Alles rechtens?
Seit Dezember 2012 ist in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen die PID zugelassen. Genaueres regelt die entsprechende Verordnung - theoretisch jedenfalls. Im Detail bleibt vieles offen. Der GID sprach mit der Medizinrechtlerin Tanja Henking über Möglichkeiten, Grenzen und Widersprüche bei der rechtlichen Codierung von Selbstbestimmung.
Frau Henking, das Angebot an reproduktionsmedizinischen Methoden erweitert sich kontinuierlich, auch in Deutschland. Erweitert sich damit auch die Möglichkeit zur Selbstbestimmung?
Ich habe zumindest Zweifel daran. Um diese größere Auswahl selbstbestimmt wahrnehmen zu können, braucht es ja Orientierung. Ich gehöre nicht zu denen, die sagen, ein Mehr muss gleich verhindert werden, ansonsten ist es eine Überforderung. Aber es muss mit mehr Information einhergehen und auch mit Beratung.
Im Medizinrecht ist der Begriff Autonomie ja eine wichtige Kategorie für die Vertretbarkeit von Eingriffen am Menschen geworden. Wie lässt sich Autonomie denn in der Praxis feststellen?
Das medizinische Autonomieprinzip verlangt zur Rechtfertigung eines Eingriffs die Einwilligung. Voraussetzung hierfür ist neben der Einwilligungsfähigkeit, dass die Entscheidung bewusst und freiverantwortlich getroffen wird. Dies gilt als gegeben, wenn ein informed consent, also eine aufgeklärte Einwilligung, vorliegt. Ob diese Voraussetzungen in der Praxis immer vorliegen, wäre zu hinterfragen und ist auch nicht immer leicht festzustellen. Man sollte sich aber auch fragen, welche Konsequenzen es hätte, wenn wir diese Einwilligungsfähigkeit grundsätzlich absprechen oder in Frage stellen - denn dann hätten wir ja eine ganze Reihe von Personen, denen die Fähigkeit abgesprochen wird, für sich selbst zu entscheiden. Da darf man die Anforderungen vielleicht auch nicht zu hoch ansetzen. Die Konsequenz wären dann womöglich lauter Stellvertreterentscheidungen. Und damit würden wir genau das Gegenteil von dem erreichen, was wir im Sinne einer selbstbestimmten Entscheidung fordern.
Kommen wir zur Präimplantationsdiagnostik (PID). Seit Dezember 2011 ist sie in Deutschland unter bestimmten Auflagen zugelassen. Inwiefern ging es den BefürworterInnen des Gesetzes denn um Selbstbestimmung?
Es gab schon das Argument, dass das Verbot der PID als Einschnitt in das Recht der Frau auf Reproduktion zu werten sei. Ich habe die Befürworterdebatte aber eher so erlebt, dass die zusätzliche Belastung der Frau im Vordergrund stand, wenn sie sich für eine Schwangerschaft auf Probe entschieden hat und dann später einen Schwangerschaftsabbruch durchführt. Da ging es auch um einen Wertungswiderspruch im Vergleich zur Regelung beim Schwangerschaftsabbruch.
Trägt diese Parallele denn? Beim Schwangerschaftskonflikt geht es doch um Selbstbestimmung über den eigenen Körper - bei der pränatalen Diagnostik und der PID dagegen um die körperliche des potentiellen Nachwuchses. Etwas provokativ formuliert, hier geht es womöglich um Fremdbestimmung. Wird die Rechtslogik damit nicht gebrochen?
Ich konnte diesen vermeintlichen Wertungswiderspruch im Vergleich zur PID auch nie wirklich nachvollziehen. Da sehe ich vielmehr einen Bruch in der Argumentation: Es geht bei der PID ja immer um eine Frau, die sich ein Kind wünscht. Das ist auf die Zukunft gerichtet, noch gar nicht existent. Beim Schwangerschaftsabbruch geht es um eine Frau, die sich möglicherweise ein Kind gewünscht hat, aber die sich aufgrund von bestimmten belastenden Umständen nicht in der Lage sieht, dieses Kind auszutragen. Da geht es darum, sie von der Pflicht zu entbinden, das Kind auszutragen. Bei der PID handelt sich um eine Laborsituation, die Frau hat sich vorher entschieden, welche Embryonen transferiert werden sollen und welche nicht. Eine persönliche Verbindung wie zum Kind im Mutterleib gibt es im Reagenzglas nicht, das überzeugt mich nicht. Es besteht eine besondere Tragik, wenn sich eine Frau vielleicht auch zu einem späteren Zeitpunkt der Schwangerschaft für einen Abbruch entscheidet, aber diese Situation ist in einer Laborsituation nicht antizipierbar, das ist eine wesentlich rationalere Entscheidung, wenn man vorher Kriterien festlegt.
Sie hatten ja schon gesagt, dass Beratung ein wichtiges Kriterium für eine selbstbestimmte Entscheidung ist. In der Rechtsverordnung zur PID-Anwendung ist Beratung aber gar nicht vorgesehen.
Die Rechtsverordnung hat sie nicht wirklich aufgegriffen, aber im Embryonenschutzgesetz (ESchG) als höherem Gesetz ist sie nach wie vor drin. Die Frage ist aber, wie so eine Beratung im Rahmen der PID aussehen soll und welches Ziel sie haben kann. Im Fall der PND leuchtet es im Sinne von Lebensschutz ein, der Frau aufzuzeigen, welche Möglichkeiten sie hat, ihr Leben zu gestalten. Aber wenn es um Lebensschutz-Ziele geht, dürfte die PID ja gar nicht durchgeführt werden. Es ist unklar, welches Ziel die Beratung hat, vielleicht hat man sich auch deshalb in der Verordnung darum gedrückt. Man müsste auch noch einmal grundsätzlich klären, wo passt Beratung im Kontext der PID eigentlich hin. Vielleicht geht es eher um das Gesamtsetting „Frau mit Kinderwunsch“; darum, dass möglicherweise ein Stück Autonomie verloren geht, wenn der Kinderwunsch so stark wird, dass gar nicht mehr gesehen wird, welche Belastungen mit einer Laborbefruchtung einhergehen und wie schlecht die Chancen stehen, schwanger zu werden. Vielleicht sollte man eher da ansetzen.
Dabei geht es ja auch um soziale Erwartungshaltungen. Die vermeintliche Selbstbestimmung entpuppt sich so möglicherweise als gefühlter Zwang zur Entscheidung, zum Beispiel für ein durchgechecktes Kind. Welche rechtlichen Möglichkeiten sehen Sie, solchem sozialen Druck entgegenzuwirken?
Recht hat durchaus die Funktion, dem entgegenzuwirken, und die PID-Gesetzgebung ist ja restriktiv. Aber der unterschwellige Druck entsteht eher in der Erwartungshaltung der Gesellschaft. Es ist wichtig, dass wir weiter darüber diskutieren und Wege finden, den Frauen zu vermitteln: Ihr könnt auch ein schwerbehindertes Kind auf die Welt bringen, denn die Gesellschaft unterstützt euch.
Nach geltender Rechtsverordnung entscheiden Ethikkommissionen, in denen vorwiegend MedizinerInnen sitzen, über die Zulässigkeit eines PID-Antrags. Man könnte sagen, sie entscheiden über die Grenzen des Wunsches auf reproduktionsmedizinische „Selbstbestimmung“. Ist dies nicht eine neue Form von medizinischem Paternalismus?
Das ist eine spannende Frage. Mich stört an den PID-Ethikkommissionen aber vor allem der Auftrag. So wie es im Moment aussieht, haben sie einen Prüfauftrag. Sie sollen prüfen, ob die Voraussetzungen, die das Gesetz vorgibt, alle erfüllt sind. Die klassische Aufgabe einer Ethikkommission ist aber die ethische Beratung und Bewertung - dafür gibt es hier gar keinen Spielraum. Da muss man sich sogar fragen, ob der Gesetzgeber hier nicht etwas völlig Neues geschaffen hat, und keine Ethikkommission.
Gerade im behinderungspolitischen Kontext gibt es ja auch die Vision, Schwäche und Abhängigkeit als Grundeigenschaft menschlicher Existenz anzuerkennen und wertzuschätzen. Sehen Sie rechtspolitische Räume, die solche Utopien stützen können?
Ich glaube, umso mehr wir Techniken zulassen, die auch einen selektiven Charakter haben, desto mehr müssen wir Rahmenbedingungen schaffen, damit kein gesellschaftlicher Druck entsteht, die Techniken nutzen zu müssen. Frauen sollten das Gefühl haben, dass sie die Entscheidung aufgrund einer persönlichen Situation und ihrer persönlichen Belastbarkeit treffen, und dass sie unterstützt werden, egal wie sie sich entscheiden. Und dass sie so eine Entscheidung eben nicht fällen, weil Druck von außen kommt. Aber das ist vielleicht auch eine Utopie.
Frau Henking, danke für das Gespräch!
Das Interview führte Monika Feuerlein.
Tanja Henking ist Fachanwältin für Medizinrecht.
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