Rezension: Öffentliche Hegemonie

Die mediale Berichterstattung über Humangenomforschung wird stark von wissenschaftlichen Akteuren dominiert. Zu diesem Ergebnis kommen Jürgen Gerhards und Mike Steffen Schäfer, beide am Institut für Soziologie der Freien Universität Berlin, nach ihrer eingehenden Analyse der öffentlichen Diskurse über die Sequenzierung des menschlichen Erbguts in Deutschland und den USA. Ihre Studie stützt sich in erster Linie auf eine quantitative und qualitative Auswertung der Berichterstattung einschlägiger Publikumszeitungen sowie auf ergänzende Interviews mit den an der öffentlichen Debatte beteiligten Akteuren. Überraschend eindeutig stellte sich dabei heraus, dass ­ im Unterschied zur etwas stärker aufgefächerten Diskussion um die Stammzellforschung ­ wissenschaftliche Deutungsmuster und die damit verbundenen Heilsversprechen den Diskurs zur Humangenomforschung dominieren. Dies galt übrigens auch für die Diskussion im Internet. Dass vor allem die Fachwissenschaftler, einige Vertreter der politischen Exekutive und - besonders in den USA - Wirtschaftsakteure Raum für ihre Interpretationen und Positionen erobern konnten, liegt nach Ansicht der Autoren vor allem an der ungleichen Verteilung von Ressourcen: Organisationen der Zivilgesellschaft hatten "entweder kein Interesse" oder sie sahen sich "aufgrund mangelnder Ressourcen nicht in der Lage, professionalisierte Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben und sich entsprechend zu platzieren". Die Studie, frisch im Verlag für Sozialwissenschaften erschienen, lässt sich vor allem für die fundierte Untermauerung der qualitativen Ergebnisse nutzen ­ die Kernaussage ist zumindest für Menschen, die die Medienberichterstattung zum menschlichen Genom intensiv verfolgen und verfolgten, nicht besonders überraschend.

Erschienen in
GID-Ausgabe
176
vom Juni 2006
Seite 63

Monika Feuerlein ist freie Journalistin und arbeitete mehrere Jahre lang als Redakteurin für den Gen-ethischen Informationsdienst (GID).

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