Rezension: Ewige Jugend
Ewige Jugend
Schönheitsoperationen, Wellness-Kuren, Hormonersatztherapien, Powerfood und Fitnessdrinks – wer sich auch in späteren Lebensjahren die Attribute der Jugendlichkeit erhalten will, kann heute auf ein breites, sich beständig erweiterndes Angebot an medizinischen Dienstleistungen zurückgreifen. Die Branche boomt, der Wunsch nach Überwindung des Alterungsprozesses ist so präsent wie nie zuvor. Wer den historischen und politischen Hintergründen des aktuellen Schönheits- und Verjüngungskultes auf die Schliche kommen möchte, dem sei die gut recherchierte, detailreiche, leicht lesbare und ausgesprochen spannend geschriebene Studie von Heiko Stoff wärmstens ans Herz gelegt. Stoff untersucht die im ausgehenden 19.Jahrhundert beginnende wissenschaftliche Beschäftigung mit den biologischen Möglichkeiten der Verjüngung des Körpers. Während die in dieser Zeit aufkommenden Naturbewegungen auf eine "natürliche" Verjüngung durch Sport, frische Luft und gesunde Ernährung setzen, bildet die Pubertätsdrüsenlehre des Mediziners Eugen Steinach den Ausgangspunkt für medizinisch-biologische Versuche zur künstlichen Verjüngung des Körpers durch Hormone, Keimzellgewebe oder Vitamine. Schon die detaillierten Beschreibungen der Experimente zur Übertragung tierischen und menschlichen Gewebes zeigen spannende Parallelen zu den Fragestellungen und Verheißungen von Stammzellforschung oder Xenotransplantation. Auch die ausführlich dargestellten Widersprüche und Streitpunkte zwischen einer "ernsthaft" betriebenen Medizin und den "gewitzten Neulingen", als welche die auf eine rasche, auch kommerzielle Anwendung ihrer Methoden ausgerichteten Verjüngungsärzte und –forscher damals bezeichnet wurden, verweisen auf interessante strukturelle Konstanten biowissenschaftlicher Wissensproduktion. Neben den in ihrer Zusammenstellung für anhaltende Spannung, ja Unterhaltung sorgenden historischen Details, Lebensgeschichten und Anekdoten ist die Studie aber auch in ihrer Analyse der Entstehungsbedingungen des Verjüngungs- und Schönheitskultes überzeugend. Und aufschlussreich für den Blick auf die zeitgenössische Sucht nach einem jugendlichen Körper. Nur ein Stichwort: Die Verjüngung, so fasst Stoff zusammen, versprach die Konstituierung eines neuen Subjekts, eines dauerhaft leistungsstarken Menschen und konstituierte erstmals ein "Recht auf optimale physiologische Lebensmöglichkeiten".
Uta Wagenmann war Mitarbeiterin des GeN und GeN-Vorstandsmitglied.