„Verhindern Sie TTIP!”
Ein Brief an die neuen Bundestagsabgeordneten
ATTAC, das insbesondere durch seine Kampagne für eine Besteuerung von Finanz-Transaktionen bekannt gewordene Netzwerk kritischer Gruppen und Einzelpersonen, startet eine Kampagne gegen das geplante Freihandels- und Investitionsschutzabkommen TTIP. Wir dokumentieren hier einen Brief, den ATTAC Anfang November an die neu gewählten Mitglieder des Deutschen Bundestages geschickt hat.
An die Mitglieder des Deutschen Bundestages. „[D]ie Herausforderungen, vor denen Sie als Mitglied des neu gewä̈hlten Bundestages stehen, sind enorm. Eurozonen-Krise, soziale Ungleichheit, prekä̈re Beschäftigungsverhä̈ltnisse und Energiewende sind nur einige Stichworte. Heute schreiben wir Ihnen anlä̈sslich eines politischen Projektes, das all diese Bereiche berü̈hrt: die zwischen der EU und den USA angestrebte Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP). Wir sind anlä̈sslich der Pläne zur Schaffung der größten Freihandelszone der Welt sehr besorgt. Auch wenn der EU-Kommissar De Gucht die TTIP als eine Art kostenloses Konjunkturpaket preist - die zu erwartenden Wachstums- und Beschä̈ftigungseffekte sind gering. So geht sogar die freihandelsfreundliche und selbst an dem Abkommen interessierte Bertelsmann-Stiftung beispielsweise fü̈r Deutschland je nach Szenario lediglich von einem Anstieg der Beschä̈ftigung um 0,12 bzw. 0,47 Prozent aus - verteilt ü̈ber einen Zeitraum von fü̈nfzehn Jahren. Demgegenü̈ber steht vor allem die Gefahr einer weiteren Vertiefung des Standortwettbewerbs, einer Verringerung demokratischer Gestaltungsmö̈glichkeiten und eines Abbaus sozialer und ö̈kologischer Standards. Unsere Besorgnis bezieht sich hauptsä̈chlich auf die folgenden Bereiche:
Investitionsschutz:
Laut dem Verhandlungsmandat der EU-Kommission soll ein Investitionsschutzabkommen Teil des Vertrags werden. Konzerne sollen das Recht bekommen, die Vertragsstaaten vor einem Schiedsgericht zu verklagen, wenn eine „direkte oder indirekte Enteignung“ droht. Einerseits wird dadurch eine parallele Rechtsstruktur jenseits demokratischer Kontrolle geschaffen, die die Standards unseres modernen Rechtssystems untergrä̈bt. Andererseits kö̈nnen Investor-Staat-Klagen demokratische Entscheidungsspielrä̈ume schmälern, wenn Konzerne entsprechende Regulierungsmaßnahmen (Umweltstandards, Sozialstandards etc.) wegklagen kö̈nnen.
Finanzmarktregulierung:
Die globale Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise hat gezeigt, dass unregulierte Finanzmä̈rkte eine Gefahr für Wirtschaft und Gesellschaft bedeuten. Auch fünf Jahre nach dem Kollaps von Lehman Brothers ist nicht ausgeschlossen, dass weitere Finanzkrisen mit ä̈hnlichen Dominoeffekten wie 2007ff eintreten. Viele notwendige Maßnahmen wurden nicht ergriffen. Lediglich einige zaghafte Ansä̈tze wurden auf den Weg gebracht. Alles deutet darauf hin, dass die EU-Kommission es in den Freihandelsverhandlungen billigend in Kauf nimmt, dass diese Ansä̈tze wieder ausgehebelt werden.
Vorsorgeprinzip und Verbraucherschutz:
Zwischen der EU und den USA gibt es erhebliche Unterschiede bei Produktstandards, Kennzeichnungspflichten, Gesundheitsstandards u.v.m. Bei der TTIP-Verhandlung soll eine mö̈glichst weitreichende Angleichung herbeigeführt werden. Die TTIP kö̈nnte so dem umweltschädlichen Fracking, gentechnisch verä̈nderten Nahrungsmitteln u.v.m. Tü̈r und Tor öffnen und die gesundheitliche Grundversorgung weiter aushöhlen.
ArbeitnehmerInnenrechte:
Die USA haben zentrale ILO-Normen betreffend gewerkschaftlicher Organisationsrechte nicht unterzeichnet. In Teilen der USA herrscht eine regelrecht gewerkschaftsfeindliche Politik. Die TTIP kö̈nnte bei einer Angleichung entsprechender Standards eine erhebliche Schwächung der ArbeitnehmerInnen in der EU bedeuten.
Kultur:
Kulturelle Vielfalt kann es ohne Fö̈rderung und Schutz nicht geben. Die TTIP gefä̈hrdet bspw. die Filmfö̈rderung und die Buchpreisbindung. Die Kultur nur dort sich entwickeln zu lassen, wo sie nach Marktkriterien profitabel ist, bedeutet kulturelle Verarmung.
Ö̈ffentliches Beschaffungswesen:
Durch eine vollstä̈ndige Öffnung des öffentlichen Beschaffungswesens fü̈r Anbieter des jeweils anderen TTIP-Partners wü̈rde es kü̈nftig schwerer werden, ökologische und soziale Aspekte bei der Auftragsvergabe einzubeziehen. Genau darauf pocht die EU in den Verhandlungen. Wir verstehen die TTIP-Verhandlungen daher als eine Bedrohung fü̈r soziale Rechte, Verbraucherschutz und Umwelt. Die Verhandlungen werden ohne demokratische Kontrolle durchgefü̈hrt. Vorbereitet wurden die Verhandlungen von der transatlantischen „High Level Working Group on Jobs and Growth“. Kein einziges Mitglied dieser Gruppe hatte ein demokratisches Mandat. Dass ein ü̈bergroßer Anteil der externen Expertise von Unternehmen und Wirtschaftsverbä̈nden kam, während Sozial-, Umwelt- und Verbraucherschutzverbä̈nde kaum Einfluss nehmen konnten, machte ein ausgeglichenes Verfahren zu allseitigem Nutzen völlig unmöglich. Die Verhandlungen selbst werden seitens der EU von der Kommission gefü̈hrt, die hierzu ein wenig konkretes, aber weitreichendes Mandat des Europä̈ischen Rates erhielt. Demokratisch gewä̈hlte VertreterInnen der Mitgliedsländer sind an den Verhandlungen nicht beteiligt. Der Einfluss der Parlamente - Ihr Einfluss - beschrä̈nkt sich allein darauf, dem Verhandlungsergebnis zuzustimmen oder nicht. Der aktuelle Prozess zu einer transatlantischen Freihandelszone ist demokratisch organisierten Gesellschaften nicht wü̈rdig. Die potenziellen Folgen eines ratifizierten Freihandelsvertrages sind ä̈ußerst Besorgnis erregend und widersprechen gesellschaftlichen Interessen fundamental. Attac setzt sich ein fü̈r eine solidarische und ökologische Weltwirtschaft. Deshalb fordern wir einen Stopp der TTIP-Verhandlungen. Auch unter dem Eindruck der jü̈ngsten Datenschutz- und Abhö̈rskandale verbietet sich jede weitere Fortsetzung der intransparenten Verhandlungen. Die durch den Abhö̈rskandal offenbarten Methoden und Mö̈glichkeiten der Informationsbeschaffung von Geheimdiensten lassen nur den Schluss zu, dass die bisherige Praxis, strategische Geheimverhandlungen zu fü̈hren, überholt ist. Zum einen, weil ohnehin nichts mehr geheim bleibt, zum anderen aber vor allem, weil die Bü̈rger ein Recht darauf haben, ihre Gesellschaften aktiv gemeinsam zu gestalten und nicht bevormundet zu werden. Wir befü̈rchten, dass die Bü̈rgerInnen-Rechte durch ein transatlantisches Projekt wie die TTIP weiter geschwä̈cht würden. Wir fordern Sie daher auf: Nehmen Sie Ihr Mandat ernst! Handeln Sie zum Wohle und im Interesse der Allgemeinheit! Widersprechen Sie der undemokratischen Praxis der TTIP-Verhandlungen! Ü̈ben Sie Druck auf die Bundesregierung und die EU-Institutionen aus! Setzen Sie sich dafü̈r ein, TTIP zu verhindern!
Mit freundlichen Grüßen im Namen von Attac Deutschland Hanni Gramann (Attac Koordinierungskreis), Dr. Harald Klimenta (Wissenschaftlicher Beirat Attac), Steffen Stierle (Kampagnengruppe „TTIP stoppen!”)
Wir danken ATTAC für die Genehmigung zum Abdruck.
ATTAC, das insbesondere durch seine Kampagne für eine Besteuerung von Finanz-Transaktionen bekannt gewordene Netzwerk kritischer Gruppen und Einzelpersonen, startet eine Kampagne gegen das geplante Freihandels- und Investitionsschutzabkommen TTIP.
TTIP-Kampagnen und -Informationen
Nichtregierungsorganisationen im deutschsprachigen Raum sind unter anderem in dem Bündnis „TTIP-unfairHandelbar“ zusammengeschlossen. Bis zum jetzigen Zeitpunkt haben sich die Mitglieder der Koalition bei mehreren Vernetzungs- und Strategietreffen zu (mindestens teilweise) gemeinsamem Vorgehen abgestimmt. Eines der Resultate ist das Positionspapier, das im Sommer anlässlich des Besuches von US-Präsident Barack Obama in Berlin präsentiert worden ist. Zu Beginn des neuen Jahres soll eine überarbeitete Version vorgestellt werden. Eine gemeinsame Internetpräsenz des Bündnisses ist ebenfalls in Vorbereitung. Die Koordination des Bündnisses hat das Forum Umwelt und Entwicklung (insbesondere die AG Handel) übernommen. Kontakt: Alessa Hartmann, hartmann@forumue.de.
ATTAC
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Herbstratschlages des ATTAC-Netzwerkes haben entschieden, „Aktiviäten gegen TTIP zu einem Kernpunkt der Kampagnenarbeit des nächsten Jahres“ zu machen. Unter anderem soll es im Februar eine prominent besetzte Podiumsdiskussion geben. Für den Mai ist eine „TTIP KulTour“ nach Brüssel geplant. Kampagnenmaterial ist zu beziehen über www.shop.attac.de.
Gen-ethisches Netzwerk (GeN)
Das GeN hat auf der Internetseite www.gen-ethisches-netzwerk.de/ttip Informationen und Links zum geplanten Freihandels- und Investititionsschutz-Abkommen TTIP zusammengestellt. In der August-Ausgabe (2013) des Gen-ethischen Informationsdienstes findet sich ein Schwerpunkt zum Thema.
Online-Kampagne
Das Umweltinstitut München hat eine Online-Unterschriftenaktion mit dem Titel: „Stop TTIP: Transatlantische Freihandelsabkommen verhindern!“ gestartet: www.umweltinstitut.org oder www.kurzlink.de/gid221_t.
(Christof Potthof)