Stationen einer Sternfahrt
Bauernsternfahrt „Meine Landwirtschaft - unsere Wahl“
Aktuell wird die zukünftige Agrarpolitik der Europäischen Union verhandelt. Der zuständige EU-Kommissar Dacian Ciolos hat dazu einen ersten Vorschlag vorgelegt, der nun in den Gremien der EU, im Rat und im Parlament verhandelt wird. In Deutschland haben sich Organisationen der Zivilgesellschaft zur Kampagne „Meine Landwirtschaft - unsere Wahl“ zusammengeschlossen. Die Sternfahrt der Kampagne führte auf vier Strecken zum Kanzleramt nach Berlin: „Angela, wir müssen reden!“
2./4. Juni
Henrik Maaß, junge Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft
Auf der Hessenroute der Bauernsternfahrt gab es einige Erlebnisse, die mich noch nachdenklicher gestimmt haben, als ich es schon zuvor war. In Gießen hielten wir an der Universität. Dort werden seit vielen Jahren Freilandversuche mit gentechnisch veränderten (gv) Pflanzen durchgeführt. Das ist möglich durch die verwobenen Beziehungen zweier Professoren mit gentechnikfreundlichen Instituten. Hier werden für eine minimalistische Technologie in der Pflanzenzüchtung große Summen an Forschungsgeldern aus Bundesmitteln eingesetzt. Das hat einen einfachen Grund: Das Bundesforschungsministerium will Projekte fördern, aus denen letztendlich Produkte entstehen. Die glaubt es hier zu bekommen. Einen ganz anderen Ansatz haben wir in Witzenhausen erlebt. An dem Agrarstandort der Uni Kassel wird ökologische Landwirtschaft gelehrt und erforscht. Dabei wird nicht die eine Lösung gesucht. Durch einen ganzheitlichen Ansatz wird von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein Verständnis für die Zusammenhänge der vielfältigen Ökosysteme angestrebt. Das wird gemeinsam mit Bäuerinnen und Bauern erarbeitet und zur Optimierung der Praktiken von diesen eingesetzt - eine echte Innovation. Warum ist es aber so schwierig, Forschungsgelder für diese komplexen Fragestellungen zu bekommen? Die Bundesregierung darf nicht weiter einseitig Risikotechnologien fördern. Sie muss diejenigen Forschungsrichtungen, die sich an den Bedürfnissen der Landwirte und Steuerzahler und den ökologischen Herausforderungen ausrichten, stärken.
4./5. und 9. Juni
Stig Tanzmann, Evangelischer Entwicklungsdienst
Für mich begann die Sternfahrt der Kampagne „Meine Landwirtschaft“ mit dem Weg zum evangelischen Kirchentag in Dresden. Das ZDF hatte die Ausstellung des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) „Fleisch in Massen, Fleisch in Maßen“ für seinen Auftaktsbeitrag zum Kirchentag aufgenommen. So wurde ich bereits bei meinen Vorbereitungen, beim Einpacken der Ausstellung, für Dresden gefilmt und zur Kampagne interviewt. Dann ging es los nach Dresden. Besonders beeindruckend war für mich, wie intensiv sich viele Teilnehmer des Kirchentags mit der Ausstellung auseinandersetzten. Sehr positiv wurde aufgenommen, dass die Ausweitung der Massentierhaltung in Deutschland und Europa vornehmlich mit den Auswirkungen auf Afrika und Südamerika verknüpft wurde. Dabei war es offensichtlich wichtig zu sehen, wie die Soja für die Tierhaltung in Europa angebaut wird. Über die negativen Konsequenzen des monokulturellen Anbaus gentechnisch veränderter Soja auf die Landbevölkerung und gerade auf die Kleinbauern waren viele Besucher schockiert. Klarer Höhepunkt des Kirchentags war die Ankunft der Sternfahrer in Dresden am Freitag, den 3. Juni. Endlich konnten die Teilnehmer des Kirchentags mit Bäuerinnen und Bauern aus Deutschland diskutieren. Zu der Diskussion über die Ausstellung kamen weit über 1.000 Zuhörer. Hier griffen die Sternfahrer mit einer kurzen, aber kraftvollen Demonstration ein, um ihrem Anliegen Gehör zu verschaffen. Für mich besonders ergreifend war die Solidarisierung von Georg Janßen von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft mit unserem EED-Projektpartner und Kirchentags-Gast King-David Amoah, einem Vertreter des ghanaischen Bauernverbandes. Die Bäuerinnen und Bauern in Ghana sind massiv von den mit Gen-Soja erzeugten europäischen Billig-Geflügelfleisch-Exporten betroffen und in ihrer Existenz bedroht. Für King-David war die Sternfahrt ein wichtiges Zeichen, dass die Bauern weltweit zusammenstehen. Einfach beeindruckend war die Abschlusskundgebung der Sternfahrer am 9. Juni vor dem Kanzleramt in Berlin. Es war eine wunderschöne Aufbruchstimmung. Jeder konnte die ganze Energie spüren, die die Sternfahrer auf ihrem weiten Weg gesammelt hatten. Ich hoffe, dass wir diesen Schwung in den heißen Herbst mitnehmen, wenn es bei der EU-Agrarreform in die entscheidende Phase geht.
7. Juni
Jan Wendel, junge Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft
Auch im Nachhinein lässt mich eine Veranstaltung nicht zur Ruhe kommen: „Massentierhaltung contra bäuerliche Landwirtschaft“ lautete der provozierende Titel der Diskussionveranstaltung in Mühlberg/Elbe in Brandenburg. Anlass dafür bot eine kürzlich genehmigte Hähnchenmastanlage in der Nähe. Wir als SternfahrerInnen kamen mit unserem Treck erst kurz vor der Veranstaltung in Mühlberg/Elbe an. Vor dem Pfarramt auf dem Boden sitzend, aßen wir aus Wam Kats vegetarischer Demoküche, während die Besucher an uns vorbei in den Saal strömten. Der hatte sich bis zu Beginn der Veranstaltung gut gefüllt. Von den umliegenden Großbetrieben waren einige Betriebsleiter gekommen, die sich gegen eine pauschale Verurteilung durch den Begriff Massentierhaltung vehement zur Wehr setzten. Besonders heftig meldete sich die Leiterin einer Agrargenossenschaft zu Wort, in deren Betrieb nach eigenen Angaben fünfzig Personen beschäftigt sind und die versucht, einen hohen Anteil ihrer Eiweißfuttermittel aus betriebseigenen Körnerleguminosen zu decken. Aber genau das sind zwei Kernforderungen an die neue gemeinsame europäische Agrarpolitik: Ein verpflichtender Körnerleguminosenanteil von 20 Prozent der Ackerfruchtfolge und eine Berücksichtigung der Lohnkosten bei Großbetrieben, deren Gesamtbetriebsprämie die Obergrenze von 150.000 Euro überschreitet.1 Forderungen, die meiner Meinung nach allen Menschen zu Gute kommen, die eine vernünftige Landwirtschaft betreiben wollen. Forderungen, die unabhängig von Lagerdenken und Betriebsgrößen betrachtet werden sollten.
7. Juni
Phillip Brändle, junge Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft
In der Tat - es war ein ungewöhnliches Szenario, mit dem die Sternfahrer in Üplingen empfangen wurden: meterhohe Wachtürme, schwarz gekleidete Wachleute einer privaten Sicherheitsfirma und ein beachtliches Aufgebot von Polizisten, angerückt mit Räumpanzer. Doch auch wenn das gegenseitige „Kennenlernen“ nicht gerade optimal verlaufen war, wir machten uns neugierig auf den Weg durch den Gentechnik-Schaugarten. Wir wollten uns die neuen und alten Errungenschaften der Biotechnikindustrie vorführen lassen! Was uns vor Ort dann gezeigt und erklärt wurde, war an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Es wurde behauptet, die genmanipulierten Zellen eines Bt-Mais würden sich nach der Nutzung in einer Biogasanlage nicht mehr im Biogas-Substrat nachweisen lassen. Nur ein Beispiel für die Vielzahl haltloser Behauptungen, mit denen uns die Geschäftsführerin des Schaugartens, Kerstin Schmidt, im Laufe der Führung konfrontierte. Doch nicht nur die inhaltliche Auseinandersetzung war ein Trauerspiel - auch der Versuchsaufbau war mehr als fragwürdig. Das Feld mit den gentechnisch veränderten, herbizidtoleranten Rüben der KWS Saat AG werden - selbst frisch gespritzt und ohne einen einzigen Halm Unkraut - mit einer Nullparzelle verglichen - also einem Stück ohne jede Unkrautregulierung. Ein anderes Beispiel: Ein insektengiftiger Bt-Mais wird mit einer konventionellen Sorte verglichen. Letztere wurde aber vier Wochen später gesät, der Bt-Mais ist aus diesem Grund deutlich größer. Fakt ist: Diese Eindrücke trugen nicht dazu bei, die Akzeptanz des Schaugartens bei uns zu erhöhen - im Gegenteil, wir wurden in unserer bisherigen Meinung nachdrücklich bestätigt: Der Schaugarten in Üplingen dient einzig und allein der Propaganda für eine Technologie, die in der Forschung bereits Unmengen an Geld verschlungen hat, aber in der Praxis keinerlei Erfolge vorweisen kann. Verständlich wäre dieses Projekt, würde es sich um eine Initiative handeln, die einzig durch die Industrie getragen wird. Aber bereits im Eingangsbereich des Schaugartens wird deutlich sichtbar: Die besondere Zierde des Geländes - die Flaggen Europas, Deutschlands und Sachsen-Anhalts - wehen im Winde der Politik. Es sind nicht zuletzt staatliche Institutionen, die europaweit den Üplinger Gentechnik-Schaugarten mit erheblichen Mitteln fördern und unterstützen. Und dies trotz der Tatsache, dass eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung Produkte aus dem Gen-Labor auf ihren Feldern und Tellern ablehnt - absurd!
- 1Körnerleguminosen [Hülsenfrüchte] besitzen die Fähigkeit, mit den Knöllchenbakterien Stickstoff zu sammeln und im Boden anzureichern; zum anderen „bringen sie eine eiweißreiche Frucht hervor“ (www.oekolandbau.de). Bisher werden Prämien je Hektar gezahlt, was große Betriebe fördert. Wird zusätzlich auf die Arbeitskräfte Bezug genommen, ergibt sich im Regelfall eine Stärkung kleinerer Höfe.
Teilnehmer der Sternfahrt
Kernforderungen der Kampagne „Meine Landwirtschaft - Unsere Wahl”
Landwirtschaft soll sich lohnen - für Bäuerinnen, Bauern und VerbraucherInnen
Nachhaltige bäuerliche Landwirtschaft und gute Qualität brauchen kostendeckende Preise. Dazu muss die Marktmacht der Landwirte und Verbraucher gestärkt werden. Eine bedarfsorientierte, möglichst regionale Produktion und Verarbeitung von Lebensmitteln ist zum Erreichen dieses Ziels von großer Bedeutung. Kein weiterer Hof soll mehr die Produktion aufgeben müssen.
Gesunde Tiere für gesunde Ernährung
Tierschutz, Klimawandel und Ressourcenknappheit zwingen zur Umkehr in der Tierhaltung und beim Fleischkonsum. Die Produktion muss sich an der verfügbaren Fläche und der Würde der Tiere orientieren. Davon profitiert auch eine gesunde Ernährung.
Klimaschutz
Klimagas-Emissionen (insbesondere Kohlendioxid und Methan) müssen um 80 Prozent reduziert werden, wenn der globale Klimawandel gestoppt werden soll. Das gilt auch für die Landwirtschaft. Dazu muss vor allem die Abhängigkeit unserer Ernährung von Öl und Mineraldünger überwunden, die Fleischproduktion umgestellt und die Speicherung von Kohlenstoff durch Humusbildung im Acker- und Grünland gesteigert werden. Großflächiger Ersatz fossiler Energie durch Sprit- und Energiepflanzen vom Acker ist keine Alternative. Landwirtschaft muss im Wesentlichen mit solarer Energie versorgt werden.
Das Menschenrecht auf gesunde Nahrung weltweit durchsetzen
Eine Milliarde Menschen hungern, ebenso viele sind fehlernährt und übergewichtig. Oberstes Ziel der EU-Agrarpolitik muss es sein, alle Bürger gut und gesund mit den Ressourcen zu ernähren, die jedem der sieben Milliarden Erdenbürger nachhaltig zur Verfügung stehen. Europa muss seinen Bedarf an landwirtschaftlichen Produkten auf der eigenen Fläche decken. Durch Import von Lebens- und Futtermitteln und anderen Produkten hat die EU heute ein Netto-Defizit von 35 Millionen Hektar. Subventionierte Exporte bedrohen in armen Länder die Selbstversorgung und Existenz von Kleinbauern.
Vielfalt statt Monokulturen
Die Vielfalt der Kulturlandschaften Europas, unserer Kulturpflanzen und Nutztierrassen zu erhalten und das Artensterben zu stoppen ist eine Überlebensfrage in Zeiten des Klimawandels. Dafür ist die Verbesserung der Artenvielfalt vonnöten. Grünland sollte auf allen Betrieben erhalten werden. Der Einsatz synthetischer Dünge- und Pflanzenschutzmittel muss systematisch reduziert, agrarökologische Lösungen und ökologische Landwirtschaft gezielt gefördert werden.
Innovation statt Risiko- und Monopoltechnologien
Risikotechnologien wie die Agro-Gentechnik lehnen wir ab. Bäuerliche Kompetenz und ganzheitliche Forschung ist die Grundlage der Innovation. Die Natur als „Bio“-Fabrik ist keine Zukunftsstrategie.
Die Kampagne „Meine Landwirtschaft - unsere Wahl” findet sich im Internet unter www.meine-landwirtschaft.de. Dort gibt es eine ausführliche Version der Forderungen und viele weitere Informationen.