damit begründet, dass traditionelle Bodeninsektizide durch ein Zwei-Komponenten-System ersetzt wurden. In diesem System wird gentechnisch veränderter Bt-Mais mit Resistenzen gegen Maiszünsler und Maiswurzelbohrer angebaut und mit neuartigen Neonicotinoiden, hochwirksamen Insektiziden, behandelt. Als negative Entwicklung wird hingegen der Zielkonflikt zwischen ökonomisch sinnvoller Mechanisierung der Arbeitsabläufe und Abnahme der Beschäftigten in der Landwirtschaft erwähnt. Die dritte Fallstudie behandelt den Rapsanbau in Mecklenburg-Vorpommern. Das Ergebnis besagt, dass sich von 1998 bis 2008 sowohl die ökonomische als auch die ökologische Nachhaltigkeit deutlich verbessert haben - trotz steigenden Herbizidverbrauchs. Denn die heutigen Wirkstoffe seien längst nicht mehr so umweltschädlich wie die vor zehn Jahren aufs Feld gebrachten Stoffe. Ähnlich wie die Iowa-Studie verweist auch diese Studie auf Zielkonflikte zwischen ökonomischer Rentabilität und sozialen Auswirkungen: Die ökonomisch positiv zu wertende Reduktion der Arbeitsstunden geht mit negativen Werten des Indikators „Lokale bzw. Nationale Gemeinschaft“ einher, der zum Beispiel die Anzahl der Arbeitsplätze, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen und die Integration behinderter Menschen misst. Auch der Wert für „Zukünftige Generationen“, der sich aus der Anzahl der Auszubildenden und den Beiträgen zur Sozialversicherung zusammensetzt, hat sich verschlechtert. Hier zeigt sich eine Grenze von Nachhaltigkeitsmessungen. Denn Daten für die einzelnen Faktoren zu erheben ist an sich bereits eine Herausforderung, ungleich schwieriger ist es jedoch, die verschiedenen Faktoren gegeneinander abzuwägen. Ob nun ökonomische Rentabilität, soziale Gerechtigkeit oder Umweltverträglichkeit bei einer Bewertung Priorität haben sollten, bedarf keiner wissenschaftlichen Expertise, sondern einer gesellschaftlich-politischen Debatte.

Unterstützung für das Paradigma der „nachhaltigen Intensivierung“

Mit Blick auf die Bewertung bestimmter landwirtschaftlicher Methoden wird deutlich: Die ersten Anwendungen der AgBalance-Methode stützen voll und ganz das von der BASF (und anderen Protagonisten der industriellen Landwirtschaft) propagierte, auf chemischen Pflanzenschutzmitteln, Hybridsorten und Gentechnik basierende Landwirtschaftssystem. Die Nachricht ist klar: Die intensive, industrialisierte Landwirtschaft verfügt über großes Potential, die Nachhaltigkeit landwirtschaftlicher Produktion zu vergrößern - wenn denn nur die neuesten (Gen-)Technologien angewandt werden. Wie passt nun dieser Preis zur eigentlichen Linie des Nachhaltigkeitsrates, den Öko-Landbau als Leitbild etablieren zu wollen? Auf diese Frage weiß selbst Heinrich Graf von Bassewitz keine Antwort. Der Landwirt leitet die Arbeitsgruppe Öko-Landbau im Nachhaltigkeitsrat und ist außerdem Vorsitzender des Fachausschusses für ökologischen Landbau beim Deutschen Bauernverband. Mit der Nachhaltigkeit verschiedener landwirtschaftlicher Verfahren beschäftigt er sich seit langem. Doch weder die BASF-Methode noch die Preisverleihung ist ihm bekannt. Die Steuerungsgruppe habe ihn weder in ihrer Entscheidungsfindung konsultiert, noch sei ihm die Entscheidung im Nachhinein vorgelegt worden. Die Empfehlungen zum Öko-Landbau hingegen seien von allen Ratsmitgliedern gelesen worden und repräsentierten die offizielle Linie des Rates in Bezug auf nachhaltige Landwirtschaft. Noch im Herbst soll eine neue Empfehlung zur Zukunft des Öko-Landbaus erarbeitet werden. Vielleicht wird sie ja beim nächsten Ideenwettbewerb beherzigt. Und vielleicht ist der nächste Gewinner dann ein innovativer Öko-Landwirt. Genügend Auswahl dürfte es geben.

Erschienen in
GID-Ausgabe
213
vom September 2012
Seite 27 - 28

Anne Bundschuh arbeitet beim Forum Umwelt und Entwicklung und koordiniert dort das Netzwerk Gerechter Welthandel. Von 2012 bis 2017 war sie Mitarbeiterin des GeN.

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