Gentestgesetz: Die nächste Runde

Obwohl im Koalitionsvertrag ausdrücklich angekündigt, haben sich die Regierungsparteien bislang nicht um gesetzliche Regelungen des stetig wachsenden Gentestmarkts gekümmert. Nun hat die Oppositionsfraktion Bündnis 90/Die Grünen erneut ausgeholt und ­ bereits zum zweiten Mal innerhalb von vier Jahren - einen Entwurf für ein Gentestgesetz vorgestellt. Im Herbst soll der Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht werden.

In großen Teilen basiert der grüne Entwurf auf dem noch in der letzten Legislaturperiode vom SPD-geführten Gesundheitsministerium ausgearbeiteten Diskussionsvorlage (GID 168, Schwerpunkt), die letztendlich in den Beratungsgesprächen zwischen den damaligen Regierungsfraktionen stockte und mit den vorgezogenen Neuwahlen endgültig das Aus erhielt. Gleich zweimal findet sich an prominenter Stelle das "Diskriminierungsverbot". Verkürzt besagt es: Niemand darf wegen seiner genetischen Eigenschaften oder wegen der Durchführung oder Ablehnung eines genetischen Tests bei sich oder einer anderen Person benachteiligt werden. Bei der Konkretisierung dieses Anspruchs für den Versicherungssektor und das Arbeitsleben geht der Entwurf noch über die damals von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt vorgeschlagenen Regelungen hinaus. So sollen Arbeitgeber und Versicherungen grundsätzlich keine genetischen Informationen verlangen oder verwenden dürfen. Im SPD-Papier war noch eine Sonderregelung für den Abschluss von Lebensversicherungen ab einer bestimmten Höhe vorgesehen. Es bleibt jedoch eine Ausnahme: An bestimmten Arbeitsplätzen, an denen mit einer schwerwiegenden Gesundheitsgefährdung des Arbeitnehmers gerechnet werden muss, dürfen genetische Tests im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen durch eine entsprechende Rechtsverordnung zugelassen werden. Wenn sich der Betroffene weigert, einen solchen durchführen zu lassen, dürfen ihm aber daraus keine Nachteile entstehen. Zumindest auf dem Papier klingt das ja schön.

Keine Diskriminierung, bitte schön!

Soll die Regelung nicht nur ein Papiertiger weder, dürfen genetische Daten auch nicht heimlich in die Hände von Arbeitgebern, Versicherungen oder Polizei gelangen. Von zentraler Bedeutung ist daher das Thema Datenschutz. Auch hier sind die vorgeschlagenen Regelungen weitreichend: Der Entwurf verbietet ausdrücklich die "Übermittlung, Nutzung oder Beschlagnahme" von Gentestproben und Testergebnissen durch die Strafbehörden ­ unabhängig davon, zu welchem Zweck sie gesammelt oder ausgewertet wurden. Mit diesen Regelungen führen die Grünen das ­ unter anderem von Datenschützern geforderte ­ Forschungsgeheimnis für genetische Informationen ein. Dabei handelt es sich um einen Punkt, an dem im letzten Jahr die Gespräche zwischen SPD und Grünen stecken blieben: Damals wollte das Innenministerium von einer Zugriffsmöglichkeit der Strafverfolgungsbehörden auf Proben und Daten, die im Rahmen medizinischer Untersuchungen gewonnen wurden, keinen Abstand nehmen. Es ist somit höchst ungewiss, ob sich eine solch strikte Regelung gegen die Mehrheiten im Bundestag durchsetzen lässt. Diese Befürchtung nähren auch Vorstöße von Unions-Politikern, LKW-Mautdaten für die Strafverfolgung zu verwenden. Bisher ist dies untersagt, denn bei der Verabschiedung des Mautgesetzes wurden die Daten wegen der Bedenken der Betroffenen und aus der Öffentlichkeit mit einer ausdrücklichen Zweckbindung belegt.

Offene Türen

Gerade weil die Möglichkeit der zukünftigen Zweckentfremdung nicht vollständig ausgeschlossen werden kann, sollte bei der Gewinnung und Sammlung genetischer Daten besonders vorsichtig verfahren werden. Leider ist der grüne Gesetzentwurf in dieser Hinsicht aber weniger restriktiv: So sollen genetische Reihenuntersuchungen durchgeführt werden dürfen, wenn daraus für die Betroffenen ein wie auch immer definierter medizinischer Nutzen resultieren könnte und eine vom Gesundheitsministerium einzuberufende Kommission aus Sachverständigen dies bestätigt hat. Ein solcher "medizinischer Nutzen" könnte beispielsweise bei zahlreichen Gentests auf multifaktorielle Erkrankungen konstruiert werden, wenn eine Strategie zur Vermeidung von Übergewicht oder Bluthochdruck damit verbunden wird. Auch die von Datenschützern und Medizinethikern ungeliebte Pauschaleinwilligung ist wieder auf dem Tisch: Menschen, die Blut- oder Gewebeproben der Forschung zur Verfügung stellen, sollen ihre Einwilligung allgemein für ganze Forschungsbereiche geben können ­ zu einem Zeitpunkt, zu dem das künftige Forschungsziel oder die Bedeutung kommerzieller Interessen noch völlig vage ist. Hier offenbart sich am deutlichsten der Kompromiss mit den Forderungen der Forschung, aber auch mit den Forderungen von Betroffenenverbänden: Sie argumentieren, dass gerade die Erforschung von Krankheitsursachen über die Anlage und Auswertung von Blut- und Gewebebanken ohne solche Blankovollmachten überhaupt nicht möglich ist. Problematisch ist auch, dass Wissenschaftler bereits vorhandene Proben- und Datenbestände "im Einzelfall" ohne Einwilligung der Betroffenen nutzen dürfen sollen, wenn die Einholung einer Einwilligung "nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand" möglich ist. Dies träfe beispielsweise zu, wenn eine Person verstorben oder ­ trotz Versuchs der Kontaktaufnahme ­ nicht aufzufinden ist. Für Diskussionen sorgen werden vermutlich die vorgesehenen Regelungen genetischer Tests bei Minderjährigen. Sie sollen mit Einwilligung der Eltern auch dann möglich sein, wenn sie den Kindern selbst nicht nützen. An bereits vorhandenen Proben und Daten von Kindern soll geforscht werden dürfen, so lang dies für die "Erforschung multifaktoriell bedingter Erkrankungen unerlässlich ist." In dieser Logik folgt der Entwurf einer vor rund einem Jahr in Kraft getretenen Änderung des Arzneimittelgesetzes, nach der erstmals unter eingeschränkten Bedingungen eine "gruppennützige" Forschung an Minderjährigen zulässig ist. Bereits damals warnten Kritiker vor den rechtspolitischen Folgen eines solchen Tabubruchs; die Übertragung dieses Prinzips auf die humangenetische Forschung würde immerhin bedeuten, dass Genomforschungsprojekte an Kindern und Jugendlichen ­ wie das in der Schweiz im letzten Jahr gestartete SESAM-Projekt zur Erforschung psychischer Störungen (siehe GID 173) ­ künftig auch in Deutschland mit rechtlicher Grundlage möglich wären. Angesichts der Mehrheiten im Bundestag kann nicht davon ausgegangen werden, dass die grünen Vorschläge in dieser Form angenommen werden. Dafür dürften die Forschungsverbände, falls sie erwartungsgemäß heftig protestieren, zumindest in Erklärungsnot geraten: Peter Propping, Humangenetiker an der Universität Bonn, hatte nämlich auf der grünen Fachanhörung erklärt, dass die vorgeschlagenen Regelungen aus Sicht der Forschung "akzeptabel" wären.

Am 9. September hat eine Fachanhörung zum Gentestgesetzentwurf stattgefunden. Die Stellungnahmen der eingeladenen Experten und der Gesetzestext sind unter www.gruene-bundestag.de/cms/mensch_medizin/dok/14… im Volltext abzurufen.

Erschienen in
GID-Ausgabe
178
vom Oktober 2006
Seite 59 - 60

Monika Feuerlein ist freie Journalistin und arbeitete mehrere Jahre lang als Redakteurin für den Gen-ethischen Informationsdienst (GID).

zur Artikelübersicht