GVO-freie Regionen weltweit

Was vor wenigen Jahren noch als Randerscheinung in der Gentechnikdebatte und politisch naive Aktivität betrachtet wurde, hat sich spätestens im Laufe des letzten Jahres zu einer weltweit ernst zu nehmenden Bewegung entwickelt - die Ausrufung Gentechnik-freier Zonen. Im folgenden Artikel wird ein knapper Überblick über die weltweite Gentechnik-frei-Bewegung gegeben.

In dieser GID-Ausgabe wird detailliert der Stand der Dinge in Österreich, Großbritannien und Deutschland beleuchtet. Allein die Analyse dieser drei Beispiele macht die zahlreichen Facetten der Gentechnik-frei-Bewegung deutlich. Hauptakteure sind in allen Fällen lokale Bürgerinitiativen und Umweltverbände, die in unterschiedlichem Ausmaß mit lokalen und regionalen Behörden und Parlamenten kooperieren und Gentechnik-freie Zonen ausrufen - zumeist ohne rechtlich verbindliche Auswirkungen. In Deutschland engagieren sich seit kürzerem zahlreiche Gruppierungen, in denen Landwirte - ökologisch, aber auch konventionell wirtschaftende - den Ton angeben. In Großbritannien hat sich die Skepsis gegenüber der Gentechnik zur Volksbewegung ausgeweitet - während zwei Besuchen im letzten Jahr konnte ich auf Karten in zahlreichen Restaurants den Hinweis auf die Gentechnikfreiheit der Mahlzeiten finden. In Österreich werden Gentechnik-freie Bundesländer inzwischen durch Gesetzeswerke institutionalisiert. Damit hat sich Österreich als erster EU-Staat den Zielen der Basisbewegung offiziell angeschlossen und deren Forderungen umgesetzt. Weitere Erklärungen werden flächendeckend von Gemeinden in Belgien (115 Gemeinden), Frankreich (über 2000) und Italien (130) abgegeben. In Italien haben zudem 11 Regionen Regelungen erlassen, die Verbote oder Einschränkungen für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) vorsehen. Die Schweiz gehört ebenfalls zu den Staaten mit einem De-facto-Moratorium und steht nach jahrelanger kritischer Debatte in diesem Jahr vor einer Volksabstimmung, deren Ziel eine gesetzliche Verankerung des Gentechnik-frei-Status ist.

Rückkehr zur Ausgangsposition

In den Staaten der EU hat die Bewegung einen gewaltigen Aufschwung durch zwei Ereignisse bekommen. Zum einen durch die Einleitung einer Klage gegen das EU-Moratorium zur Inverkehrbringung von GVO aus dem Jahr 1999 durch die USA, zum anderen durch das Wiederanlaufen der Genehmigungsverfahren für gentechnisch veränderte (gv) Nahrungsmittel und Freisetzungen/Inverkehrbringungen von GVO nach dem Inkrafttreten der neuen GVO-Gesetze. Auch wenn diese Gesetze deutlich restriktiver sind als ihre Vorgänger, werden sie letztlich doch zu einer Zulassung einer gewissen Anzahl von GVO führen. Und damit einen Zustand hervorbringen, den zu verhindern vor vielen Jahren eine große Zahl von Verbänden in der ganzen EU angetreten ist. Insofern ist es nun logisch, dass etliche der Akteure inzwischen zu ihrer Ausgangsposition zurückkehren und sich für Gentechnik-freie Zonen einsetzen. Aber die Zulassung von GVO ist nur ein Schritt hin auf deren Verbreitung. Während zu Beginn der GVO-Landwirtschaft die Gentechnikindustrie die Zulassung der GVO als letzte Hürde ansah und von einer automatischen Durchdringung der Lebensmittelmärkte mit transgenen Produkten ausging, stellt sich diese Durchdringung inzwischen als eine beachtliche Hürde dar. In der EU haben sich alle großen Importeure und Großhändler als Gentechnik-frei deklariert, die transgenen Importe werden fast ausschließlich für Tierfutter benutzt. Bislang können ausreichend Gentechnik-freie Lebensmittel-Rohstoffe aus Staaten mit GVO-freier Landwirtschaft importiert werden. Folglich hat es sich zum strategischen Ziel der Gentechniklobby entwickelt, die großen Moratoriumsstaaten wie Brasilien aber auch Argentinien (Maisanbau mit hohem Gentechnik-frei-Anteil) und Australien (Rapsanbau) zur Ausweitung der Flächen mit GVO zu bewegen, um den Markt für die EU-Importeure trockenzulegen. Während sich der Anbau von GVO zwar in einigen wenigen Staaten recht rasant etabliert hat, kommt er global betrachtet nur schleppend voran. Gegen Ende der 90er Jahre verbreitete die Gentechnikindustrie noch volle Zuversicht über einen nicht aufzuhaltenden Siegeszug der GVO und unterschätzte anfangs die Bedeutung des EU-Moratoriums als Katalysator einer weltweiten Moratoriums-Bewegung. In Neuseeland haben sich über 100 Kommunen als Gentechnik-frei erklärt, Landwirte und Privatpersonen können ihren Grundbesitz online als Gentechnik-frei registrieren lassen. Die Regierung rief im Oktober 2001 nach einem freiwilligen Moratorium der Industrie ein zweijähriges verbindliches Moratorium aus und initiierte eine umfangreiche öffentliche Debatte; inzwischen ist auf Grundlage deutlich verschärfter Gesetze der erste Freisetzungsantrag genehmigt worden. In Australien haben fünf Bundesstaaten unterschiedlich harte Formen von Moratorien erlassen. Tasmanien hat sein Moratorium für die Produktion von gv-Nahrungsmitteln bis 2008 verlängert. Southern Australia, Victoria, Western Australia und New South Wales haben Verbote oder Restriktionen für den Anbau von transgenem Raps oder transgenen Saaten allgemein erlassen. Australien und Neuseeland diskutieren intensiv, ja erbittert die wirtschaftlichen Vor- und Nachteile eines GVO-Anbaus und der durch die Gentechnikindustrie propagierten Durchmischung der Ernten. Aus Japan dringen üblicherweise nur wenige Nachrichten über die sozialen Bewegungen nach außen. Aber auch dort baut sich eine Gentechnik-frei-Bewegung auf. Neben einer NRO-Koalition (NRO: Nichtregierungsorganisation) haben sich inzwischen auch einzelne Präfekturen den Moratoriumsforderungen angeschlossen und GVO-Freisetzungen begrenzt beziehungsweise verboten.

Zweischneidige Überwindung von Abhängigkeiten

Während in den Industriestaaten die Kontroversen zum größten Teil durch nationale Kontrahenten durchgeführt werden, kommt in den Entwicklungsstaaten noch die Dimension starker politischer, wirtschaftlicher und kultureller Einflussnahme von außen dazu. Mit finanzieller Förderung durch gentechnikfreundliche Regierungen und Industrien werden PR-Büros aufgebaut und Gentechniklobbyorganisationen geschaffen, um den Import von GVO besser durchsetzen und Moratoriumsbewegungen effektiv begegnen zu können. Als psychologisch besonders wirksam erweist sich die Ausbildung von einheimischen Wissenschaftlern und die Finanzierung von GVO-Entwicklungen. Damit stehen Entwicklungsländer irgendwann vor der Situation, nicht lediglich (ungefragtes) Ziel von GVO-Importen aus dem Norden zu sein, sondern sich mit der Auswirkungen national entwickelter GVO beschäftigen zu müssen. Eine etwas zweischneidige Überwindung der kolonialen Abhängigkeiten, wobei ja die Patentierung der Gene und GVO die strategische Entscheidung über ihren Einsatz weiterhin im Norden belässt. Die USA verknüpften spätestens seit Einreichen der WTO-Klage die Weiterverhandlung ihrer Freihandelsabkommen mit Entwicklungsländern mit der Zusage des Partnerstaates über einen problemlosen Import von GVO. Den Knüppel der Wirtschaftsstrategien bekam jüngst Ägypten zu spüren, als dessen Außenministerium die zuvor durch den Handelsminister initiierte Unterstützung der WTO-Klage abblies: Die USA stoppten die Gespräche über das Freihandelsabkommen. In Thailand besteht seit 1999 ein staatliches Verbot des Importes von GV-Saaten, 2001 wurden Freisetzungen von GVO untersagt. Als Auswirkung des Drucks der USA und der Gentechnikindustrie setzen sich inzwischen das Landwirtschaftsministerium und einige Bio- und Agrar-Wissenschaftler für eine Öffnung des Landes für GVO ein, Freisetzungsversuche sind seit Anfang 2003 wieder zulässig. Auf den Philippinen wurde die Anti-GVO-Bewegung durch andere soziale Kräfte aufgebaut. Zahlreiche Bauernorganisationen und große Kreise der katholischen Kirche agieren gegen GVO in der Landwirtschaft, einzelne Gemeinden haben sich gegen die Freisetzung und den Anbau von GVO ausgesprochen. Neben gezielter Einflussnahme auf Regierungskreise und Wissenschaft verwendet die Gentechniklobby einen guten Teil ihrer Arbeit auf den Aufbau einer Pro-Gentechnik-Fraktion in der katholischen Kirche.

Moratorien und PR-Kampagnen

In Afrika sind ebenfalls zwei Grundmuster bei der Schaffung Gentechnik-freier Zonen zu erkennen. In Algerien und Benin wurden im Jahr 2000 beziehungsweise 2002 Moratorien auf GVO durch die Regierungen verhängt. In Uganda und Südafrika entwickelt sich inzwischen eine breitere soziale Debatte über das Für und Wider der Gentechnik. Uganda steht unter starkem Druck von Pro-Gentechnik-Kräften, den Anbau von Bt-Baumwolle zuzulassen. Wichtige nationale NROs aber auch Parlamentarier und selbst der Präsident haben sich kritisch bis ablehnend GVO gegenüber geäußert. Während der Import von GVO in Form von Nahrungsmitteln als nicht kontrollierbar gilt, wurden entgegen den Absichten von Monsanto Freisetzungen von GVO so lange auf Eis gelegt, bis ein gesetzlicher Rahmen verabschiedet ist. Die Erarbeitung dieser Gesetze ist inzwischen ein nationaler Streitpunkt, da durch Entwicklungshilfeprojekte Gentechnik-freundlicher Industriestaaten die Vorlagen stark beeinflusst werden. In Südafrika spielt sich die Moratoriumsdebatte in der spezifischen Situation der neoliberalen Post-Apartheid-Politik ab. Während bis vor kurzem die kritische Diskussion vornehmlich durch nicht-schwarze Aktivisten und Teile der katholischen Kirche geführt wurde, änderte sich die innenpolitische Bedeutung der Gentechnik-frei-Bewegung schlagartig, als sich 2003 der Gewerkschaftsbund Congress of South African Trade Unions (COSATU) als großer nationaler Akteur der sozialen Bewegung für ein Moratorium für gv-Nahrungsmittel und Restriktionen für Freisetzungsversuche aussprach. Es bleibt abzuwarten, wie die Gentechnikindustrie auf diese Wendung reagiert. Deren weltweit beachtete, sehr strategisch ausgerichtete PR-Kampagne setzte auf die Versorgung der Makatini Flats mit Bt-Baumwolle, einer marginalisierten Region mit schwarzen Baumwollfarmern, die durch die völlige Abhängigkeit von ihren Monokulturen und die fallenden Weltmarktpreise in eine scheinbar auswegslose Situation geraten ist. In Südamerika ist die Diskussion fast völlig durch die erbitterte Debatte in Brasilien beherrscht, was die Aufmerksamkeit von den anderen Staaten ablenkt. Eine starke Moratoriumsbewegung enstand ebenfalls in Bolivien, das sich Ende 2001 vor dem Hintergund einer starken Bewegung aus Indio-, Agrar- und Umweltgruppen kurz vor der gesetzlichen Erklärung als GVO-freie Zone befand. Aufgrund diplomatischen Drucks durch Argentinien mit Androhung einer WTO-Klage wurde das Gesetz nicht beschlossen, GVO-Freisetzungen finden aber offenbar bis heute nicht statt. In Kolumbien fordern zahlreiche Organisationen ein GVO-Moratorium, von staatlicher Seite aus finden diese Rufe aber kein Gehör. Kolumbien besitzt aufgrund der Präsenz des internationalen Agrarforschungszentrums CIAT (International Center for Tropical Agriculture) und des deutlichen Einflusses der USA auf innenpolische Entscheidungen starke Pro-Gentechnik-Kräfte, die ähnliche staatliche Aktivitäten wie in Bolivien verhindern.

Und die USA?

Zum Schluss noch ein Blick in die USA, die weltweit gegen die Ausrufung Gentechnik-freier Zonen und GVO-Moratorien agieren. Aber auch im eigenen Land ist die Gentechniklobby nicht vor diesen Aktivitäten gefeit. Auf den Internetseiten der Pew Initiative (1) sind detailliert die legislativen Vorstöße aus den Jahren 2001 und 2002 aufgelistet, die sich für eine Regulierung der Gentechnik einsetzen, angefangen von lokalen Initiativen über die Kennzeichnung bis hin zu Moratorien. 14 Gesetzesvorlagen mit unterschiedlichen Formen eines GVO-Verbotes wurden in Bundesstaaten vorgelegt - und abgelehnt. Jüngst hat Kalifornien den Verkauf eines transgenen Aquariumsfisches verboten, Michigan erwägt ein solches Verbot. Eine große Skepsis gegenüber transgenen Fischen herrscht in den zuständigen Behörden der Bundesstaaten, Restriktionen und Verbote werden erwägt. Neben diesen bundesstaatlichen Aktivitäten sind zahlreiche lokale Aktivitäten zu verzeichnen. In Boulder (Colorado) wurde eine lange Debatte zu Moratorien durchgeführt, in Vermont haben sich zahlreiche Städte zu Gentechnik-freien Zonen erklärt. Als jüngstes Beispiel ist die Gemeinde Mendocina (Kalifornien) zu nennen. Dort finden im März 2004 verschiedene Referenden statt, unter anderem eine Abstimmung über ein Verbot des GVO-Anbaus. Bei einer Zustimmung zu "Measure H" wäre Mendocino die erste Gemeinde der USA, die sich offiziell als GVO-frei erklärt. Die internationale Gentechnik-Lobbyorganisation CropLife hat jüngst 150.000 US-Dollar zur Verfügung gestellt, um durch eine PR-Kampagne die Bevölkerung zur Abstimmung gegen eine GVO-freie Zone zu bewegen.

Fußnote

  1. Die Pew Initiative on Food and Biotechnology ist ein Projekt der Universität Richmond, Washington. Sie wurde im Jahre 2001 gegründet und informiert im Bereich Nahrungsmitel und Biotechnologie. (http://pewagbiotech.org/)
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
162
vom Februar 2004
Seite 3 - 5

Hartmut Meyer nahm für das deutsche Forum Umwelt & Entwicklung als Beobachter an den Verhandlungen zum Cartagena-Protokoll teil und arbeitet derzeit als Berater der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) im Bereich der Umsetzung des Cartagena-Protokolls. Zum gleichen Thema hat er in dem Buch „Biosafety First“, herausgegeben von Terje Traavik und Lim Li Ching, einen Beitrag veröffentlicht, der noch einmal deutlich über den hier veröffentlichten Umfang hinausgeht. Biosafety First ist in englischer Sprache erschienen bei Tapir Academic Press, 2007, 612 Seiten, ISBN 978-82-519-2113-8.

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GE-free Zones Worldwide - eine Projekt von GENET

Das GENET-Projekt "GE-free zones around the world" wurde 2003 begonnen, um die strategische und tägliche Arbeit von Organisationen der Zivilgesellschaft zu unterstützen, die sich für Formen der Landwirtschaft und Lebensmittelverarbeitung ohne GVO einsetzen. Zudem sollen diese Gruppen darin unterstützt werden, dem wachsenden Druck, GVO einzusetzen, widerstehen zu können. Das Projekt soll drei Ziele erreichen:

  • als Bindeglied zwischen Informationsverbreitung und Planung von Aktivitäten zu dienen;
  • als Plattform zwischen lokalen, nationalen und internationalen NROs zu fungieren;
  • die Gentechnik-frei-Bewegung unabhängig von wechselnden Interessen und Politiken einzelner NROs zu unterstützen.

Das Projekt sammelt Informationen zu GVO-freien Zonen und präsentiert diese im Internet. Karten der Kontinente dienen als erste Orientierung, die Länderseiten weisen links auf zum Nachrichtenarchiv von GENET, zu weiteren relevanten Internetseiten und zu Dokumenten als downloads. Die Informationsseiten sollen im Jahr 2004 fertiggestellt sein (momentan fehlen noch Australien und Nordamerika). Als weitere Projektarbeiten sind regelmäßige updates und Zusammenfassungen der Informationen zu kurzen Länderberichten geplant.

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