Spiel mit dem Erbe der Menschheit

Einführung

Sammlungen von Pflanzensorten sind von der Verunreinigung mit gentechnischem Material besonders bedroht. Für die Pflanzenzüchtung sind die genetischen Ressourcen von existenzieller Bedeutung.

Die gentechnische Kontamination von konventioneller und ökologischer Landwirtschaft ist in den vergangenen Jahren zu einem der bestimmenden Teile der Diskussion über die Anwendung der Gentechnik in der Landwirtschaft geworden. Dies gilt in Deutschland, in Europa, aber auch weltweit. Das Problem, sicher nicht neu, wird auf verschiedenen Ebenen als solches erkannt, bei den betroffenen Landwirten mit Anbau von GVO in ihrer Nachbarschaft, beim Gesetzgeber, der sich an der Quadratur des Kreises versucht, und in der allgemeinen Debatte in der Öffentlichkeit. Nicht zuletzt durch den Freisetzungsversuch mit transgenem Weizen auf dem Gelände der Genbank in Gatersleben, Sachsen-Anhalt (1), ist das Problem noch einmal mehr als deutlich geworden. Sind die Bedrohung der Kontamination der eigenen Ernte und die damit verbundenen Maßnahmen und Kosten für einen "gewöhnlichen" Landwirt ärgerlich, nervtötend oder bedrohlich für die Existenz, geht es bei der potentiellen Verunreinigung des Materials einer Genbank um mehr. Der Begriff "Erbe der Menschheit" wird nicht selten für die Pflanzensorten bemüht, die in den Sammlungen schlummern. Gatersleben ist unter diesen Sammlungen ein besonderes Juwel, nicht nur weil es mit Abstand die größte Sammlung in Deutschland ist. Sie wird mit ihren Saatgutmustern von 148.000 verschiedenen Arten, Sorten und Varietäten zu den wichtigsten Genbanken weltweit gezählt.

Klage gegen gv-Weizen

Der Verein zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen in Brandenburg (VERN) hat gegen die Genehmigung des Versuches durch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) Klage erhoben, weil, wie VERN-Vorstandsmitglied Rudi Vögel im Interview in dieser Ausgabe des GID sagt, mit "absoluter Sicherheit" gewährleistet sein muss, dass das von der Genbank ausgegebene Material frei von transgener Verunreinigung ist. Es sei "nicht zu akzeptieren, dass die Institution, die für die Unversehrtheit der Sammlung Sorge zu tragen hat, gleichzeitig eine Freisetzung durchführt, die genau diese Unversehrtheit gefährdet", wohlwissend dass es sich um eine Debatte über das zu minimierende Restrisiko handelt. Besagte Forschungseinrichtung ist das Institut für Pflanzengenetik und Nutzpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben. Die Klage des VERN wird unter dem Motto "Ährensache ohne Gentechnik" (2) von einem breiten Bündnis von Personen und Organisationen getragen. Der Zusammenschluss, wie auch die mehr als 30.000 Menschen, die im vergangenen Jahr eine Einwendung gegen die Genehmigung des Freisetzungsversuches unterstützt hatten, fürchtet eine Gefährdung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit des Getreides und wirtschaftliche Konsequenzen für Erhaltungszucht und Bauern. Ähnliche Motive bewegen auch viele BäckerInnen und MühlenbetreiberInnen, die sich dem Bündnis angeschlossen haben. Wegen der möglichen ökonomischen Risiken, aber auch wegen der Risikohaftigkeit der Agro-Gentechnik an sich, sind die BäckerInnen besonders aktiv geworden: Sie haben mit Aufdrucken auf 1,3 Millionen Brottüten über den Freisetzungsversuch in Gatersleben informiert.

Pharmapflanzen in Gatersleben

Besonders prekär wird die Rolle des Standortes Gatersleben durch die so genannte Biotechnologie-Offensive des Landes Sachsen-Anhalt. Die Regierung in Magdeburg fördert seit einigen Jahren Gen- und Biotechnologie mit Pflanzen am Standort Gatersleben aktiv. Dazu zählt die Ansiedlung von Gentechnik-Unternehmen und die Gründung des Bioparks Gatersleben. Eine der Firmen, Novoplant, hat für 2007 ebenfalls einen Freisetzungsversuch mit gentechnisch veränderten (gv-) Pflanzen in Gatersleben beantragt. Hier sollen transgene Erbsen aufs Feld kommen. Andreas Bauer vom Umweltinstitut in München berichtet in diesem GID über das Sammeln von 75.000 Einwendungen gegen die Genehmigung dieses Versuches und zeigt zudem, dass die Novoplant, ob absichtlich oder nicht, offensichtlich ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat. Zum einen hat die Firma in den Antragsunterlagen eine wissenschaftliche Publikation unterschlagen. In ihr wird gezeigt, dass die Erbsen nicht in der Lage sind, die versprochene Wirkung bei der Bekämpfung von Durchfallerkrankungen junger Schweine zu erzielen. Zum anderen wird, wie Bauer ausführt, in den Antragsunterlagen die Gefahr der Auskreuzung heruntergespielt. Dieser Freisetzungsantrag (für den bei Redaktionsschluss die Entscheidung des BVL noch ausstand) wirft auch einmal mehr die Frage nach der Regulierung von so genannten Pharmapflanzen auf. In den USA ist die Debatte darüber bereits stärker in Gang gekommen. Allerdings wird die Notwendigkeit einer spezielleren Würdigung durchaus auch in Europa erkannt. In der EU gilt bisher die Freisetzungsrichtlinie (2001/18/EC), die mit keiner Silbe auf die Besonderheiten von Pharmapflanzen eingeht. Die EFSA, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, hatte schon vor einer Weile angekündigt, Leitlinien für den Anbau von Pharmapflanzen zu erarbeiten, was aber bisher nicht geschehen ist. Auch das Büro für Technikfolgen-Abschätzung des Deutschen Bundestages (TAB) hat eine entsprechende Forderung bei der Veröffentlichung seines Berichtes zu den transgenen Pflanzen der zweiten und dritten Generation ins Spiel gebracht. Das TAB betont dabei besonders, dass eine solche Regulierung "klar differenzierte Sicherheitsauflagen für den Anbau und die Verarbeitung von Pharmapflanzen" beinhalten müsse. Eine Zusammenstellung von Alice Claßen und Christof Potthof zum Thema findet sich in diesem Heft. Dass es verschiedene Strategien zur Erhaltung der biologischen Pflanzenvielfalt gibt, zeigt Resi Stenz mit ihrer Übersicht der verschiedenen Ansätze. In-situ-, Ex-situ- und On-farm-Erhaltung sind Begriffe für Konzepte, die nach Ansicht unserer Autorin nicht im Sinne eines "Entweder-oder", sondern eines "Sowohl-als-auch" miteinander verbunden werden müssen, um den Schutz zu gewährleisten.

Schutz im ewigen Eis

Einen ganz speziellen Schutzmechanismus stellt die Svalbard International Seed Vault auf Spitzbergen dar. Diese Genbank soll das Erbe der Menschheit, hier: die pflanzengenetischen Ressourcen bewahren. Vor Flut, Krieg, Verlust jeglicher anderer Art und eben auch vor der gentechnischen Kontamination sollen die Pflanzensorten dieser Welt geschützt werden. Auch gv-Pflanzen werden mit in die Sammlung aufgenommen. Da es im ewigen Eis aber nicht zur Aussaat, sondern nur zur friedlich-sicheren Verwahrung der Samen kommen soll, gehen die Betreiber davon aus, dass Fälle von Verunreinigung nicht zu erwarten sind. Alice Claßen stellt in ihrem Beitrag die Frage, ob die Einrichtung dieser Genbank nicht in erster Linie eine Art Warnschild ist. Wie ist es um die pflanzengenetischen Ressourcen bestellt, wenn mit größten Kraftanstrengungen gerade eine Sicherung von etwa 200 Jahren gewährleistet wird und es dabei gleichzeitig um Sorten geht, die seit Jahrtausenden von Mensch und Natur selektiert worden sind?

Transgene Samen verschickt

Andere Sammlungen haben es in Bezug auf ihre Gentechnikfreiheit nicht so leicht, sind sie doch durch Anlieferung neuer Sorten und die Notwendigkeit des Erhaltungsanbaus permanent von Verunreinigung bedroht. Die Gefahr der Verunreinigung gehört sozusagen zum Alltagsgeschäft der Genbanken. Das Rick Center der Universität des US-Bundesstaates Kalifornien hat in der Vergangenheit Pech gehabt. Mindestens sieben Jahre lang wurden unabsichtlich gentechnische Samen der FlavrSavr-Tomate verschickt, jener transgenen Tomatensorte, die in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts nur für ein paar Jahre auf dem Markt war. Wie sich 2003 herausstellte, hatte die mit etwa 3.500 Akzessionen auf Tomaten spezialisierte Genbank etwa 30 Saatgut-Proben mit transgenen Samen an mindestens 28 Adressen verschickt. Von zwei Schaugärten in England und in Äthiopien ist bekannt, dass die Samen dort auch ausgesät worden waren. Soweit es im Rückblick zu ermitteln war, ist das Problem durch eine Spende von Sorten an das Rick Center entstanden. Die mittlerweile zu Seminis Vegetables Seeds gehörende Petoseed Company (3) hatte die Samen verwechselt und unter einem falschen Namen an die Genbank gegeben. Allerdings ist nicht klar, ob Empfänger der transgenen Saat zum Beispiel mit den "falschen" Samen gezüchtet haben und es so zu der Verunreinigung von Pflanzenlinien gekommen ist. Aufgefallen ist die Geschichte, als Kollegen von einem anderen Institut der kalifornischen Universität ihrerseits mit den vom Rick Center erhaltenen Sorten gentechnische Veränderungen durchführen wollten.

Neue Strategien

Das Rick Center hat als Reaktion auf die Verunreinigung verschiedene Maßnahmen ergriffen, um in Zukunft einen vergleichbaren Fall zu vermeiden. Nach Auskunft von Roger Chetelat, Direktor und Kurator der Institution, werden neue Akzessionen auf das Vorhandensein von transgenen Elementen getestet. Auch vorhandene Sorten aus privatwirtschaftlichen Quellen wurden einem Test unterzogen. Allerdings sei es dem Center nicht möglich, alle eigenen alten Tomaten-Sorten zu untersuchen. Eine weitere Maßnahme ist der generelle Ausschluss von transgenen Tomatensorten aus der Sammlung. Der Erhaltungsanbau (seed increases) wird in Gewächshäusern gemacht, in denen keine gentechnisch veränderten Pflanzen stehen, beziehungsweise im Freiland, wo sie "so weit wie es geht" von transgenen Tomatenpflanzen getrennt werden. Auch enthält das "Material Transfer Agreement", eine Art Nutzungsvertrag für die abgegebenen Samen, nun einen Punkt, der besagt, dass die Verwaltung der Universität von Kalifornien die Gentechnikfreiheit der weitergegebenen Proben nicht garantieren kann. International hat sich das Genetic Resources Policy Committee (GRPC) of the Consultative Group On International Agricultural Research (CGIAR) (4) auf gemeinsame Prinzipien geeinigt, um der Gefahr des unbeabsichtigten Vorhandenseins von Transgenen in Ex-situ-Sammlungen zu begegnen.(5) Die etwa 15 Forschungszentren und Genbanken, die unter dem Dach der CGIAR gemeinsam mit einigen Staaten, internationalen und regionalen Organisationen und privaten Stiftungen zusammengeschlossen sind, sollen demnach die Initiative ergreifen und Schritte unternehmen, um das Risiko für die unbeabsichtigte Präsenz fremder Gene, inklusive der Transgene, in ihren Sammlungen zu ermitteln. Außerdem soll eine pflanzenspezifische gute fachliche Praxis für Genbanken (best practices) entwickelt werden, in der besonders kritische Punkte benannt werden. Dazu zählen die wesentlichen Vorgänge in einer Genbank wie der Erwerb, die Regenerierung, die Verteilung oder die Konservierung. Die Prinzipien erkennen allerdings an, dass es eine absolute Garantie nicht geben kann: Es sei unmöglich, jedes einzelne Samenkorn zu testen. Diese Erkenntnis ist weder falsch noch neu, aber sie ist bitter in Bezug auf Genbanken. An Züchterinnen und Züchter werden nicht selten nur 20 oder 30 Samenkörner weitergegeben. Damit kommt der Forderung nach der weitestgehenden Minimierung des Restrisikos eine noch stärkere Bedeutung zu. Auf besonders zynische Art hat die Leitungsebene des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit verstanden, dass - und wie - ein Restrisiko der Kontamination der alten Sorten in Gatersleben minimiert werden kann. Im Anschreiben zur Genehmigung des Freisetzungsversuches mit dem gentechnisch veränderten Weizen legt sie der Leitung der Genbank die Verlegung des Erhaltungsanbaus der alten Sorten an einen anderen Standort nahe.

  1. Zum Freisetzungsversuch mit gv-Weizen in Gatersleben siehe zum Beispiel in der letzten Ausgabe des Gen-ethischen Informationsdientes (GID) 180 den Artikel "Gatersleben: Genbank und GVO an einem Standort" von Thomas Fischer, Resi Stenz und Christof Potthof.
  2. Ährensache ohne Gentechnik im Netz unter: www.keine-gentechnik.de/aehrensache.
  3. Seminis (im Netz unter: www.seminis.com) ist nach eigenen Angaben der größte Anbieter von Gemüse-Saatgut weltweit. Im Jahre 2005 wurde die Firma vollständig von dem Gentech-Konzern Monsanto aufgekauft. Alle Firmen sind in den USA beheimatet.
  4. Etwa: Komitee für die Politik der pflanzengenetischen Ressourcen unter dem Dach der Beratungsgruppe für Internationale Agrarforschung. CGIAR im Netz unter: www.cgiar.org.
  5. Guiding Principles for the Development of Future Harvest Centres’ Policies to adress the Possibility of unintentional Presence of Transgenes in ex situ Collections. Im Netz unter: http://ipgri-pa.grinfo.net/media/1/Unintentional%….
Erschienen in
GID-Ausgabe
181
vom April 2007
Seite 4 - 6

Christof Potthof war bis Ende April 2020 Mitarbeiter im GeN und Redakteur des GID.

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