„Den Marsch blasen“
Gentech- und Patent-KritikerInnen protestieren in München
Wieder einmal zogen über 1.000 KritikerInnen bei einer Demonstration vor das Europäische Patentamt in München. Sie waren gekommen, um dem Patentamt und den Gentechnik-Konzernen den Marsch zu blasen.
Angeführt von einer Marschmusik-Kapelle demonstrierten Ende November mehr als 1.000 Bäuerinnen und Bauern, UmweltschützerInnen und andere in München gegen den Einsatz von gentechnisch veränderten (gv) Pflanzen in Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion und gegen die Patentierung von Pflanzen und Tieren. Aufgerufen hatte ein breites Bündnis von Organisationen, darunter das internationale Bündnis No Patents on Seeds, die Münchener Initiative Kein Patent auf Leben!, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, der Bund Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der Bund Naturschutz (Bayern), das Gen-ethische Netzwerk, das bischöfliche Hilfswerk Misereor, die Öko-Anbauverbände Bioland, Biokreis, Demeter und Naturland und mehrere Regionalbündnisse der Zivilcourage.
Präzedenzfall Tomate
Anlass für Demonstration und Kundgebung bot das Ende der Frist für Stellungnahmen zum Verfahren um ein Patent auf konventionell gezüchtete Tomaten. Das Verfahren um dieses Patent ist - gemeinsam mit einem Brokkoli-Patent - in den letzten Jahren zu einem Präzedenzfall für die grundsätzliche Frage geworden, ob konventionell gezüchtete Pflanzen überhaupt patentiert werden dürfen.1 Das Europäische Patentamt (EPA) hatte in den letzten Jahren mehrfach entsprechende Patente erteilt. Im Verlauf der Verfahren, die die Richtigkeit von Tomaten- und Brokkoli-Patent überprüfen, hatte sich im Dezember 2010 bereits die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes geäußert. Der damaligen Entscheidung zufolge ist die Patentierung der Verfahren zur Züchtung von Tomate und Brokkoli nicht erlaubt. Allerdings sind die Ansprüche auf die Pflanzen, das Saatgut und das Lebensmittel weiter gültig. Genau gegen dieses Aushebeln des Patentierungsverbotes gingen die KritikerInnen auf die Straße. Derzeit liegt das Tomaten-Patent bei der Technischen Beschwerdekammer des EPA, diese hat jedoch - erneut - Grundsatzfragen an die Große Beschwerdekammer gerichtet. Erst wenn die Große Beschwerdekammer, die höchste Instanz im EPA, darüber befunden hat, kann die Technische Beschwerdekammer in der Sache fortfahren, das heißt, über die Rechtmäßigkeit des Patents entscheiden.
Weiterer Ärger aus Brüssel
Aber, als sei dies nicht schon schlimm genug, droht aus Brüssel weiterer Ärger: und zwar in Form des Gemeinschaftspatents der Europäischen Union. Sollte der Entwurf für einen EU-Patentgerichtshof als Teil der neuen Rechtssystematik des EU-Einheitspatents, wie er zum Zeitpunkt der Demonstration vorlag, tatsächlich angenommen werden, dann stehen den zivilgesellschaftlichen Gruppen schwierige Zeiten ins Haus: Ihre Möglichkeiten, sich aktiv in die Diskussionen um Patente einzubringen, werden dann nicht nur deutlich komplizierter, vermutlich werden sie durch deutlich erhöhte finanzielle Eingangsschwellen praktisch unmöglich, wie Christoph Then, Sprecher des internationalen Bündnisses No Patents on Seeds verdeutlicht.2 Neben ihrer Ablehnung von Patenten auf Pflanzen und Tiere - letztendlich allen Patente auf Leben 3 - brachten die Demonstrantinnen und Demonstranten in München auch ihren Unmut über die Gentechnik in der Landwirtschaft zum Ausdruck. Auch wenn in den beiden genannten Fällen von Brokkoli- und Tomaten-Patent Eigentumsrechte an konventionell gezüchteten Pflanzen beansprucht werden, ist die Gentech-Debatte natürlich engstens mit den Auseinandersetzungen über die Patente auf Pflanzen und Tiere verwoben. In diesem Zusammenhang gab es in München auch Grund zum Feiern: Die Initiative Kein Patent auf Leben! (München) wurde vor 20 Jahren gegründet; damals aus Anlass der Erteilung eines Patentes auf eine gentechnisch veränderte Maus - das erste europäische Patent auf ein Tier. Die so genannte „Krebsmaus” war in der Art gentechnisch verändert, dass sie im Verlauf ihres Lebens leicht Krebs bekommt. Kein Patent auf Leben! hat in Bezug auf die Benennung als „Krebsmaus-Patent“ darauf hingewiesen, dass in dem Patent letztendlich alle Säugetiere beansprucht werden, die „erfindungsgemäß“ in der beschriebenen Art manipuliert worden sind. Die Initiative spricht entsprechend auch davon, die „Krebsmaus“ sei in Wirklichkeit eine „trojanische Maus“.4 Durch die Gentechnik wurde die Patentierung von Leben überhaupt erst diskutabel. Von dieser Position aus hat sie sich dann, wie eben genau die Patente auf Brokkoli und Tomate zeigen, massiv ausgeweitet. Stellvertretend für alle, die sich in den vergangenen 20 Jahren engagiert haben, wurden Ruth Tippe, Sprecherin von Kein Patent auf Leben!, und Christoph Then mit jeweils einer Flasche Wein und einem gemeinsamen Ständchen geehrt.5
- 1Das Patent auf die so genannte Schrumpeltomate hat die Nummer EP 1211929, das Patent auf den Brokkoli EP 1069819. Siehe dazu zum Beispiel den Beitrag „Beschwerlicher Weg“ von Christof Potthof im Gen-ethischen Informationsdienst (GID) 204, Februar 2011. Im Netz unter www.gen-ethisches-netzwerk.de/gid/204.
- 2Nach den zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe des GID vorliegenden Informationen soll der Entwurf zum EU-Einheitspatent bis zum 10.12.12 durchs EU-Parlament gebracht werden. Weitere Details, zum Beispiel ein Link zu dem angesprochenen Entwurf und regelmäßige Neuigkeiten im Netz unter www.no-patents-on-seeds.org. Siehe zum EU-Gemeinschaftspatent auch „EU-Einheitspatent wird konkreter“ unter Kurz notiert - Politik und Wirtschaft, Seite 40 in diesem Heft.
- 3Praktisch jede Art von „Leben“ wird mittlerweile in dem einen oder anderen Patent beansprucht: Gene, DNA-Sequenzen, Zellorganellen, Zellen, Gewebe, Pflanzen und Tiere, Mikroorganismen und so weiter.
- 4Kein Patent auf Leben! (2004): „Krebsmaus“ - das Buch. Zum kostenlosen Herunterladen auf der Internetseite www.keinpatent.de oder als Ausdruck über das Büro des Gen-ethischen Netzwerk (siehe im Impressum).
- 5Siehe dazu auch „Glückwunsch“ auf S. 10-12 in diesem Heft.
Christof Potthof war bis Ende April 2020 Mitarbeiter im GeN und Redakteur des GID.
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