Rezension: Am Ende der Gewissheiten

Im neuen, wenn auch nicht mehr ganz druckfrischen Buch von Frank Uekötter steckt eine Menge historischer Informationen sowie Potential für ordentliche Selbstreflexion. Das erste Kapitel widmet Uekötter der Geschichte der deutschen Umweltbewegungen. Er erinnert an die Not- und Interessengemeinschaften der 1950er Jahre, an die Anfänge einer globalen Umweltbewegung in den 1960ern sowie die Zeit um 1970, als sich die Sichtweise einer globalen, die Menschheit letztlich in ihrer Existenz in Frage stellenden Umweltkrise entwickelte, und nimmt am Ende so etwas wie eine kleine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Umweltbewegung vor. Sein Fazit: Die Umweltbewegung präsentiert sich mit einer Selbstgewissheit, die ihrer tatsächlichen Lage nicht angemessen ist. Statt Antworten zu geben, die den komplexen Problemlagen nicht gerecht werden, sei sie jedoch besser beraten Fragen zu stellen und überkommene Denk- und Lösungsmuster über Bord zu werfen. Anhand von acht umweltpolitischen Themenfeldern veranschaulicht er diese These im zweiten Teil des Buches. Er umreißt die „deutsche Debatte“ um das Waldsterben, thematisiert Atomenergie und Klimawandel, zeigt die historisch gewachsene Staatsnähe des deutschen Naturschutzes auf und rekonstruiert die Konflikte um Feinstaub und grüne Großprojekte. Natürlich fehlt das rot-grüne Projekt der Agrarwende in seiner Analyse genauso wenig wie die Konflikte um die Agrogentechnik, die er - ganz der Historiker - in einen Zusammenhang mit den viel älteren Auseinandersetzungen um Saatgutzüchtung einbettet. Im dritten Teil des Buches stellt Uekötter provokante Fragen und umreißt anhand von zwölf Thesen, wie die überfällige Neu-Orientierung der Umweltbewegung aussehen könnte: Unabhängig, unbequem und dialogfähig soll sie sein; sie soll die soziale Frage nicht vernachlässigen und kompetent mit Uneindeutigkeiten umgehen, statt an überkommenen starren Kriterien festzuhalten. Uekötters Thesen sind kontrovers. Doch wer weiß, dass der Autor nicht nur Umwelthistoriker, sondern auch Mitglied mehrerer Umweltverbände ist, mag sie als konstruktive Kritik eines Mitstreiters lesen und sich zu einer Reflexion der eigenen Argumente und Praxis inspirieren lassen. Die Stärke des Buches liegt in einem analysierenden Rückblick auf sechs Jahrzehnte deutscher Umweltbewegung sowie in Hinweisen, wo sich die Umweltbewegung verändern muss, um auch unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen ihre wichtige Rolle zu behalten.
Anne Bundschuh
Frank Uekötter: Am Ende der Gewissheiten. Die ökologische Frage im 21. Jahrhundert. Campus Verlag (2011), 391 Seiten, 24,90 EUR, ISBN 978-3-59339-533-3.

Erschienen in
GID-Ausgabe
213
vom September 2012
Seite 47