„Möglichst Viele ‚Richtige‘, ‚Gesunde‘ Kinder Produzieren“
Ein Gespräch über Antifeminismus, Reproduktion und die (extreme) Rechte
Die Kontrolle über Reproduktion ist ein rechtes Kernthema, vom fundamentalistischen Christentum bis hin zu neonazistischen Strukturen. Unsere Interviewpartnerin hat diese Gemengelage für uns sortiert.

Foto: privat
Liebe Lina, Antifeminismus wurde in der Auseinandersetzung mit rechten Bewegungen und ihren Ideologien lange vernachlässigt. Du arbeitest aber schon seit einigen Jahren dazu – wie bist du auf das Thema aufmerksam geworden?
Ich arbeite seit knapp zehn Jahren zum Thema Antifeminismus und habe damit angefangen, weil ich den sogenannten 1000-Kreuze-Marsch in München gesehen und mich gefragt habe: Was zur Hölle ist das hier?! Im Nachhinein habe ich versucht, etwas darüber herauszufinden: Wer ist das? Warum machen die das? Arbeitet aktuell jemand dazu? Das war damals nicht der Fall, also habe ich angefangen, mich da einzulesen. Inzwischen habe ich meinen Radius ausgeweitet und arbeite allgemein zum Thema Antifeminismus.
Wenn du von Antifeminismus sprichst, was meinst du damit genau?
Ich sage immer: Antifeminismus ist eine antimoderne Ideologie, die sich meistens in einer organisierten Gegner*innenschaft zu feministischen Kämpfen äußert. Wichtig ist: Einerseits ist es eine eigenständige Ideologie, sie richtet sich aber auch gegen Feminismus und seine Anliegen, wie geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung, Geschlechtergerechtigkeit oder reproduktive Gerechtigkeit, also zum Beispiel gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche.
In welchem Verhältnis stehen Antifeminismus und die sogenannte Lebensschutzbewegung zueinander? Und wie unterscheiden sie sich von anderen rechten Akteur*innen?
Ich spreche bei der sogenannten Lebensschutzbewegung eher von Anti-Choice-Bewegung – es geht hier nämlich nicht um den Schutz von Leben. Die Menschen, die an illegalisierten, unsicheren Schwangerschaftsabbrüchen sterben, sind dieser Bewegung ebenso egal wie die Lebensbedingungen bereits geborener Kinder in einer sozial ungleichen Welt. Es geht ihnen um Bevormundung und Kontrolle; darum, dass Frauen und andere gebärfähige Menschen nicht selbst über die Austragung oder den Abbruch einer Schwangerschaft entscheiden sollen. Es ist ja eine der zentralen Forderungen feministischer Bewegungen, dass Menschen, die gebären können, selbst über ihren Körper und ihr Leben entscheiden können. Dagegen richtet sich die Anti-Choice-Bewegung ganz explizit und deswegen ist sie Teil des organisierten Antifeminismus.
Ich arbeite auch zur Identitären Bewegung (IB) und Studierendenverbindungen und beobachte im Kontext von Antifeminismus auch die Aktivitäten vieler anderer extrem Rechter oder rechtsklerikaler Strukturen. Ich sehe, dass Antifeminismus ein Querschnittsthema ist, das sich durch verschiedene, auch verschwörungsideologische Gruppierungen zieht. Bei Pandemieleugner*innen ploppt das Thema Antifeminismus auch immer wieder auf. Antifeminismus ist eine Ideologie, die den Schulterschluss ermöglicht. Denn die verschiedenen AkteurInnen propagieren eine ganz rigide Zweigeschlechtlichkeit. Gerade die extreme Rechte nutzt jede Gelegenheit, um den Dualismus aus Mann und Frau zu beschwören, die wie zwei Pole funktionieren und sich gegenseitig anziehen würden, weil die Natur das ja so vorgesehen habe. Es gebe nur diese zwei Geschlechter, weil das für die Reproduktion ja notwendig sei. Da wird also biologistisch argumentiert, während in rechtsklerikalen Strukturen Gott angeführt wird. Das sind die zwei vorherrschenden Erzählmuster.
Welchen Platz hat das Thema Reproduktion in rechten Diskursen?
Neben der Forderung nach „Remigration“, also der massenhaften Deportation und Vertreibung von Menschen, die aus extrem rechter Sicht nicht in „unsere Volksgemeinschaft“ passen würden, steht immer auch die Kontrolle der gebärfähigen Körper in dieser „Volksgemeinschaft“. Das heißt, die extreme Rechte hat ein großes Interesse daran, die Zusammensetzung der Bevölkerung zu kontrollieren und zu bestimmen, wer sich in dieser Gesellschaft fortpflanzt und wer nicht.
Verschiedene rechte Strukturen gehen unterschiedlich offen mit ihren Forderungen nach reproduktiver Kontrolle um. Beim AfD-Parteitag in Riesa beispielsweise wurde sehr darauf geachtet, wie die Diskussion rund um den Paragraphen 218 oder allgemein um reproduktive Rechte in den Medien wahrgenommen wird. In der Partei wird schon noch versucht, anschlussfähig zu sein und keine schlechte Presse zu produzieren. Die AfD hat sehr wohl verstanden, dass ein Großteil der Bevölkerung für die Streichung von Paragraph 218 ist, also für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Diese Wähler*innen wollen sie nicht vor den Kopf stoßen. Ich bin aber davon überzeugt, dass eine AfD – wenn sie an die Macht kommt – alles tun wird, um reproduktive Rechte einzuschränken. Also auf die eine oder andere Weise, etwa indem man Förderungen von Beratungsstellen streicht, Aufklärung allgemein schlechter finanziert oder ähnliches.
Bei neonazistischen Strukturen, zum Beispiel bei Parteien wie dem Dritten Weg, spielt das Thema Reproduktion auch eine zentrale Rolle. Ich muss da immer an ein Gedicht denken, das sich auf der Webseite vom Dritten Weg findet. Es ist aus der Sicht eines Fötus geschrieben – das kennen wir ja auch von der „Lebensschutzbewegung“. Aber in dieser Version wird die werdende Mutter sehr krass verurteilt, mit Fragen wie „Was machst du?“ oder Anschuldigungen wie „Du willst ja nur Spaß haben“. Das versucht die Anti-Choice-Bewegung inzwischen zu vermeiden. Aber beim Dritten Weg ist der Fokus ein anderer. Dahinter liegt das Phantasma vom „Volkstod“ – ein richtiges Bedrohungsszenario: Denen geht es um die „Volksgemeinschaft“ und darum, für diese möglichst viele „richtige“, „gesunde“ Kinder zu produzieren.
In den USA ist die religiöse Rechte in Teilen aufgeschlossen gegenüber Technologien wie In-vitro-Fertilisation. Wie ist das in Deutschland?
Ja, für die USA würde ich das in Teilen schon sagen, besonders für weniger religiös geprägte Teile der Rechten. Gerade Elon Musk sagt ja: „Hier ist mein Sperma, macht Babys.“ In Deutschland verhält sich das etwas anders. Beim diesjährigen „Marsch für das Leben“ in München gab es zwei Hauptredner – Paulus Maria Tautz, ein Franziskaner-Pfarrer aus Sachsen, der zu katholischer Männlichkeit arbeitet, und Kristijan Aufiero vom „Beratungsunternehmen“ 1000plus-Profemina. Beide haben ganz stark gemacht, dass sich die Bundesregierung jetzt endlich für Familien einsetzen solle – also für traditionelle Familien aus Vater, Mutter und Kindern. Besonders Tautz hat bewusst davon gesprochen, dass er sich total freue, wenn er auf Familien mit mehr als drei Kindern trifft. Da wird Werbung gemacht, möglichst viele Kinder zu zeugen.
Das gilt sicher nicht für all diese Strukturen, aber die Grundüberzeugung ist: Gott entscheidet über Leben und Tod. Die Ideologie der religiös motivierten Anti-Choice-Bewegung ist, dass man das Leben von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod schützen müsse. Die meist christlich, also entweder evangelikal oder katholisch geprägte Bewegung geht davon aus, dass bei der Verschmelzung von Samen und Eizelle ein vollwertiger Mensch entsteht, der nicht abgetrieben werden darf. Daraus folgt für die meisten, Technologien abzulehnen. In-vitro-Fertilisation und auch Leihschwangerschaft werden abgelehnt. Auch Sterbehilfe wird abgelehnt, weil eben nur Gott entscheidet. Die Aktion Lebensrecht für Alle veröffentlicht eine Publikation: „Lebensforum“. Davon gibt es auch Sonderausgaben zu Reproduktionstechnologien und darin wird sich ganz klar dagegen ausgesprochen.
Der Mythos vom Bevölkerungsaustausch und dem Angstbild vom Aussterben des deutschen Volkes geht teilweise mit einem völkisch geprägten Pronatalismus einher. Manchmal auch mit offen geäußerten Forderungen nach einer Art Reproduktionszwang, wie etwa vom AfD-nahen IB-Kader Erik Ahrens, der vorschlug, dass „junge Frauen gemustert und bei Eignung zur Abgabe von Eizellen verpflichtet werden, um die Demografie zu stabilisieren“1. Ist das ein Ausreißer oder passt das ins Frauenbild der Szene?
Ahrens ist eine sehr umstrittene Person, auch in der extremen Rechten. Wenn man ihn der sogenannten Neuen Rechten zurechnet, kann man das als einen strategischen Move sehen, solch eine Äußerung einfach so in den Raum zu stellen. Er ist nach massiver Kritik ja auch ein bisschen zurückgerudert. Aber es steht im Raum und man fängt an, darüber nachzudenken. Und das ist die Strategie: im sogenannten vorpolitischen Raum Sachen denkbar zu machen, Sachen sagbar zu machen. Als nächster Schritt kommt, die Sachen auch machbar zu machen.
Gleichzeitig wird das aktuell nicht breit diskutiert. Ich denke, dass zum Beispiel die AfD sich strategisch doch noch nicht traut, solch eine Forderung nach einer Art Reproduktionspflicht offen auszusprechen. Weil sie Frauen natürlich auch als Wählerinnen wollen und diese mit solchen Aussagen eher verprellen würden. Ich glaube nicht, dass ein Großteil der Bevölkerung sagt: Klar, ich lass mir Hormone geben, damit die meine Eizellen ernten. Das wäre wahnsinnig unklug. Deswegen ist die Aussage von Erik Ahrens eher ein Ausreißer.
Extrem rechte Gruppen haben trotz ihrer rückwärtsgewandten Ideologie gerade auch bei jungen Menschen Zulauf, durchaus auch bei Frauen – wie ist das zu erklären?
Ganz wichtig finde ich: Wenn man sich die extreme Rechte anschaut, dann ist da ganz vieles, was logisch nicht stringent oder herleitbar ist. Dieses irrationale Element muss man immer mitdenken. Manches müssen wir vielleicht auch erst mal so stehen lassen und künftig wissenschaftlich untersuchen.
Stichwort wissenschaftlich untersuchen: Es gibt gerade ein Forschungsprojekt, das die Wechselwirkungen zwischen Geschlechterfragen und extrem rechten AkteurInnen untersucht, es heißt GERDEA2. Es legt einen Fokus auf junge Menschen und ihre Einstellungen, auf die Frage, warum sie extrem rechte Ideen attraktiv finden. Und das Forschungsteam sagt ganz klar: Ein Grund sei, dass bei jungen Menschen eine große Verunsicherung herrsche. Weil das Versprechen des Kapitalismus von Wohlstand und Selbstverwirklichung sich nicht bewahrheitet hat. Auch die Versprechen des Feminismus für eine bessere, gleichberechtigte Gesellschaft haben sich teilweise nicht erfüllt. Und wir wissen, dass menschenfeindliche Ressentiments in unsicheren, krisenhaften Zeiten aufblühen. Da liefert Geschlecht einen gewissen Sicherheitsanker; es stellt ein ideologie- oder identitätsstiftendes Element dar.
Es stimmt zwar, dass junge Menschen in einer Gesellschaft aufwachsen, in der geschlechtliche und sexuelle Vielfalt sehr viel präsenter sind als noch vor einigen Jahren. Emanzipatorische Bewegungen haben hier schon viel erreicht. Aber dieser Vielfalt ausgesetzt zu sein, bedeutet eben nicht automatisch, dass man sie auch befürwortet. Man sieht zum Beispiel, dass gerade auch junge Menschen geschlechtergerechte Sprache rigoros ablehnen. Und diese Zuwendung hin zu extrem rechtem Denken, zu antifeministischen Bewegungen und extrem rechten Strukturen, wie wir das jetzt zum Beispiel in den Protesten gegen die Christopher Street Days (CSDs) sehen, hängt laut den Wissenschaftler*innen vom GERDEA-Projekt ganz explizit auch damit zusammen. Das ist eine Stellvertreterdebatte. Wer eine große Unsicherheit erlebt, will nicht noch mehr Komplexität im eigenen Leben haben, deswegen wehrt man das aktiv ab.
In einigen Fällen haben etablierte Kader – beispielsweise von Die Heimat oder vom Dritten Weg – die Leute an die Hand genommen. Sie haben junge Leute gegen die CSDs mobilisiert und sie dazu aufgefordert, in Schwarz gekleidet zu kommen. Denn wenn man optisch eine Einheit bildet, hat man gleich ein Ingroup-Feeling. Das betrifft überwiegend Männer, aber es gibt natürlich auch Frauen, die etwas von der patriarchalen Dividende abhaben wollen. Es ist schließlich einfacher, in einem System mitzuschwimmen, auch wenn man von diesem teilweise unterdrückt wird.
Das ist eine gefährliche Entwicklung, die wir weiter beobachten müssen. Wir müssen Antifeminismus als Teil rechter Ideologie ernstnehmen – auch die Bereitschaft, konservativer AkteurInnen, hier Allianzen einzugehen, etwa beim Thema Transrechte. Vor uns liegt viel Arbeit.
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Siehe auch: Beckmann, A. (2024): Rechte Fantasien. Eizellen für die Reproduktion des Volkskörpers? In: GID MAGAZIN, 41. Jg., Nr. 270, S. 17-19, online: www.kurzlinks.de/gid274-ln.
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GERDEA: Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen und der zeitgenössischen extremen Rechten. Dynamiken – Effekte – Ambivalenzen. Online: www.projekt-gerdea.de. [Letzter Zugriff: 10.07.2024]
Lina Dahm ist Journalistin, Referentin und Podcasterin. Sie beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den Themenfeldern Antifeminismus, Anti-Choice und (extrem) rechte Netzwerke. Ihre Recherchen hat sie unter anderem im Podcast Antifeministische Allianzen verarbeitet.
Das Interview führte Jonte Lindemann.