Rezension: Nanotechnologie

Vor gut vier bis fünf Jahren haben wir im Bonner Ak gegen Gentechnologie versucht, uns der sich schon damals in aller Munde befindenden Nanotechnologie begrifflich und theoretisch anzunähern. Wir wollten hinterfragen, welche Bedeutung sie für die Gesellschaft hat und ob sie ebenso als Destruktivtechnologie einzuschätzen sei, wie die Gen- oder die Atomtechnologie. Trotz vieler Versuche haben wir uns damals auf keine gemeinsame Einschätzung verständigen können, zu schwammig erschien uns der Begriff, zu unbestimmt und widersprüchlich die ökonomischen und gesellschaftlichen Folgen der Technologie. Studien über Studien, politische Programme und Start ups prägten damals - wie heute - das Bild, Nanobiotechnologie, Nanomedizin, Nanoelektronik, Nanomaterialforschung et cetera sind nur einige Stränge eines scheinbar in alle Richtungen diffundierenden Ansatzes, dessen ökonomisches Potenzial ungeheuer hoch eingeschätzt wurde und auch heute noch wird. Für die EU, die Bundesregierung und die Universitäten hatte die Vorsilbe „Nano“, ähnlich wie zuvor „Gen“, „Info“ oder „Bio“, Symbolcharakter für Innovationen, Forschungsgelder und Wirtschaftswachstum - Nanotechnologie sollte die Leitwissenschaft des 21. Jahrhunderts werden. Doch niemand konnte einem sagen, um was es sich denn nun handelt, bei der Nanotechnologie. Licht in die schwierige Diskussion bringt nun die Doktorarbeit von Joscha Wullweber, erschienen 2010 im Nomos Verlag, die sich dem Feld Nanotechnologie mit einem diskurs- und hegemonietheoretischen Ansatz nähert. Mit Hilfe der Arbeiten unter anderem von Ernesto Laclau & Chantal Mouffe, Antonio Gramsci sowie Niccos Poulantzas zeigt er auf, dass der „Begriff Nanotechnologie keine bestimmte Technologie oder Methode und auch keine bestimmte Anwendung oder bestimmtes Forschungsfeld beinhaltet“ (S. 17), sondern vielmehr über den Begriff, das Wort Nanotechnologie ein Zusammenhalt, eine gemeinsame Identität verschiedenster Entwicklungen konstruiert wird. Für Wullweber handelt es sich bei der Nanotechnologie um einen Leeren Signifikanten, in dem verschiedenste techno-politische und sozio-ökonomische Interessen (S. 17) gebündelt und diese somit um- und durchgesetzt werden können. In den Kapiteln zwei und drei entwickelt Wullweber seine poststrukturalistische Hegemonietheorie sowie das konkrete Untersuchungsinstrumentarium, um sich dem Feld der Nanotechnologie zu nähern. Diese, teilweise auf einem hohen theoretischen Abstraktionsniveau geführte Diskussion liefert Wullweber zunächst das ontologische Fundament für seine Untersuchung, welches dann, aufgefüllt mit regulationstheoretischen und staatstheoretischen Ansätzen sowie Theorien der Technikentwicklung, leitend für die empirische Analyse in den Kapiteln vier bis sechs ist. Anhand der US-Nanotechnologie Initiative aus dem Jahr 2000 (Vorläufer seit den 1980er Jahren) sowie der Nanotechnologiepolitik der EU (2000) und der BRD (ab zirka 1999) zeigt er im 5. Kapitel auf, wie dieser Leere Signifikant Nanotechnologie politisch wirkungsmächtig wird und gesellschaftliche Bedeutung erlangt. Abschließend befasst sich Wullweber noch mit den Governance-Strukturen des Nanotechnologie-Diskurses. Zunächst stellt er fest, dass sowohl in den USA als auch Europa der Diskurs um die Nanotechnologie in „ein gesellschaftliches Klima eingebettet ist, das der Nanotechnologie gegenüber tendenziell neutral bis positiv gegenüber steht“ (S. 299). Um ein Umschwenken dieser Stimmung in eine eher kritisch-ablehnende Haltung zu verhindern, wurden, im Gegensatz zu dem Diskurs um die Grüne Gentechnik, frühzeitig kritische Stimmen angefragt und einzelne Reaktionen gezielt zur Stabilisierung des hegemonial-strukturierten Diskurses genutzt. Dies ist, der Untersuchung Wullwebers zufolge, auch weitestgehend gelungen; nicht gelungen ist bis heute jedoch die Überzeugung weiter Teile der Bevölkerung von den Vorteilen der Nanotechnologie. Ob diese Strategie - Wullweber spricht von der „Strategie der legitimen Differenz“ (also der frühzeitigen Einbeziehung kritischer Aspekte und Organisationen zur Stärkung eines hegemonialen Projektes) - im Endeffekt erfolgreich sein wird, ist laut Wullweber noch offen, es sei schließlich das erste techno-politische „Großprojekt”, bei dem neue Governance-Strategien in größerem Umfang ausprobiert werden (S. 310). Das Buch ist eine spannende und intellektuell herausfordernde Lektüre für alle, die sich politisch/gesellschaftlich mit den Auswirkungen von Nanotechnologie(n) befassen und diese in ihrer gesamten Wirkungsmächtigkeit einschätzen wollen; sowie auch für diejenigen, die sich für (kritische) politische Theorien interessieren und sich gerne auf neues Terrain wagen.
Gregor Kaiser
Joscha Wullweber: Hegemonie, Diskurs und Politische Ökonomie. Das Nanotechnologie-Projekt. Nomos-Verlag 2010, 357 Seiten, 34 Euro, ISBN 978-3832951801.

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
201
vom September 2010
Seite 49

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