Unverantwortliche Versprechen
Der Vorsitzende der Enquete-Kommission "Ethik und Recht der modernen Medizin", René Röspel (SPD), über unverantwortliche Versprechen, unrealistische wirtschaftliche Erwartungen und die unabsehbare Zukunft der Bioethik.
Als im Februar 2004 die Nachricht von den ersten aus geklonten Embryonen gewonnenen Stammzellen aus Südkorea nach Europa kam, wurde überall von einem wissenschaftlichen »Durchbruch« gesprochen. Nun ist kürzlich der Gruppe um den Tierarzt Hwang angeblich schon wieder ein »Durchbruch« in der Stammzellforschung gelungen. Wie schätzen Sie solche Nachrichten ein, ist das nur Medienpolitik oder liegt in diesen Nachrichten eine Aufforderung, die auch Politiker hier zu Lande nicht ignorieren können?
Nachdem ich mir die Originalarbeiten angeschaut habe, kann man von einer klaren Verbesserung der Technik sprechen, aber nicht von einem Durchbruch. Die Forscher haben das Verhältnis zwischen eingesetzten Eizellen und gewonnenen Stammzellen optimiert. Die damit einhergehenden Heilungsversprechen werden nicht erfüllt, und das ist unverantwortlich gegenüber den betroffenen Kranken.
Die »Sensation« besteht also im effektiveren »Materialverbrauch«?
Genau, man hat ein Auto schneller gemacht, als es vorher war, aber dafür benötigt man noch keine andere Verkehrspolitik. Die grundsätzlichen ethischen Probleme bleiben dieselben. Man muss bei diesem Verfahren immer noch Embryonen herstellen, die man zu Forschungszwecken und für die Zwecke Dritter zerstört, das ist ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel. Medizinisch-wissenschaftlich bleibt nach wie vor ungeklärt, was eigentlich mit diesem neu hergestellten Konstrukt passiert. Wir haben bei Dolly gesehen, dass es nicht einfach ist, eine funktionierende Körperzelle in eine Eizelle zu verpflanzen. Wir wissen auch nicht genau, was bei der Versetzung des Zellkerns aus einer angestammten Umgebung in eine fremde passiert. Ungelöst ist weiterhin, woher die Eizellen kommen sollen. Für die von Hwang et al. im letzten Jahr gewonnene Stammzelllinie waren noch 242 Eizellen notwendig, dieses Verhältnis hat sich nun auf ca. 17 zu 1 verbessert. Selbst wenn man es auf 10 zu 1 brächte und das Versprechen, damit Parkinson behandeln zu können, sich bestätigen ließe, benötigte man bei 750.000 Parkinson-Erkrankungen in Deutschland etwa 7,5 Millionen Eizellen; bei nur einem Prozent müsste man immerhin noch 75.000 Eizellen beschaffen. Die kriegt man in Polen vielleicht billiger als in Deutschland, und in der Dritten Welt noch einmal billiger. Und einmal angenommen, es würde technisch alles klappen, wer könnte sich eine solche Technologie dann überhaupt leisten? Zellersatz durch Forschungsklonen ist ein sehr teures Verfahren. Die Versprechungen in Bezug auf Diabetes und andere Erkrankungen sind ohnehin nicht realistisch. Vielfach handelt es sich dabei um Autoimmunerkrankungen. In diesen Fällen lassen sich zwar die zerstörten insulinproduzierenden Zellen austauschen, aber wenn die neuen – egal ob über embryonale oder adulte Stammzellen hergestellt – eingepflanzt werden, würden diese genauso wieder zerstört. Richtiger Ansatzpunkt wäre die Bekämpfung der Ursache.
Hwang hat aus den 185 Eiern dieses Mal 11 Stammzelllinien erzeugt. Stammzellforscher sagen, dass weltweit 300 Zelllinien genügen würden, um sie mit »Material« zu versorgen. Wäre es da nicht ein Weg, diese 300 Zelllinien zu erzeugen und damit den Bedarf zu decken?
Zunächst glaube ich einem solchen Versprechen nicht. Wir haben diese Erfahrung in der Gentherapie und in Bezug auf die HIV-Bekämpfung gemacht. Auch da wurde gesagt, wenn bestimmte Mittel bereitgestellt werden, haben wir in fünf Jahren ein Mittel gegen die Krankheit. Mittlerweile sind aber 20 Jahre vergangen, ohne dass ein entscheidender Durchbruch gemacht worden wäre. Außerdem unterliegt die Sache mit den 300 Stammzellen auch einem logischen Fehler. Wenn der Vorteil des Forschungsklonens darin besteht, dass man die Erbinformation des Patienten in eine entkernte Eizelle überträgt und aus dieser Linie dann Zellersatz herstellt, um keine Abstoßungsreaktion auszulösen, muss die Stammzelle auch tatsächlich mit einem Zellkern des jeweiligen Patienten hergestellt werden. Die 300 vorhandenen Stammzellen nützen wenig, wenn 10.000 Patienten behandelt werden sollen. Selbst wenn man von Hauptklassen von Abstoßungsmolekülen ausgeht, geht der Vorteil des Forschungsklonens wieder verloren, weil man wie in der Transplantationsmedizin den richtigen Spender mit der richtigen Zelle zum richtigen Empfänger suchen müsste. Das löst das Problem nicht.
Die embryonale Stammzellforschung wird immer mit dem Versprechen verbunden, irgendwann den engen »Organmarkt« zu entlasten.
Ein Organ ist ein komplexes Gebilde. Eine Niere wächst in einer bestimmten Umgebung, im Wechselspiel von komplizierten Zelltypen, das ist im Labor nicht einfach herstellbar. Im Moment wird ausschließlich Grundlagenforschung betrieben, mit einer Ausnahme, den adulten Stammzellen, die seit 40 Jahren erfolgreich in der Knochenmarktherapie eingesetzt werden. Da wir nicht mit den zwei Milliarden Forschungsgeldern konkurrieren können, die Arnolt Schwarzenegger in die embryonale Stammzellforschung steckt, sollten wir uns unsere ethisch unproblematische und erprobte Variante der Stammzellforschung konzentrieren.
Die Hoffnungen auf die adulten Stammzellen haben sich in den letzten Jahre nicht unbedingt erfüllt. Zwingt nicht auch das zum Umdenken?
Sicher ist, dass die adulten Stammzellen nicht so flexibel sind, was aber wieder den Vorteil hat, dass sie nicht so anfällig für Krebsentartungen sind. Es gibt offenbar ein Interesse daran, die adulten Stammzellen schlecht zu reden, damit der Weg frei wird für die Forschung an ES-Zellen. Auf diesem Feld kann man schneller etwas erreichen, publizieren und Patente anmelden.
Die Kritiker des therapeutischen Klonens sehen die Gefahr, dass mit der Methode letztlich auch reproduktiv geklont werden könnte. Bislang gibt es – glücklicherweise – noch kein gelungenes Primaten-Experiment. Wenn, wie der Stammzellforscher Schöler behauptet, es eine technische Methode gäbe, das »Material« so zu programmieren, dass es sich nicht zu einem Embryo entwickeln kann, würde dann der Weg frei, das therapeutische Klonen in Deutschland freizugeben?
Grundsätzlich bleibt es ein Embryo, den man daran hindert, sich weiter zu entwickeln. Und grundsätzlich bleibt es bei einem Verfahren, bei dem man zu einem bestimmten Zeitpunkt entscheidet, ob man ihn in die Gebärmutter einpflanzt oder nicht. Und es gibt sicher Leute, die verrückt genug sind, eine Blastozyste eben auch in eine Gebärmutter zu verpflanzen.
Das wird auch ein Verbot nicht verhindern.
Aber wir müssen entscheiden, ob wir eine solche Möglichkeit auch noch beschleunigen wollen, indem wir die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen.
In den USA wird die ethisch problematische Stammzellforschung privaten Geldgebern überlassen, während Präsident Bush für eine weltweites Klonverbot eintritt.
In meinen Augen ist es völlig unglaubwürdig, ein internationales umfassendes Klonverbot zu fordern und auf der US-Bundesebene überhaupt keine Regelung zu haben. Da ist sogar das reproduktive Menschen-Klonen möglich.
In der Schweiz hat die Bevölkerung kürzlich die Stammzellforschung durchgewunken. In Großbritannien entscheidet nicht das Parlament, sondern eine Kommission – die HFEA – ganz pragmatisch über bioethische Fragen. Sollten in Deutschland derlei Entscheidungen auch delegiert werden, sei es auf die Stimmbürger oder ein Expertengremium?
Ich glaube, dass solche Entscheidungen beim Bundestag gut aufgehoben sind. Ich fürchte, dass, wenn zukünftige Heilungsversprechen zur Abstimmung stünden, das Ergebnis vorprogrammiert wäre. Das ließ sich auch bei der Abstimmung in der Schweiz beobachten. Zwar lesen sicher nicht alle Abgeordnete unsere Enquete-Berichte, aber die Diskussionen waren intensiv und finden auf einer anderen Ebene statt, als das in der Bevölkerung möglich ist. Großbritannien geht einen anderen Weg, aber ich finde, dass sich die parlamentarische Entscheidungsfindung in den letzten Jahren bewährt hat.
Derzeit gibt es Streit um das 7. Forschungsrahmenprogramm der EU, weil darin die verbrauchende Embryonenforschung nicht mehr explizit ausgeschlossen wird. Noch gibt es eine Mehrheit im Europäischen Parlament gegen diesen problematischen Forschungsbereich. Rechnen Sie damit, dass diese Front, die schon immer wacklig war, bald zerbricht?
Es wird wahrscheinlich darauf hinauslaufen, dass mit EU-Geldern Stammzellforschung betrieben wird, die hier zu Lande verboten ist. Man muss aber sehen, dass es sich nur um den Bruchteil des milliardenschweren Gesamtprogramms geht. Deshalb ist es auch nicht verständlich, weshalb die EU-Kommission nicht sagt, wir fördern bestimmte Bereiche gar nicht, das sollen die Nationalstaaten selbst finanzieren. Jedenfalls wird es für die Bundesregierung nicht einfacher, das Moratorium in Sachen verbrauchender Embryonenforschung zu verlängern.
2007 soll auch das Stammzellimportgesetz neu geprüft werden. Der Kompromiss, der im Januar 2001 gefunden wurde, wurde schon damals als inkonsequent kritisiert. Erwarten Sie Änderungen?
Ich sehe keinen Veränderungsbedarf. Seit drei Jahren gibt es das Gesetz, vor zweieinhalb gab es die ersten Importanträge, und die wissenschaftlichen Möglichkeiten mit den zur Verfügung stehenden Stammzelllinien sind noch lange nicht ausgereizt. Für therapeutische Zwecke werden diese Zellen ohnehin niemals anwendbar sein, weil aufgrund ihrer Herkunft nicht auszuschließen ist, dass sie kontaminiert sind. Aber für die grundlegende Forschung, in der es um Erkenntnisse über die Zellprogrammierung und ähnliches geht, reichen sie noch Jahre. Ich kann also nicht nachvollziehen, warum das Gesetz geändert werden sollte. Ob sich mit der Zusammensetzung des neuen Bundestages die Mehrheiten so ändern werden, dass das Gesetz modifiziert wird, kann ich nicht sagen. Ich stelle aber fest, dass sich die Kollegen aus dem Osten und aus der jüngeren Generation mit solchen Fragen leichter tun.
Ihre Kommission wurde vom vorzeitigen Ende der Legislaturperiode ebenso überrascht wie die gesamte Republik. Was habe Sie sich bis zur Sommerpause noch vorgenommen?
Wir werden einen Sachstandsbericht anfertigen, in dem wir offene Fragen und Desiderate als Empfehlungen an den nächsten Bundestag übergeben. Mehr wird nicht möglich sein.
Das Interview führte Ulrike Baureithel
René Röspel ist Biologie und seit 1998 Abgeordneter des Deutschen Bundestags. Bis 2005 war er Vorsitzender der Bioethik-Enquete, seither Mitglied im Parlamentarischen Beirat des Deutschen Bundestags für Fragen der Bioethtik in den Lebenswissenschaften.