Eine „praktische Ethik” für heute?
Proteste gegen Peter SInger
Hinter verschlossenen Türen wurde der „Peter-Singer-Preis für Strategien zur Tierleidminderung“ am 26. Mai in der Berliner Urania verliehen, und zwar an den Namensgeber der Auszeichnung selbst. Vor dem Gebäude versammelten sich etwa 150 Demonstranten, unter ihnen viele Menschen mit Behinderung, um gegen die Veranstaltung zu protestieren. Aufgerufen dazu hatte das linke und feministische Bündnis „Kein Forum für Peter Singer“.1
Gegenstand der Kritik sind die Positionen, die der in Australien geborene und an der US-amerikanischen Universität Princeton lehrende Philosoph vertritt. In seiner bei Reclam 2013 in dritter Auflage erschienenen „Praktischen Ethik“ verbindet Singer ein Votum für „Tierrechte“ mit der Forderung, die Tötung behinderter Säuglinge zu legalisieren. Mit „nichtfreiwilliger Euthanasie“ sollen Familien ihr „Glück“ maximieren können.
Für Aufsehen im Vorfeld hatte ein Interview in der Neuen Züricher Zeitung gesorgt. Darin hatte Singer es unter anderem für „richtig“ erklärt, ein „Baby zu foltern“, wenn dies „der ganzen Menschheit dauerhaftes Glück verschafft“ und seine grundsätzliche Position bekräftigt, dass es möglich sei, menschliches Leben als mehr oder weniger „lebenswert“ zu taxieren. Er räumte ein, dass Kinder mit Trisomie 21 „ziemlich glücklich sein“ können, dass aber manchmal die Eltern litten, „wenn sie Erwartungen hatten, die sich nicht erfüllen.“
Singer plädierte auch für eine Liberalisierung der „Sterbehilfe“: „Man sollte nicht unheilbar krank sein müssen, um Hilfe beim Suizid zu erhalten. Wer sein Leben nicht mehr für lebenswert hält (…) sollte Zugang bekommen.“ Auf die Frage der Interviewer, ob damit nicht Druck auf alte Menschen entstehen könne, sich das Leben zu nehmen, antwortete er: „Das kann passieren. Aber es kann auch hilfreich sein für Leute, die genug haben. Empfindet sich jemand als Belastung für seine Familie, ist es nicht unbedingt unvernünftig, dass er sein Leben beendet. Wenn seine Lebensqualität eher schlecht ist und er sieht, wie seine Tochter viel Zeit aufwendet, um sich um ihn zu kümmern, und dabei ihre Karriere vernachlässigt, dann ist es vernünftig, ihr nicht weiter zur Last fallen zu wollen.“2
Unter Verweis auf das Interview hatte der Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, Michael Schmidt-Salomon, seine geplante Laudatio zur Preisverleihung kurzfristig abgesagt. Singer habe darin Positionen vertreten, die „im Widerspruch zu einem humanistisch-emanzipatorischen Politikverständnis“ stünden".3 Er erweckte den Eindruck, der 2011 von der Giordano-Bruno-Stiftung mit einem Ethikpreis bedachte Philosoph habe einen Kurswechsel vollzogen - dabei protestieren linke und behindertenpolitische Gruppen bereits seit den 1990er Jahren gegen derartige Ansichten Singers. Noch wenige Tage zuvor hatte Schmidt-Salomon die Kritik als „Vorurteile“ abgetan.4
Gegen den jüngsten Auftritt Singers in Berlin hatten sich in Erklärungen unter anderem die behindertenpolitischen Sprecherinnen der Linken und der Grünen, Katrin Werner und Corinna Rüffer, gewandt. Ein für den 31. Mai in Köln geplanter Vortrag des Philosophen im Rahmen der „phil.cologne“ war durch die Veranstalter kurzfristig abgesagt worden.
(Michael Zander)
- 1Der Aufruf zu dem Protest findet sich im Netz unter www.kurzlink.de/gid230_bb.
- 2Alle Zitate aus: NZZ, 24.05.15, im Netz unter www.nzz.ch oder www.kurzlink.de/gid230_p.
- 3Humanistischer Pressedienst, 25.05.15, im Netz unter http://hpd.de/artikel/11746.
- 4Ebda., 21.05.15, im Netz unter http://hpd.de/artikel/11743.
Dr., Dipl.-Psych. Michael Zander ist Mitglied der AG Disability Studies in Deutschland und der Gesellschaft für subjektwissenschaftliche Forschung und Praxis.