Dominanz des Marktes
Zur Expansion des NIPT-Angebotes
Nur fünf Jahre nachdem das Unternehmen Lifecodexx den ersten nicht-invasiven pränatalen Tests (NIPT) auf den deutschen Markt gebracht hat, ist eine komplexe Test-Landschaft entstanden - mit vielen Fragezeichen.
Der Markt für NIPT boomt. In hoher Frequenz drängen neue Produkte auf den Markt, die im Wettbewerb mit der Konkurrenz Differenzierungsmerkmale offerieren, die auf Leistungsumfang, Preis oder Qualität setzen. Fünf Unternehmen werben mittlerweile in der Bundesrepublik für ihre Tests, neben Lifecodexx (PraenaTest) sind das Natera/Amedes (Panoramatest), Ariosa/Roche (Harmony), die Amedesgruppe (Fetalis) und das Beijing Genomic Institute (Nifty).1
Marktführer sind bis heute allerdings US-amerikanische Firmen, die weltweit operieren und den Markt mit einem Vorsprung an Wissen und Technologie bestimmen. Um den Vorsprung zu sichern, werden Rechte an Patenten und Intellektuellem Eigentum reklamiert und Klagen gegen Konkurrenten geführt.2 Nach den USA, denen ein Wirtschaftsbericht ein Wachstum des NIPT-Markts von 0,5 Milliarden US-Dollar 2013 auf 2,4 Milliarden im Jahr 2022 prognostiziert, ist es vor allem Europa, in dem der Absatz rapide wächst.3
Prinzipiell zu unterscheiden ist dabei zwischen Ländern mit einer eigenständigen Testproduktion und Ländern, in denen regional ansässige Labore mit global operierenden Unternehmen kooperieren. Ein Geschäftsmodell, das auch von dem deutschen Biotechnologieunternehmen Lifecodexx praktiziert wird. Sein Wirkungskreis ist längst nicht mehr auf deutschsprachige Regionen begrenzt: Kooperationen bestehen derzeit mit 36 Standorten in Europa, Asien und dem Nahen Osten.4 Möglich wurde dies auch durch die Entwicklung der patentierten PraenaBoxx, die als In-House-Service in Partner-Laboren weltweit eingesetzt werden kann. Die PraenaBoxx enthält eine Systemlösung zur Datenanalyse der Blutproben, die kurze Transportwege, schnelle Resultate und einen höheren Durchlauf ermöglicht. Ein System, das aufgeht: Alle 30 Minuten entscheide sich derzeit eine schwangere Frau für den PraenaTest, so Marketingleiterin Elke Decker.5 Doch für welchen?
Eins, Zwei oder Drei?
Seit März 2016 gelten neue Konditionen, kurz zusammengefasst: „Der Testumfang bestimmt den Preis“.6 Lifecodexx ist dem Trend gefolgt, medizinische Dienstleistungen stärker zu personalisieren und zu individualisieren und hat - in auffallender Parallelität zum Lizenzgeber, dem US-Unternehmen Sequenom - ein Drei-Optionen-Modell entwickelt. Die günstigste Option (349 Euro) untersucht das mütterliche Blut auf Trisomie 21. Option 2 (429 Euro) zielt auf Trisomie 21, 18 und 13, und Option 3 (499 Euro) testet zusätzlich auf das Klinefelter-, Turner-, Triple X- und XYY-Syndrom. Auf Wunsch wird bei allen Optionen das Geschlecht bestimmt.
Das dreigliedrige Modell von Sequenom bietet einen leicht abweichenden Produktzuschnitt. Neben VisibiliT (Trisomien 21 und 18) und MaterniT21 Plus (der dem Leistungsspektrum der Option 3 des PraenaTest gleichkommt), verspricht MaterniT Genome „einmalige Informationen“. Mit diesem dritten Testsegment sei die nächste Stufe der NIPT-Technologie eingeleitet, so Sequenom. Als erstes marktgängiges Verfahren analysiere MaterniT Genome jedes einzelne Chromosom des Ungeborenen und erschließe damit „eine Fülle an Wissen“.7 Wissen wozu?
Ermächtigung durch Wissen
Wissen, Information, Aufklärung und Gewissheit sind Schlüsselbegriffe in den Werbematerialien und Internetauftritten der Anbieter.8 Sie bilden die Grundelemente der Narrative über die Kontrollierbarkeit und Steuerbarkeit biologischer Prozesse. Konstruiert werden Erzählfiguren von verantwortungsvollen und beschützenden Müttern, die sich umfassend informieren und keine Wissenslücke riskieren. Wissen figuriert dabei als Ermächtigungsmittel, es ist empowering, heißt es etwa bei Sequenom. Wozu die Ermächtigung dient, bleibt unausgesprochen. In Kurzbotschaften wie „Eine gesunde Familie ist eine glückliche Familie“ wird allenfalls subtil angedeutet, dass dem Wissen eine Konsequenz folgen könnte.9 Darüber, welche das sein könnte, erfährt die informationssuchende Frau nichts; es bleibt ihr überlassen, solche Kurzbotschaften auszudeuten - in einem assoziativen Deutungskontext, der gesellschaftlich, kulturell und legislativ gesetzt wird.10
In diesen Kontext fügt sich die NIPT-Technologie nahtlos ein - hochgradig anpassungsfähig und ethisch scheinbar neutral. Harmlosigkeit, Risikofreiheit und Einfachheit der Blutentnahme stehen im Vordergrund der Botschaften. „Jetzt, wo Sie schwanger sind, ist für Sie nichts wichtiger, als die gesunde Entwicklung Ihres Kindes zu fördern“, appelliert Bioscientia in einem Harmony-Patientenflyer an die Verantwortung der einzelnen Frau.11 Und zum Prenatalis-Test heißt es: „Über die klassische Schwangerenvorsorge hinaus berät Sie Ihr Arzt gerne über weitere diagnostische Möglichkeiten, das Wohlergehen Ihres ungeborenen Kindes zu schützen, aber auch auftretende Risiken frühzeitig zu erkennen“.12 Als verantwortlich handelnd gilt die Adressatin solcher Botschaften dann, wenn sie der Kurzformel „Gewissheit erlangen. Ohne Risiko für das Kind“ folgt.13
Systemimmanente Komplexitäten
Eine der vielen Paradoxien, die Frauen wie selbstverständlich zugemutet werden, liegt darin, dass dieses „Risiko für das Kind“ ein Produkt der gängigen Screening-Praxis (Ersttrimester-Test) ist. Soll doch der als „risikofreie Lösung“ angepriesene Bluttest verhindern, dass „unnötige“, weil auf falsch-positiven Ergebnissen beruhende, invasive - und damit risikoreiche - Verfahren durchgeführt werden.
Diese Argumentationsstrategie findet sich in allen Testbroschüren, mal graphisch aufbereitet, mal im Fließtext erläutert. Als Vergleichsmatrix dienen Fehlberechnungen und Nachteile bisheriger Verfahren. Vor diesem Kontrast erscheint das neue Verfahren klar als die bessere Lösung. Argumentiert wird systemimmanent und systemstabilisierend. De facto ist diese Logik jedoch schon längst dabei, sich selbst ad absurdum zu führen, weil 1. falsche Werte über die Aussagekraft der Tests angegeben und 2. das Testspektrum und der Adressatinnenkreis massiv erweitert werden.
Beides führt dazu, dass der von den Anbietern versprochene Effekt torpediert wird, Gewissheit ohne Risiko zu erlangen. In Fachkreisen nimmt die Diskussion über die tatsächliche Aussagekraft nicht-invasiver pränataler Tests momentan zu. Bei den wichtigsten Akteurinnen, den Schwangeren, ist sie aber noch viel zu wenig angekommen.
Falsches Sicherheitsversprechen
Es geht um den Unterschied zwischen der Sensitivität, der Spezifizität und dem sogenannten positiven prädiktiven Wert (PPW) der angebotenen Tests. Hier klaffen erhebliche Lücken: Der PPW gibt an, wie viele der positiven Befunde richtig sind, und der liegt bei NIPT - abhängig von der jeweiligen Prävalenz einer Chromosomenstörung in der getesteten Altersgruppe - weit unter den in den Testbroschüren mit bis zu 99,9 Prozent angegeben Werten, die sich auf Sensitivität und Spezifizität beziehen.
Diese Angaben wiegen Frauen in falscher Sicherheit, denn de facto kann der tatsächliche Aussagewert viel niedriger liegen. Ist die Frau noch jung, tritt in ihrer Altersgruppe eine Trisomie nur sehr selten auf. Deshalb kann der PPW bei einer Trisomie 18 beispielsweise auf weniger als 60, bei einer Trisomie 13 auf weniger als 50 Prozent schrumpfen, das heißt, nur einer von zwei positiven Befunden stimmt.14
Frauen erhalten also auch durch NIPT falsch-positive Ergebnisse. Und schon stecken sie genau in der Falle, die sie vermeiden wollten: Zur Abklärung bleibt jetzt nur eine invasive Untersuchung und damit das „Risiko für das Kind“, das mit NIPT eigentlich vermieden werden sollte. Werden zudem immer mehr Konditionen untersucht, die sehr selten auftreten, und dies an immer mehr Frauen, so entstehen in Summe noch mehr diskordante Ergebnisse.
In der Logik kommerzieller Unternehmen soll die schwangere Frau hier am besten selbst Abhilfe schaffen: Indem sie ihre Blutproben für Optimierungs- und Forschungszwecke an das Unternehmen abtritt. Beim kurz vor der Markteinführung stehenden Test Fetalis von Amedes hat die Frau dem gar automatisch zugestimmt, wenn sie nicht aktiv Einspruch erhebt.15
Nicht nur das Interesse der Unternehmen an den Proben verweist auf bestehenden Optimierungsbedarf bei den Testangeboten. Auch an den Softwareprogrammen, die aus der im Blut der Schwangeren aufgefundenen zellfreien DNA Wahrscheinlichkeiten für Chromosomenabweichungen beim Fötus errechnen, wird ständig gefeilt und nach optimierten Algorithmen gesucht, die die Entwickler sich dann patentieren lassen. Nicht jeder Testanbieter verwendet dieselben Algorithmen. Jeder behauptet jedoch, mit den besten zu arbeiten - alle Firmen versprechen eine sehr hohe Genauigkeit.16 Aus der Marktförmigkeit der NIPT-Angebote ergibt sich, dass vergleichende Studien zwischen den verwendeten Algorithmen und Methoden fehlen.
Pränatales Googeln
Dass unabhängige Einschätzungen und Informationen über NIPT fehlen, ist besonders folgenreich für die Adressatinnen der Angebote. Frauen fühlen sich in Arztpraxen häufig nicht ausreichend informiert und bereiten Praxisbesuche gezielt vor und nach. Viele benutzen Suchmaschinen wie Google, um Webseiten zu identifizieren, die ihnen bei Fragen und Unsicherheiten weiterhelfen.17
Das häufigste Thema, das Frauen einer israelischen Studie zufolge googelten, waren pränatale Tests.18 Suchbegriffe wie „Bluttest“ oder „pränataler Test“ führen schnell auf die Seiten der Firmen, die ihre Präsenz im Internet ständig ausbauen und um neue Elemente wie Piktogramme, Downloads oder Bestellbögen ergänzen. Bei Premaitha, Sequenom und Natera ist es neuerdings üblich, kleine Videos über Testverfahren für schwangere Frauen und Webinare für medizinische Fachkräfte einzustellen.
Was im Netz hingegen fehlt, sind neutrale, firmenunabhängige Informationen. Eine informierte Entscheidung verlangt eine ausgewogene Kenntnis aller relevanten Aspekte und die Aufklärung über Patientenrechte. Auf Seiten der Testindustrie finden Frauen diese nicht. Dilemmata, die mit den Tests verknüpft sein können, werden ausgeblendet.
Enteignete Freiheit
Angesichts des expandierenden Marktes für NIPT stellt sich einmal mehr die Frage, ob technologischer Fortschritt „nicht nur ein Mehr an Wissen und Können, sondern ein Mehr an Humanität bringt“, so Walter Schaupp. „Werden diese Fragen nicht gestellt und werden daraus nicht Konsequenzen gezogen, bleiben wir dem Fortschritt gegenüber tatsächlich unfrei.“19 In dieser Lesart fällt die Zwischenbilanz nach fünf Jahren NIPT ernüchternd aus: Ein Mehr an Humanität hat sie nicht gebracht. Im Gegenteil: Sie trägt dazu bei, den Blick von Schwangeren auf das in ihr heranwachsende Kind durch Chromosomenprismen zu brechen. Die DNA schiebt sich als Angstspirale zwischen die frühe Mutter-Kind-Dyade, die so zentral für die emotionale Annahme des Kindes und seine Entwicklung ist. Ein Kind anzunehmen, ist keine elterliche Leistung, die auf Knopfdruck erfolgen kann. Sie ist eingebettet in ein Kontinuum, das lange vor der Geburt beginnt. Diesen Prozess der Dominanz des Marktes zu unterwerfen, darf kein Effekt ärztlicher Schwangerschaftsbegleitung sein.
- 1Harmony wird von Bioscientia vertrieben. Einen weiteren Test, Prenatalis, bietet das Zentrum für Humangenetik und Laboratoriumsdiagnostik Martinsried an.
- 2Vgl. Ashwin Agarwal, Lauren C. Sayres et al.: Commercial Landscape of Noninvasive Prenatal Testing in the United States, in: Prenatal Diagnosis 2013, 33(6), S. 521-531.
- 3Zum US-Markt vgl. www.finanznachrichten.de oder www.kurzlink.de/gid237_n.
- 4Vgl. www.lifecodexx.com/lifecodexx-ag/lifecodexx-global.
- 5PM LifeCodexx AG, 03.03.16, www.lifecodexx.com oder www.kurzlink.de/gid237_r.
- 6Vgl. www.lifecodexx.com/fuer-schwangere/kosten.
- 7Alle Zitate unter www.sequenom.com, Übersetzungen hier und im folgenden: GID-Redaktion.
- 8Gesichtet wurden die Webseiten der Unternehmen Sequenom, Premaitha, Ariosa Diagnostics, Lifecodexx, Natera Amedes, Verinata Health/Illumina und Amedes Group.
- 9Vgl. www.sequenom.com.
- 10Vgl. Marion Baldus: Laute Inklusionsrhetorik - stille Selektion, in: Ingeborg Hedderich, Raphael Zahnd (Hg.): Teilhabe und Vielfalt. Herausforderungen einer Weltgesellschaft, Bad Heilbrunn 2016, S.379-387.
- 11Vgl. www.bioscientia.de oder www.kurzlink.de/gid237_t.
- 12Vgl. www.prenatalis.de oder www.kurzlink.de/gid237_s.
- 13Vgl. www.lifecodexx.com/fuer-schwangere/praenatest.
- 14Vgl. die Erläuterungen der National Society of Genetic Counselors: http://nsgc.org und www.kurzlink.de/gid237_o oder Katie Stoll, Heidi Lindh: Guest Post-PPV Puffery? Sizing up NIPT Statistics, www.thednaexchange.com oder www.kurzlink.de/gid237_p.
- 15Siehe www.amedes-group.com oder www.kurzlink.de/gid237_q, S. 3.
- 16Vgl. beispielsweise Amedes, www.amedes-group.com oder www.kurzlink.de/gid237_u und Ariosa, www.ariosadx.de oder www.kurzlink.de/gid237_v.
- 17Briege M. Lagan, Marlene Sinclair, George Kernohan: What Is the Impact of the Internet on Decision-Making in Pregnancy? A Global Study. in: Birth 38, Dezember 2011, S. 336-345.
- 18Eim i Lev: Prenatal Googling. Online Information Seeking by Israeli Women During Pregnancy, in: International Review of Social Research, Vol. 3, Ausgabe 2/2013, S. 69-87.
- 19Walter Schaupp: Was es heißt, “Subjekt” des medizinisch-technischen Fortschritts zu sein, in: Ders. und Wolfgang Kröll (Hg.): Medizin - Macht - Zwang. Wie frei sind wir angesichts des medizinischen Fortschritts? Baden-Baden 2016, S. 24.
Marion Baldus ist Professorin an der Hochschule Mannheim. Pränataldiagnostik bildet einen Schwerpunkt ihrer Forschung, zuletzt im Rahmen des BMBF-Projekts „Pränataldiagnostik im Diskurs“.
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