„Eine diskriminierungsfreie Gesellschaft fördern“
Gegen eine ungehinderte Vermarktung der pränatalen Bluttests
Die Bundestagsabgeordnete Corinna Rüffer (Bündnis90/Die Grünen) hat wiederholt deutliche Kritik an der ungehinderten Vermarktung der pränatalen Bluttests (NIPT) hierzulande formuliert und gehört zu einer Gruppe von Bundestagsabgeordneten, die eine interfraktionelle Kleine Anfrage an die Bundesregierung zu deren Einführung gestellt hat. Der GID befragte sie über den Einfluss von Politik und Regulierung auf solche und andere Angebote auf dem Markt.
Was sind Ihrer Meinung nach die wesentlichen Gründe für die rasante Verbreitung der pränatalen Bluttests?
Ein Grund ist sicher die leichte Anwendbarkeit dieser Tests in Form einer Blutabnahme, die man als Schwangere sowieso häufiger über sich ergehen lässt. Ich habe großes Verständnis für das Bedürfnis der werdenden Eltern zu hören, dass mit ihrem Kind alles in Ordnung ist, und viele werdende Eltern verlangen diese Tests ja auch proaktiv. Aber es gibt natürlich auch Vorurteile beim Umgang mit Behinderung. Auch ist unklar, ob im praktischen Alltag wirklich immer in aller Ausführlichkeit darüber aufgeklärt wird, welche Folgen ein solcher Test haben kann, insbesondere bei einem positiven Befund.
Welches Resümee ziehen Sie aus den Versuchen, auf die Einführung der Bluttests politisch Einfluss zu nehmen?
Auf jeden Fall ist klar geworden, dass es bei der Einführung dieser Tests an keiner Stelle eine ethische Überprüfung gibt: Die Zulassung der Tests erfolgt ausschließlich anhand der Kriterien Wirksamkeit und Sicherheit. Auch bei der Entscheidung über die Kostenübernahme in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Gemeinsamen Bundesausschuss ist bislang keine Möglichkeit vorgesehen, die gesellschaftlichen und ethischen Folgen der Einführung eines solchen Produkts mit einzubeziehen. Die Frage, was eigentlich das Ziel solcher Tests ist, muss aber gestellt werden. Geht es wirklich nur um die reine Feststellung einer genetischen Eigenschaft? Wir lügen uns doch in die Tasche, wenn wir pränatale Testverfahren von den sich daraus ergebenden Konsequenzen abkoppeln, etwa von der Frage nach einem Schwangerschaftsabbruch. Hier braucht es mehr Ehrlichkeit in der Diskussion. Und nicht zuletzt müssen wir uns überlegen, ob die derzeitigen Regeln des Gendiagnostikgesetzes ausreichen.
Was heißt das für weitere konkrete Schritte im Bundestag?
Das haben wir in unserer interfraktionellen Gruppe noch nicht besprochen, ich möchte dem daher nicht vorgreifen. Wir warten derzeit auf einen TAB-Bericht zu aktuellen Entwicklungen in der Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik, der 2017 vorgelegt werden soll. Es muss dringend genauer evaluiert werden, welche Folgen die Ausweitung der genetischen Pränataldiagnostik für Schwangere hat. Von der Bundesregierung ist in diesem Bereich nichts zu erwarten Wenn man sich anschaut, wie wenig ausgeprägt ihr menschliches und ethisches Gewissen bei der Frage der Forschung an nicht Einwilligungsfähigen ist, habe ich da wenig Hoffnung. Und wir mussten ja leider feststellen, dass sie auch gerade im Hinblick auf die Folgen von NIPT bemerkenswert ahnungslos ist. Aber vielleicht haben wir als Bundestag ja noch die Möglichkeit, fraktionsübergreifend etwas in Gang zu setzen.
Was könnte das sein?
Nun, wir haben ja beispielsweise an der Debatte um das Verbot der organisierten Sterbehilfe gesehen, dass der Bundestag durchaus in der Lage ist, jenseits von Fraktionsgrenzen tiefgründig über eine bestimmte ethische Frage zu diskutieren und dann zu entscheiden. Das ist bei einer solchen abstrakten Frage natürlich einfacher als bei der Übernahme eines konkreten Tests in die Regelversorgung, darüber sollte der Gesetzgeber auch gar nicht entscheiden. Anlass zu einer solchen Debatte in Bezug auf NIPT und den Gentest-Markt könnte aber beispielsweise eine Überarbeitung des Gendiagnostikgesetzes sein. Wenn sich zeigt, dass die bisherigen Regeln nicht greifen oder von der Realität überholt werden, müssen wir nachbessern - keine Frage! Ich denke da insbesondere an den boomenden Online-Markt für Gendiagnostika.
Wo sehen Sie hier konkreten gesetzlichen Handlungsbedarf?
Auf jeden Fall bei gesundheitsrelevanten Testangeboten. Sie könnten zum Beispiel vom Vorliegen einer medizinischen Indikation und von der Verschreibung durch eine Ärztin oder einen Arzt abhängig gemacht werden. Ethischer Handlungsbedarf entsteht für mich vor allem da, wo es um die (vermeintliche) Diagnostik einer Anlage für eine schwere Erkrankung geht. Wo also das zukünftige Leben der Person durch das Ergebnis erheblich beeinflusst wird, weil sie beispielsweise jederzeit mit dem Ausbruch der Erkrankung rechnen muss. Hier muss sichergestellt sein, dass die Betroffenen das Ergebnis einordnen können. In der Bevölkerung wird eine genetische Anlage oft einer hunderprozentig sicheren Aussage über deren Folgen gleichgesetzt, obwohl man oft gar nicht weiß, ob, wann und wie stark sich etwas auswirken wird. Daher ist für mich eine Einordnung durch eine Fachfrau oder einen Fachmann unerlässlich, also eine ärztliche Beratung face-to-face, und nicht nur ein Brief des Labors mit einem Haufen Zahlen.
Bei den Abstammungstests hingegen stellt sich vermutlich eher die Frage, ob ich das überhaupt klären lassen darf, insbesondere wenn die andere Person nichts davon weiß oder selbst noch gar nicht entscheiden kann. Und was macht das Ergebnis mit einer Familie? Hat die genetische Abstammung wirklich die Bedeutung, die manche Menschen ihr beimessen?
Auch bei den sogenannten Lifestyle-Tests muss man differenzieren. Bei manchen Tests stellt sich die Frage, ob die Ergebnisse überhaupt aussagekräftig sind und die Leute hier nicht eher für viel Geld übers Ohr gehauen werden. Solange es sich aber um aufgeklärte Erwachsene im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte handelt, müssen sie die Freiheit haben, sich auch für blödsinnige Tests zu entscheiden.
Wie kann dem Problem begegnet werden, dass der Markt global funktioniert?
Das ist das Schwierigste an der ganzen Sache. Wir werden nie hundertprozentig verhindern können, dass sich Menschen im Ausland Diagnostik- und Behandlungsverfahren unterziehen, die hierzulande (so) nicht zugelassen sind. Das darf uns aber nicht davon abhalten, auf nationaler Ebene die Regelungen zu ergreifen, die wir für notwendig halten. Und schon gar nicht darf es dazu führen, dass wir unsere eigenen ethischen Standards herabsenken.
Aber wird das de facto nicht dennoch passieren? Gerade online-Angebote funktionieren doch grenzüberschreitend, und mit der neuen In-vitro-Diagnostik-Verordnung wird die Bundesrepublik mit ihrer relativ strikten Regulierung auch weiterhin recht einsam dastehen.
Ja, mit dem Verhandlungsergebnis habe ich grundsätzlich ein Problem. Wir Grünen fordern schon lange, Medizinprodukte und In-Vitro-Diagnostika einem Zulassungsverfahren zu unterziehen. Das ist nun erneut am Willen der jeweiligen Entscheidungsträger gescheitert - vermutlich auch auf Druck der Lobby. Sinnvoll finde ich allerdings, dass den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einer Regelung auf nationaler Ebene eröffnet worden ist. Bei einer EU-weiten Regelung wäre nicht sichergestellt gewesen, dass sie auch in unserem Sinne ausgefallen wäre. Vor diesem Hintergrund ist der Verweis auf die nationalen Regelungen vielleicht sogar das kleinere Übel. Ich bin eigentlich froh darüber, dass die EU sich in der Vergangenheit immer damit zurückgehalten hat, medizinethische Fragen übergreifend für alle Mitgliedstaaten regeln zu wollen.
Welche Möglichkeiten sehen Sie vor dem Hintergrund der neuen Verordnung in der Zukunft, die Marktförmigkeit von Gendiagnostik und insbesondere pränatalen Tests zu beschränken?
Die Möglichkeiten kann man erst abschätzen, wenn der endgültige Text der EU-Verordnung vorliegt. Es geht ja auch nicht um die pauschale Beschränkung gendiagnostischer Verfahren, sondern um eine Sicherstellung des Patientenwohls und um die Verhinderung von Auswüchsen wie den derzeit florierenden Online-Markt für solche Tests, der gerade nicht im Sinne des Patientenwohls ist. Wir sollten aber auf jeden Fall den Spielraum nutzen, mit dem Gendiagnostikgesetz einen Rechtsrahmen zu schaffen beziehungsweise zu erhalten, der die Betroffenen vor den negativen Folgen dieser Tests schützt und der eine diskriminierungsfreie Gesellschaft fördert - und sie nicht torpediert.
Das Interview führte Uta Wagenmann per eMail.
Corinna Rüffer ist seit Oktober 2013 Bundestagsabgeordnete (Bündnis90/Die Grünen). Sie ist Sprecherin für Behindertenpolitik und Bürgerangelegenheiten der Grünen-Bundestagsfraktion.