Gentechnikfrei in der Schweiz
Im vergangenen Jahr war die Eidgenössische Volksinitiative für Lebensmittel aus gentechnikfreier Landwirtschaft - kurz: Gentechfrei-Initiative - in der Schweiz mit einem sehr guten Ergebnis erfolgreich zu Ende gebracht worden. Die Schweizerische Arbeitsgruppe Gentechnologie SAG füllt sie seit nunmehr fast einem Jahr mit Inhalten.
Eigentlich war es kaum zu glauben. Als vor etwa einem Jahr die Initiative für eine gentechnikfreie schweizer Landwirtschaft kurz vor der entscheidenden Abstimmung stand, hatten die Protagonisten der Gentechnik noch einmal alle ihre Ressourcen aktiviert und insbesondere Forscherinnen und Forscher bemüht, sich in der Öffentlichkeit für den Einsatz der Gentechnologie in der Landwirtschaft stark zu machen. Genützt hat es nichts. Die UnterstützerInnen der Initiative trugen am Tag der Entscheidung, dem 27. November 2005, einen fulminanten Gewinn nach Hause - noch nie zuvor war in dem Alpenstaat eine Volksinitiative in allen Kantonen angenommen worden. Das ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass seit Einführung des Initiativrechts 1981 überhaupt erst 15 Initiativen angenommen wurden. Zum Teil werden Initiativen aber auch ohne Hoffnung auf eine Annahme lanciert, um ein Thema neu in die politischen Debatte der Schweiz einzuführen. Dies genügte den InitiatorInnen der Gentechfrei-Initiative nicht: Sie setzten auf Sieg - mit Erfolg. Somit ist der kommerzielle Einsatz der Gentechnik in der schweizer Landwirtschaft bis 2010 untersagt.
Geltungsbereich der Initiative
Die Schweizerische Arbeitsgruppe Gentechnologie (SAG), die auch die organisatorische Verantwortung für die Initiative getragen hatte, begann praktisch unmittelbar nach der Abstimmung damit, diese mit Inhalten zu füllen. Und es kam, wie kommen musste: Zunächst einmal gab es Streit über die Tragweite des Moratoriums: Während die SAG der festen Überzeugung ist, dass die Initiative sich auf alle vermehrungsfähigen gentechnisch veränderten Organismen (GVO) bezieht, und somit auch - zum Beispiel - importierte Sojabohnen umfassen muss, hatte Bundesrat Pascal Couchepin bereits im Verlauf der Initiative seine Sicht der Dinge dargelegt: Das Moratorium betrifft seiner Einschätzung nach nur den Anbau von GVO. Er macht damit deutlich, dass er nichts von der Lesart hält, das Moratorium sei zum Schutz der gentechnikfreien Produktion gedacht.
Schleichende Kontamination
In der Schweiz wird derweil über Gesetzentwürfe debattiert, die die Regelungen des Gentechnikgesetzes konkretisieren sollen.(1) Dazu wurden Kommentare eingereicht, die im übrigen auch als Musterstellungnahme im Internet verfügbar sind. Die SAG hebt in ihrer Stellungnahme hervor: Es ist sehr wichtig, nach dem Zeitraum des Moratoriums - Ende 2010 - die Situation zum Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft neu beurteilen zu können. Dafür ist die Anwendung des Grenzwertes von 0,1 Prozent von entscheidender Wichtigkeit insbesondere für Saat- und Pflanzgut, wo derzeit ein Deklarationswert von 0,5 Prozent gilt. Dieser stellt zwar nicht mehr die technische Nachweisgrenze dar, er lässt sich jedoch mit vertretbarem Aufwand sicher feststellen, weshalb er in politischen Diskussionen oft als Grenzwert für die Deklaration als "gentechnikfrei" angesehen wird. In diesem Zusammenhang ist auch ein anderer Aspekt bedeutend: Die Produktion von Saatgut muss einen besonderen Schutz genießen. Für den Geschäftsführer der SAG, Daniel Ammann, ist dies sogar noch wichtiger als die leidige Grenzwertdebatte: "Entwicklung und Vermehrung von Saatgut muss in Gebieten stattfinden, die im Gentechnikgesetz auf eine Stufe gestellt werden, wie derzeit nur bestimmten Naturräumen zukommt." Das schweizerische Gentechnikgesetz schützt "besonders empfindliche und schützenswerte Lebensräume". Dazu zählen Naturschutzgebiete, Gewässerränder und so genannte Grundwasserschutzzonen. Ammann ist sich durchaus bewusst, dass die Forderung nach der geschützten Saatgut-Produktion auch als ein erster Rückzug der gentechnikfreien Produktion gelesen werden kann, er meint jedoch: "Die Bewahrung von nicht kontaminiertem Saatgut ist von derart immenser Bedeutung, dass sein Schutz vor gentechnischer Verunreinigung unter allen Umständen gelingen muss."
Neue Forschungen
Ob ein Moratorium dem Forschungsstandort Schweiz schaden würde oder nicht, war schon Teil der Diskussionen um die Initiative. Eine spezielle Erklärung zu Forschungsfragen war bis zum Tag der Abstimmung von 96 ProfessorInnen, DozentInnen und Forschenden unterzeichnet worden. Sie betonten in ihrer Erklärung, dass in den fünf Jahren des Moratoriums wichtige Fragen über Nutzen, Grenzen und Risiken der Agro-Gentechnik diskutiert und geklärt werden sollen. Die SAG mischt sich auch in Diskussionen über das Nationale Forschungsprogramm (NFP) ein.(2) Dabei geht es ihr notwendigerweise um "Nutzen und Risiken der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen". Die SAG fordert, dass 1. ein hoher Grad an Vorsorge und Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft und Lebensmittelherstellung durch allfällige Freisetzungsversuche garantiert bleibt, 2. gewährleistet ist, dass insbesondere die Risikoforschung von unabhängigen Expertinnen und Experten weiter entwickelt werden kann, 3. bei der Bewertung von Risiken und Nutzen Forschungsprojekte zum biologischen Landbau gebührend berücksichtigt werden sowie dass 4. bei der Auswahl der geförderten Projekte Transparenz sichergestellt ist.(3)
Gentech-ForscherInnen schlafen nicht
Doch auch die der Gentechnik eher freundlich gegenüber stehenden ForscherInnen in der Schweiz, die sich im Verlauf der Initiative gegen ein Anbau-Mortorium ausgesprochen hatten, haben aus dem Ergebnis ihre Schlüsse gezogen. Anfang September wandten sich der Schweizerischer Bauernverband, selbst Unterstützer der Initiative, und die Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART, die zu den Gegnern gehörte, in einer gemeinsamen Pressemitteilung an die Öffentlichkeit. Darin wird zwar deutlich, dass "Bäuerinnen und Bauern (...) nicht daran interessiert [sind], eine neue Technologie einzusetzen, welche die erreichten hohen Standards bezüglich Ökologie, Qualität und Sicherheit gefährden könnte und wirtschaftlich keinen Vorteil bringt". Doch kommen darin auch andere Töne zum Ausdruck: "Krautfäuleresistente Kartoffeln, schorfresistente Äpfel oder mehltauresistente Reben könnten in Zukunft auch in der Schweiz ein Thema sein. Dies, weil diese Pflanzen ökologisch sehr interessant wären und mithelfen könnten, große Mengen Fungizide einzusparen. Es gilt deshalb, nicht nur die Risiken, sondern auch die Chancen der Gentechnologie im Auge zu behalten." In diesem Zusammenhang ist wohl auch eine Entscheidung des Ständerates (kleine Kammer) (4) gegen eine Initiative der Sozialdemokraten (SP) zu sehen. In ihrer so genannten Motion hatte die SP verlangt, dass der Bundesrat "umfassende Forschungen über innovative Lösungen ohne Gentechnologie" initiiert. Nach Informationen der Presseagentur SDA hat es der Ständerat in seiner Sitzung am 21. September dieses Jahres mit 24 zu 12 Stimmen abgelehnt, die Forschung explizit auf Lösungen ohne Gentechnik auszurichten.
Gentechnikfreie Landwirtschaft
Die Schweiz ist kein isoliertes Gebiet, das für sich alleine die gentechnikfreie Landwirtschaft erhalten kann. Schon Ende des letzten Jahres machten deshalb die UnterstützerInnen des Moratorriums gegenüber dem Bundesrat Joseph Deiss deutlich, dass es auch in der eidgenössischen Landwirtschaftspolitik Reaktionen auf die Entscheidung für das Moratorium geben müsse. Zwei Beispiele: Der Bund soll nach Ansicht der Moratoriums-Befürworter mit den Nachbarländern zusammenarbeiten, um den Schutz der gentechfreien Landwirtschaft entlang der Landesgrenzen zu gewährleisten und bei den Absatzförderungsmaßnahmen sollen Projekte, welche die gentechfreie Produktion garantieren und propagieren, bevorzugt werden. Grundsätzlich bewirbt sich die schweizerische Lebensmittelproduktion schon jetzt damit "besonders ökologisch und tiergerecht" zu sein - ein schöner Erfolg wäre es, wenn am Ende der Laufzeit des Moratoriums diese Qualitätsmerkmale dauerhaft um die Gentechfreiheit ergänzt werden könnten.
Die Schweizerische Arbeitsgruppe Gentechnologie hat einen interessanten Schlussbericht zu der Gentechfrei-Initiative veröffentlicht. Dieser findet sich im Netz unter: www.gentechnologie.ch/pdfs/schlussberichtgtfi.pdf oder als Printversion bei der SAG, Hottingerstr. 32, Postfach 1168,. CH-8032 Zürich, Telefon: 0041 (0) 44 262 25 6, Fax: 0041 (0) 44 262 25 70, e-Mail: info@gentechnologie.ch. Fußnoten:
- Freisetzungsverordnung und Koexistenzverordnung; im Netz unter: www.gentechnologie.ch/projekte_gesetz.htm und www.gentechnologie.ch/projekte_koex.htm
- Zum Forschungsprogramm im Netz unter: www.snf.ch/de/rep/nat/nat_nrp_59.asp.
- Siehe dazu: www.gentechnologie.ch/projekte_forschung.htm
- Die Bundesversammlung, das Schweizer Parlament, ist nach dem Zweikammersystem organisiert. Die beiden Kammern heißen Nationalrat und Ständerat. Siehe zum Beispiel: www.parlament.ch
Christof Potthof war bis Ende April 2020 Mitarbeiter im GeN und Redakteur des GID.
Die Gentechfrei-Initiative
(offiziell: die Eidgenössische Volksinitiative für Lebensmittel aus gentechnikfreier Landwirtschaft) wurde am 27. November 2005 mit knapp 56 Prozent der abgegebenen Stimmen und in allen Kantonen angenommen.
Der Initiativtext:
Die schweizerische Landwirtschaft bleibt für die Dauer von fünf Jahren nach Annahme dieser Verfassungsbestimmung gentechnikfrei. Insbesondere dürfen weder eingeführt noch in Verkehr gebracht werden: a) gentechnisch veränderte vermehrungsfähige Pflanzen, Pflanzenteile und Saatgut, welche für die landwirtschaftliche, gartenbauliche oder forstwirtschaftliche Anwendung in der Umwelt bestimmt sind; b) gentechnisch veränderte Tiere, welche für die Produktion von Lebensmitteln und anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen bestimmt sind. (pau)