Die Nadel im Heuhaufen
Neue gentechnisch veränderte Pflanzen stellen Behörden vor Herausforderungen
Der Nachweis von Pflanzen, die mittels neuer genomischer Techniken entstanden sind, ist anspruchsvoll und in einzelnen Fällen unmöglich. Allerdings entspringen die Herausforderungen, die die Behörden zum Ächzen bringen, nicht nur technischen Voraussetzungen.

Ohne Probematerial von Seiten der Saatguthersteller ist der Nachweis von gentechnischen Verfahren ein kompliziertes Unterfangen. Foto: gemeinfrei auf unsplash.com
Klein, oval und beige – den Sojabohnen der US-Firma Calyxt sieht man das Ungewöhnliche nicht an. Sie sind mittels neuer Gentechnik entstanden. Dazu gehören verschiedene Verfahren, die relativ zielgenau ins Erbgut eingreifen. Sie schneiden Bausteine heraus, ordnen sie um oder fügen neue ein. Calyxt ist eine von wenigen neuen genomeditierten Pflanzen, kurz: NGT-Pflanzen, die in den USA auf den Markt kam. Besonders gesund soll sie sein, wirbt der Hersteller. Denn die Bohne enthält mehr Ölsäure, 80 Prozent statt sonst nur 20 Prozent. Das Sojaöl rückt damit in die Klasse des von Natur aus gesünderen Rapsöls vor. Dass die zartgelbe Flüssigkeit aus gentechnisch veränderter Saat gepresst ist, erfahren die Konsument*innen in den USA nicht. Eine Kennzeichnung ist dort nicht nötig.
In der EU gilt die unscheinbare Bohne dagegen als gentechnisch verändert. Zugelassen ist sie nicht. Die Erfindung aus den USA bereitet Patrick Gürtler deshalb viel Mühe. Er arbeitet am Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in Oberschleißheim. Die bayrische Landesbehörde ist – wie auch fünfzehn weitere Behörden in den Bundesländern – für die Lebensmittelüberwachung zuständig. Sie muss auch kontrollieren, dass Lebensmittel nicht illegal mit gentechnisch veränderten Pflanzen verunreinigt sind. Die Sojabohne von Calyxt darf weder in einer Schiffsladung noch in einem Öl auftauchen. Das müsste sofort einen Alarm im Schnellwarnsystem der Europäischen Union auslösen. Gürtler weiß, dass das passieren kann. Erst im letzten Jahr tauchte genveränderter Reis in Reisnudeln auf – illegal. Besonders wichtig ist es für Gürtler deshalb, einen Test für die genomeditierte Sojabohne in der Hand zu haben. Das ist aber alles andere als trivial.
Wenn nicht alle mitspielen
Die Frage beschäftigt die gesamte Arbeitsgruppe „Paragraf 28b“, wie sie Insider nennen. Gemeint ist Paragraf 28 b des Gentechnikgesetzes. Der besagt, dass die Überwachungsbehörden fortlaufend die neuesten Methoden entwickeln und parat haben müssen, um gentechnisch veränderte Pflanzen aufzuspüren. Gewappnet sollen sie gerade auch vor solchen Pflanzen sein, die in der EU illegal sind, aber irgendwo auf der Welt wachsen. Alle 16 Bundesländer und Forschende der Hochschulen sind in der Arbeitsgruppe vertreten. Gürtler leitet das Gremium. 2021 schrieb das Gremium an Calyxt. Die Mitarbeitenden baten um einige Gramm Bohnen und um Informationen, wie genau das Erbgut modifiziert ist. „Ohne Probenmaterial können wir unsere Nachweismethoden nicht prüfen“, erklärt Gürtler. Calyxt antwortete nicht. Die Arbeitsgruppe hakte nach. Calyxt schwieg. „Der Hersteller verweigert sich bis heute. Wir haben keine rechtliche Handhabe, Informationen von Unternehmen zu verlangen, die ihre gentechnisch veränderten Produkte gar nicht in der EU vermarkten.“
Weltweit ist eine Handvoll genomeditierter Pflanzen im Anbau. Ihr Nachweis bereitet den Behörden hierzulande erhebliche Schwierigkeiten. In der Entwicklung befinden sich jedoch unüberschaubar viele NGT-Pflanzen, vielleicht hunderte. Denn die neuen genomischen Techniken ermöglichen es, auch in das Erbgut von Arten einzugreifen, die mit herkömmlicher Gentechnik nur schwer zu verändern waren: An Melonen, Blumenkohl und Äpfeln werde gerade gearbeitet, weiß Gürtler. 2023 wurden genomeditierte Senfblätter an Restaurants in den USA geliefert. Das Saatgutunternehmen Pairwise hat 17 Myrosinase-Gene in den Senfsamen ausgeschaltet, sodass die Blätter nicht mehr scharf schmecken. Das Start-up kooperiert seit vergangenem Jahr mit Bayer. Als Nächstes hat Pairwise kernlose Brombeeren angekündigt.1
Japan genehmigte 2021 eine geneditierte Tomate, die nun in Privatgärten gedeihen soll. Sie sorgte als „GABA-Tomate“ für Presse. GABA steht für Gamma-Amino-Buttersäure. Der Botenstoff beruhigt als Arznei die Nerven. Fünf Mal so viel wie in konventionellem Gemüse ist in der neuen Tomatensorte. Daher soll sie angeblich den Blutdruck senken und den Schlaf verbessern. Wissenschaftliche Studien mit der Tomate gibt es dazu noch nicht.
Es könnte der Eindruck entstehen, die NGT-Pflanzen dienten immer der Gesundheit der Verbrauchenden. Primär richtet sich das Augenmerk aber auf jede Form der Effizienzsteigerung: Ein Raps des US-Unternehmens Cibus ist resistent gegen das Beikrautvernichtungsmittel Glyphosat. Bäuer*innen, die ihn anpflanzen, können das Mittel spritzen, ohne dass die Kulturpflanzen selbst welken. Den Raps von Cibus, einen Mais des US-Herstellers Corteva, die japanische GABA-Tomate und die Sojabohne von Calyxt nahm sich die Arbeitsgruppe §28b vor. Sie wollten für jede der vier Pflanzen einen verlässlichen Nachweis entwickeln.2 Schließlich können sie jederzeit illegal in der EU auftauchen. Diese Angelegenheit könnte ziemlich einfach sein. Das US-Unternehmen Corteva schickte unumwunden eine kleine Probe Mais nach Deutschland. „Vorbildlich“, lobt Gürtler. Die Behörden konnten sofort einen Test entwickeln, da sie in einer Veröffentlichung nachlesen konnten, welches Gen Corteva verändert hatte.3 Doch schon beim Raps der Firma Cibus wurde die Sache schwierig. Schon seit 2015 ist der Anbau in den USA erlaubt. Nur ein Baustein im komplexen Erbgut soll ausgetauscht sein, wie die Behörden in Veröffentlichungen lasen. Der Hersteller gab aber nur wenig Informationen preis, teilt Gürtler mit. Das macht Probleme. Denn es gibt mehrere konventionell gezüchtete Sorten, die eine vergleichbare Mutation aufweisen. 2020 meldete eine Forschungsgruppe des Health Research Institute in Texas, einen Test für den NGT-Raps gefunden zu haben.4„Das lief durch die ganze Community. Aber wir in Deutschland und Europa haben die Methode getestet. Sie schlägt auch bei konventionell gezüchtetem Saatgut an. Das geht für die Überwachung nicht.“ Der Test würde ständig falschen Alarm auslösen.5Auch nach drei Jahren Forschung habe die Arbeitsgruppe keine gerichtsfeste Prüfmethode, bedauert Gürtler.
Künftig kein Nachweis mehr nötig?
Wenn sich die Behörden schwertun, einen Test für eine genomeditierte Pflanze zu entwickeln, kann das daran liegen, dass das Genom nur ganz subtil verändert wurde. Cibus hat nur einen Buchstaben, eine Base, im Rapserbgut getauscht. Das passiert auch in der Natur, Tag für Tag bei Wind und Wetter. Und solch kleine Änderungen können auch konventionelle Züchter*innen herbeiführen, indem sie das Saatgut mutationsfördernden Chemikalien oder radioaktiver Strahlung aussetzen, erklärt die Molekularbiologin Brigitte Speck vom Landwirtschaftlichen Technologiezentrum Augustenberg. Oft wird aber behauptet, neue genomische Techniken würden per se nur Pflanzen erschaffen, die sich auch konventionell züchten ließen, jedoch schneller. „Das stimmt so nicht“, stellt der Molekularbiologe Pascal Segura Kliesow vom Gen-ethischen Netzwerk klar. Auch mit neuen genomischen Techniken lassen sich fremdes Erbmaterial einfügen und Eingriffe vornehmen, die mit konventioneller Züchtung „undenkbar sind“. Entscheidend ist die Invasivität des genomischen Eingriffs: Minimal ist der Austausch nur eines Bausteins, die Punktmutation. Weitreichender sind das Einfügen und Entfernen von Genabschnitten und maximal ist das Einfügen fremder DNA.
Auch die GABA-Tomate ist ein Produkt, das mit konventioneller Züchtung nicht gelingen würde, meint Speck. In diese Tomate wurde eine Base mithilfe der Genschere CRISPR-Cas eingefügt. Dadurch verändert sich das Ablesemuster im Genom grundlegend. Und obwohl das japanische Unternehmen ebenfalls nicht sonderlich viele Informationen bereitstellte, konnte die Arbeitsgruppe in diesem Fall mit bioinformatischen Methoden die Veränderung im Erbgut orten. Zusätzlich beschafften sie sich bei einer Reise nach Japan selbst Saatgut der GABA-Tomate. Sie sprießt nun streng bewacht in den Gebäuden des Julius-Kühn-Instituts. Die Überwachungsbehörden könnten sie im Ernstfall nachweisen.
Ob die Behörden einen Test entwickeln können, hängt nicht nur von der Auskunftsfreudigkeit des Herstellers und der Eingriffstiefe ab. Es steht und fällt auch damit, ob es ausreichend Referenzgenome gibt, mit denen sie das editierte Genom abgleichen können. Gürtler sagt: „Wir haben schon von verbreiteten Kulturpflanzen wie Mais oder Soja nicht so viele Referenzgenome wie es Sorten gibt und wie wir uns wünschen würden. Bei seltenen Kulturpflanzen wie Senf oder Blumenkohl sieht es noch schlechter aus.“
Geht es nach dem 2023 vorgelegten Vorschlag der Europäischen Kommission, sollen genomeditierte Pflanzen künftig auch in der EU deutlich weniger streng geregelt sein. Sie würden nicht mehr wie transgene Pflanzen behandelt. Die Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel aus genomeditierten Pflanzen, die kein artfremdes genetisches Material enthalten, würde künftig weitgehend entfallen. Bis zu 20 Basenpaare dürften ersetzt und beliebig viele entfernt werden. Weder die GABA-Tomate noch der CIBUS-Raps wären dann für Verbraucher*innen kennzeichnungspflichtig. Und auch die mysteriöse Sojabohne wäre es nicht. Die Arbeitsgruppe § 28b müsste sich damit nicht mehr beschäftigen.
Mit einigen Anstrengungen fand das Team um Patrick Gürtler einen älteren Fachaufsatz, der verriet, welche zwei Genabschnitte in der Sojabohne von Calyxt herausgeschnitten sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass solche Sojabohnen konventionell gezüchtet sind, ist ziemlich gering, stellt er klar.6 Referenzgenome wiesen die Veränderungen nicht auf. Stolz präsentierte die Arbeitsgruppe ihren Test in einer Veröffentlichung. „Überprüfen konnten wir die Methode aber noch nicht“, sagt Gürtler. Calyxt hat noch immer keine Bohnen geschickt.
Dieser Artikel ist ein redaktionell bearbeiteter Wiederabdruck und erschien zuerst am 30.01.24 unter dem Titel „Neue gentechnisch veränderte Pflanzen: Warum die Behörden ächzen“ in der Süddeutschen Zeitung. Online unter: www.kurzelinks.de/gid269-ra.
- 1IG Saatgut (o.D.): CRISPR-Senf Marktreif. Online: www.kurzelinks.de/gid269-aa [letzter Zugriff: 14.03.24].
- 2Guertler, P. et al. (2023): Detection of commercialized plant products derived from new genomic techniques (NGT) – Practical examples and current perspectives. In Food Control, 152, www.doi.org/10.1016/j.foodcont.2023.109869.
- 3Gao, H. et al. (2020): Superior field performance of waxy corn engineered using CRISPR-Cas9. In: Natute Biotechnology, 38, S.579-581, www.doi.org/10.1038/s41587-020-0444-0.
- 4Chhalliyil, P. et al. (2020): A Real-Time Quantitative PCR Method Specific for Detection and Quantification of the First Commercialized Genome-Edited Plant. In: Foods, 9(9), S.1245, www.doi.org/10.3390/foods9091245.
- 5Weidner, C. et al. (2022): Assessment of the Real-Time PCR Method Claiming to be Specific for Detection and Quantification of the First Commercialised Genome-Edited Plant. In Food Analytical Methods, 15, www.doi.org/10.1007/s12161-022-02237-y.
- 6Haun, W. et al. (2014): Improved soybean oil quality by targeted mutagenesis of the fatty acid desaturase 2 gene family. In: Plant Biotechnology Journal, 12, S.934-940, www.doi.org/10.1111/pbi.12201.
Susanne Donner ist Wissenschaftsjournalistin. Sie befasst sich in ihren Beiträgen mit den Möglichkeiten des technischen und wissenschaftlichen Fortschritts sowie deren Risiken und gesellschaftlichen wie ökologischen Folgen.