Freigabe via Verfahrensregeln?

Kabinett verabschiedet Rechtsverordnung zur PID

Ziemlich genau ein Jahr nachdem das Gesetz zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik in Kraft getreten ist, hat die Bundesregierung die noch ausstehende Rechtsverordnung gebilligt, die die Anwendungspraxis des umstrittenen Verfahrens regeln wird. Wie schon die erste Fassung aus dem Bundesgesundheitsministerium steht auch der jetzt abgenickte Entwurf in eklatantem Widerspruch zu dem vom Bundestag gefundenen Gesetzeskompromiss: Sollte der Bundesrat ihm Anfang Februar zustimmen, wird die PID nicht lange auf seltene Ausnahmefälle beschränkt bleiben.

Die kommende Verordnung der Bundesregierung kann sich nur in den durch das Gesetz festgelegten Grenzen bewegen.“ Am Tag, bevor ihre Verabschiedung im Kabinett anstand, sah sich der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung Hubert Hüppe offensichtlich genötigt, die Regierungsmitglieder in der Öffentlichkeit an Selbstverständliches zu erinnern.1 Das ist im Angesicht der unter Federführung von Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) erarbeiteten Rechtsverordnung durchaus nachvollziehbar. Denn hier wird der Kompromiss, den die Abgeordneten des Bundestages mit dem Gesetz zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik (PräimpG) gefunden hatten, weitgehend umgedeutet. Die ParlamentarierInnen hatten sich nach langer und zum Teil erbitterter Auseinandersetzung auf eine Beibehaltung des Verbotes der PID als einer Technik der Selektion geeinigt, das nur in Einzelfällen auf Antrag und nach eingehender Prüfung ausgesetzt werden darf. Die Rechtsverordnung sieht nun auch in ihrer zweiten Fassung Regelungen vor, die es wahrscheinlich machen, dass die PID in der Praxis bald deutlich häufiger zur Anwendung kommt, als vom Bundestag gewünscht. Dabei sieht es ganz danach aus, dass das FDP-geführte Gesundheitsministerium in der Rechtsverordnung durchaus absichtsvoll Verfahrensregelungen getroffen hat, die den Grundtenor des Gesetzes konterkarieren. Minister Bahr hatte ja bereits in der ersten Julihälfte dieses Jahres einen Entwurf vorgestellt, der sowohl bei Bundestagsabgeordneten wie auch bei den Bundesländern auf so scharfe Kritik stieß, dass er nicht wie geplant im September dem Kabinett vorgelegt wurde, sondern zur Überarbeitung zurück in das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) ging - die Ablehnung im Bundesrat wäre dem Entwurf sicher gewesen. In der nun vom Kabinett angenommenen Fassung werden einzelne Änderungsforderungen zwar kommentiert, die Punkte, an denen die Kritik sich entzündet hatte, im Kern aber unverändert belassen.

Marktradikale Regelungen

So soll es nach wie vor keine Einschränkung bei der Anzahl der Zentren geben, die eine PID durchführen dürfen und über deren Zulassung auf Landesebene entschieden wird. Zwar geht das BMG davon aus, dass lediglich „200 bis 300 Anträge pro Jahr“ auf Durchführung einer PID gestellt werden.2 Dennoch soll das Verfahren überall angeboten werden können. Einzige Voraussetzung: Das jeweilige Zentrum muss die Anforderungen an die Qualität der Behandlung erfüllen. Dass die Anzahl nicht auf bundesweit maximal zwei bis drei Zentren begrenzt wird, war schon im Sommer kritisiert worden. Denn Zentren, die PID anbieten, werden um Auslastung bemüht sein; je mehr Zentren es gibt, so die Befürchtung, desto stärker wird die Konkurrenz um AntragstellerInnen - Konkurrenz ist aber wohl kaum dazu geeignet, den vom Gesetz vorgesehenen Ausnahmecharakter der PID aufrechtzuerhalten. Die Begründung des BMG für den Verzicht auf eine zahlenmäßige Begrenzung ist widersprüchlich: Es wird zwar anerkannt, dass eine Begrenzung dazu geeignet wäre, die Beschränkung der PID auf Ausnahmefälle zu gewährleisten. Voraussichtlich würden aber ohnehin nur wenige Zentren die „in der Verordnung festgelegten Qualitätsanforderungen“ erfüllen und eine Zulassung beantragen können; man müsse also die Zahl gar nicht begrenzen, um zu erreichen, „dass die Präimplantationsdiagnostik allein in Ausnahmefällen (…) durchgeführt wird“, so das Argument. Andererseits wird betont, dass jeder reproduktionsmedizinischen Einrichtung die Möglichkeit der Zulassung als PID-Zentrum „eröffnet“ bleibe.3 Da stellt sich durchaus die Frage, wozu das notwendig ist. Sollen es perspektivisch doch mehr Zentren werden? Für diese Intention spricht auch, dass reproduktionsmedizinische und humangenetische Einrichtungen, die die notwendigen Voraussetzungen allein nicht erfüllen, als Verbund eine Zulassung beantragen können.4 Dennoch gehe man nicht davon aus, „dass die PID-Zentren nun wie Pilze aus dem Boden schießen", wird eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums von der Ärzte Zeitung zitiert. Es gebe einfach nicht so viele Fälle, als dass ein unbegrenzter Markt entstehen könne.5

Konkurrenz als Motor der Ausweitung

Warum aber sollen dann möglichst viele Einrichtungen in die Lage versetzt werden, eine Zulassung als PID-Zentrum zu beantragen? Um dem Markt die Chance auf Wachstum zu erhalten? Schließlich ist keineswegs ausgemacht, dass und wenn ja, wie eng die Anwendung der PID sich in der Praxis begrenzen lässt. Bei der Formulierung des Gesetzes war darauf verzichtet worden, die Fälle zu konkretisieren - etwa durch eine Auflistung von Konditionen -, in denen eine PID straffrei ist, um Diskriminierung und Normierung zu vermeiden. Deshalb nennt das PräimpG lediglich allgemeine Bedingungen: Das Verfahren darf angewendet werden, wenn aufgrund der „genetischen Disposition“ bei mindestens einem der beiden potenziellen Elternteile „für deren Nachkommen das hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit“ besteht. Darüber hinaus ist die PID zu dem Zweck erlaubt, die befruchtete Eizelle auf eine „schwerwiegende Schädigung“ zu untersuchen, „die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führen wird.“6 Die Entscheidung darüber, ob eine dieser Voraussetzungen gegeben ist, soll am jeweiligen Einzelfall orientiert sein, und sie soll von einer Ethikkommission getroffen werden.7 Damit kommt diesem Gremium eine Schlüsselrolle zu, denn durch und in seinen Entscheidungen wird sich über die Zeit allmählich herausbilden, was als erlaubte Selektion gelten darf und was nicht. Um eine einheitliche Bewertungspraxis zu etablieren, war immer wieder die Einrichtung einer einzigen, zentralen Ethikkommission gefordert worden. Das allerdings, so das BMG in der Begründung der Rechtsverordnung, entspräche nicht der Vorgabe im PräimpG. In der Tat enthält die verabschiedete Fassung des Gesetzes einen Passus, der so interpretiert werden kann. Danach soll „eine Ethikkommission an den zugelassenen Zentren“ die Fälle prüfen und bewerten.8 Wie deren Entscheidungen unter den Bedingungen der Konkurrenz zwischen verschiedenen Zentren ausfallen, bleibt abzuwarten - wo Kunden gewonnen werden sollen, bestehen jedenfalls besondere Voraussetzungen bei der Beurteilung des einzelnen Falles. Die Kommissionen haben zum Beispiel mit dem Umstand umzugehen, dass ein Paar es bei einer anderen Kommission erneut versuchen kann, sollte sein Antrag abgelehnt werden. Auch ein solcher „Kommissionstourismus“ ließe sich mit einer Begrenzung der Anzahl der PID-Zentren - und damit der Ethikkommissionen - reduzieren. Das BMG fordert zur „Vermeidung uneinheitlicher Entscheidungen“ aber stattdessen die Länder dazu auf, „die Zahl der Ethikkommissionen so klein wie möglich“ zu halten. Auch die „Einrichtung einer gemeinsamen Ethikkommission durch mehrere Länder“ sei „denkbar“.9 Ja, was denn nun, fragt es sich da: Darf es nun zentrenübergreifende Kommissionen geben oder nicht? Und wenn ja, warum dann nicht ein zentrales Gremium für alle Zentren?

Großer Spielraum der Bewertung

Auch einen dritten, in Bezug auf die Begrenzung der PID entscheidenden Aspekt setzt das BMG in der Rechtsverordnung recht eigenwillig um: Die vom PräimpG vorgesehene Dokumentation der Genehmigungspraxis. Damit der Gesetzgeber Kontrolle darüber behält, dass die enge Begrenzung der PID auf Ausnahmefälle gewährleistet bleibt und gegebenenfalls korrigierend eingreifen kann, sieht das Gesetz vor, die „durchgeführten Maßnahmen“ zentral zu dokumentieren. Außerdem wird die Bundesregierung dazu verpflichtet, auf dieser Basis alle vier Jahre einen „Bericht über die Erfahrungen mit der Präimplantationsdiagnostik“ zu erstellen, der auch eine „wissenschaftliche Auswertung“ enthält. Die Rechtsverordnung, die das Nähere regeln soll, verlangt nun lediglich, dass die zugelassenen PID-Zentren an die beim Paul-Ehrlich-Institut anzusiedelnde Zentralstelle melden, wie oft eine PID wegen des Vorliegens einer schwerwiegenden Erbkrankheit und wie oft mit der Begründung einer hohen Wahrscheinlichkeit einer Tot- oder Fehlgeburt durchgeführt wurde, und zwar „untergliedert nach Chromosomenstörungen und autosomal-dominant, autosomal-rezessiv und geschlechtsgebunden erblichen Krankheiten“.10 In einer ungewöhnlich prompten Stellungnahme hat der Ethikrat unter anderem diesen Passus bemängelt. Denn mit diesen dürftigen Informationen kann weder die Bedeutung der jeweils zu erwartenden Krankheitsausprägungen in den Entscheidungen über die Durchführung einer PID transparent gemacht werden, noch wird so dokumentiert, welche Erkrankungswahrscheinlichkeiten den Einzelfallentscheidungen der Ethikkommissionen zugrunde lagen - welche Gestalt also der im Gesetz unbestimmte Begriff der schwerwiegenden Erbkrankheit in der Praxis der Einzelfallentscheidungen annimmt. Und für den zweiten Begründungstyp, der laut Gesetz eine PID rechtfertigt - die hohe Wahrscheinlichkeit einer Tot- oder Fehlgeburt - sind, so der Ethikrat, Informationen über die angenommenen Gründe für diese Wahrscheinlichkeit und über ihre Höhe erforderlich. Mit einer solchen Dokumentation könne „der mittelbaren Entstehung einer Indikationsliste entgegengewirkt werden“, betont der Ethikrat, „ohne dem Bundestag die Kontrollmöglichkeit über eine nicht dem gesetzgeberischen Willen entsprechende Verschiebung der Grenzen bei der PID-Anwendung zu entziehen.“11 Darum aber scheint es dem BMG weniger zu gehen. In einer Pressemitteilung des Ministeriums wird die Art der Datenerhebung damit begründet, dass so „Trends in Bezug auf eine mögliche Ausweitung der Präimplantationsdiagnostik erkannt werden“ könnten.12 Diese Formulierung, die irgendwie nach Marktbeobachtung und Wirtschaftsdatenanalyse klingt, passt auf diese Rechtsverordnung. Steckt sie doch einen Rahmen ab, der schwerlich dazu geeignet ist, die vom PräimpG verlangte strenge Begrenzung der Selektionstechnik auf wenige Ausnahmefälle zu gewährleisten. Im Gegenteil: Sie zielt auf eine Öffnung, nämlich die Erweiterung des Marktes für Angebote und Dienstleistungen der Reproduktionsmedizin. Gesundheitsminister Daniel Bahr übt sich derweil darin, Bedenken gegenüber der Rechtsverordnung herunterzuspielen. KritikerInnen, so Bahr beispielsweise am 14. November dieses Jahres gegenüber der Tagesschau, versuchten lediglich, „die seinerzeitige Debatte neu aufzumachen". Angesichts der anvisierten Praxis allerdings scheint genau das notwendig.

  • 1In einer Pressemitteilung vom 13.11.12, im Netz unter www.kurzlink.de/GID215_b.
  • 2Vgl. Verordnung zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik (Präimplantationsdiagnostikverordnung PIDV), Bundesrats-Drucksache 717/12, S. 14. Im Netz unter www.kurzlink.de/GID215_c.
  • 3Ebd., S. 13.
  • 4Ebd., S. 5. Notwendige Voraussetzungen sind danach die „notwendigen diagnostischen, medizinischen und technischen Möglichkeiten (…), und zwar sowohl für die reproduktionsmedizinische Maßnahme als auch für die genetische Untersuchung“.
  • 5Ärzte Zeitung Online, 14.11.12, im Netz unter www.kurzlink.de/GID215_d.
  • 6Bundesrats-Drucksache 480/11, 02.09.11, Artikel 1, Nummer 1, Absatz 2, im Netz unter www.kurzlink.de/GID215_f.
  • 7Die Ethikkommission nimmt die Anträge auf PID entgegen und muss innerhalb von drei Monaten darüber entscheiden, ob ein Fall schwerwiegend, mithin die Anwendung des Verfahrens zulässig ist.
  • 8Hervorhebung (uw). Veröffentlicht wurde diese Änderung erst im September 2011 vom Bundesrat (siehe Fußnote 6). In dem Entwurf vom April 2011, dem eine Mehrheit der Bundestagsabgeordneten am 7. Juli 2011 zustimmte, war ursprünglich lediglich von „einer interdisziplinär zusammengesetzten Ethikkommission“ die Rede gewesen. Vgl. Bundestags-Drucksache 17/5451, im Netz unter www.kurzlink.de/GID215_g. Möglicherweise ist die Bedeutung dieser Änderung den ParlamentarierInnen entgangen, da es in der Sitzung ja um die prinzipielle Regelung der PID ging und drei verschiedene Gesetzentwürfe zur Abstimmung standen.
  • 9Vgl. Rechtsverordnung, a.a.O., S. 29. Den Ländern obliegt nicht nur die Einrichtung der Ethikkommissionen, sondern auch die Zulassung der PID-Zentren.
  • 10Außerdem müssen sie angeben, wie viele Anträge es gegeben hat, wie oft PID durchgeführt und wie oft sie abgelehnt wurde. Vgl. ebd., S. 10 f.
  • 11Deutscher Ethikrat, PM 13/2012, 23.11.12, im Netz unter www.ethikrat.org/presse/pressemitteilungen/2012/p….
  • 12PM Bundesministerium für Gesundheit, 14.11.12, im Netz unter www.kurzlink.de/GID215_e.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
215
vom Dezember 2012
Seite 41 - 43

Uta Wagenmann war Mitarbeiterin des GeN und GeN-Vorstandsmitglied.

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Bundesratsentscheidung am 1. Februar 2013

Der Bundesrat muss der Rechtsverordnung noch zustimmen. Es gilt als wahrscheinlich, dass die Länderkammer der Bundesregierung Änderungsvorschläge unterbreiten wird. Als Termin für die Behandlung der Verordnung im Bundesrat ist der 1.2.2013 vorgesehen. Um der Sitzung die notwendige öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen, ruft das GeN zu einer Kundgebung vor dem Sitzungsgebäude in Berlin auf. Termin und Ort werden rechtzeitig auf www.gen-ethisches-netzwerk.de bekannt gegeben (siehe auch unter "In Bewegung").
(uw)

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