Von der Schwangerenvorsorge zur Menschenzüchtung - Pränataldiagnostik und Reproduktionsmedizin am Scheideweg
"Wird es in Zukunft als unmoralisch gelten, die Geburt von Kindern mit gravierenden genetischen Defekten zuzulassen?" fragte James Watson, der berühmte Mitentdecker der DNA-Struktur, Ende September 2000 in der Frankfurter Allgemeinen unter der Überschrift "Warum wir Gott nicht mehr die Zukunft des Menschen überlassen dürfen." (1)
"Und können diese Kinder später rechtlich gegen ihre Eltern vorgehen, weil diese nicht verhindert haben, dass ihre Kinder mit nur einer kleinen Chance auf ein Leben ohne physisches und seelisches Leid auf die Welt kamen?" fragt Watson weiter und gibt selbst die Antwort: Weil Erbkrankheiten im Leben vieler Menschen erschütternde Tragödien anrichteten, "...wird es während der nächsten Jahrzehnte einen immer stärkeren Konsens darüber geben, dass Menschen das Recht haben, dem Leben erbgeschädigter Föten ein Ende zu setzen."
John Campbell, Neurobiologe aus den USA, erklärte 1998 auf einem Symposium zur Keimbahnintervention in Los Angeles: "...Eltern wollen voraussichtlich ihr Kind immer mit den neuesten und besten Fähigkeiten und Verbesserungen ausstatten, die möglich sind, statt sich auf die Chromosomen zu verlassen, die dieser Person ... über Generationen mitgegeben wurden. Es wird wichtig sein, nicht länger dieses Problem mit der Vererbung zu haben."(2)
Das Leitbild der neuen Biomedizin ist das "genetic enhancement engineering", am besten zu übersetzen mit "Herbeiführen der genetischen Verbesserung des Menschen". Dieses eugenische Leitbild der Biomedizin ist die Vision von der technischen Machbarkeit eines neuen Menschen: stabiler, gesünder, glücksfähiger, genetisch verbessert. Sie umfasst selektive Entscheidungen gegen bestimmte Menschenleben ebenso wie die aktive Verbesserung der Gene, wenn die biotechnische Entwicklung dies zulässt. In der Selektion unerwünschten Lebens, wie sie heute immer umfassender mithilfe der Pränataldiagnostik praktiziert wird, ist bereits die Option der aktiven Manipulation menschlichen Lebens enthalten. Diese sich verschärfende eugenische Praxis mit Hilfe der verschiedenen diagnostischen Methoden wird im Folgenden beleuchtet.
"So was ist ja heute nicht mehr nötig"
Zu den Alltagserfahrungen von Müttern behinderter Kinder gehören durchaus auch positive und unterstützende Reaktionen in der Umwelt, aber eben immer häufiger auch Äußerungen wie "So was ist ja heute nicht mehr nötig." Dies ist die Alltagsvariante des biomedizinischen Leitbildes des genetic enhancement engineering. Diese unselige Verquickung von Vorsorge für die Schwangere und selektiver Erfassung entwicklungsabweichender Embryonen und Föten, ja die Gleichsetzung von Schwangerenvorsorge und Verhinderung behinderter Kinder ist heute bis ins Alltagsbewußtsein vorgedrungen. Dabei handelt es sich um zwei verschiedene Dinge, um zwei Sichtweisen, ja, um zwei grundverschiedene Verständnisweisen von Medizin. Die Verquickung findet sich aber bereits in den "Richtlinien zur pränatalen Diagnostik" der Bundesärztekammer, wo neben der Früherkennung zur optimalen Behandlung der Schwangeren auch die "Hilfe bei der Entscheidung über die Fortsetzung oder den Abbruch der Schwangerschaft" angegeben wird.(3) Die Vermischung beider Anliegen geht bis in die Zielvorgaben der einzelnen Techniken. So werden für die 1. Ultraschalluntersuchung (im ersten Schwangerschaftsdrittel) sowohl Lokalisation, Vitalität, und Altersbestimmung des Embryos als Ziele angeben also Ziele, die der Verbesserung der Betreuung, dem Ausschluss von Notsituationen und der Minimierung der Übertragungsrisiken dienen als auch die Erkennung der frühen Organentwicklung, die dem selektiven Fehlbildungsausschluss und zunehmend der Risikoermittlung dient, wie auch die seit nun mehr drei Jahren praktizierte Routinediagnose eines Nackenödems als Indikator für Down-Syndrom zeigt. Der Trend geht zu niedrigschwelligen Risikodiagnostika, die wie die Nackenödemdiagnostik in die bestehende Routineuntersuchung lautlos integriert werden, oder die wie der 1988 eingeführte Triple-Test - leicht in den Rahmen der Routinevorsorge eingeführt werden kann. Immer mehr Schwangerschaften werden dadurch unabhängig vom Alter der Schwangeren zu Risikoschwangerschaften erklärt. Dieser Trend wird sich durch die noch an der Schwelle zur Anwendungsreife stehenden, preiswerten und leicht zu handhabenden DNA-Chips in absehbarer Zukunft weiter verstärken.(4) Weil aber diese Methoden entweder nur Wahrscheinlichkeitsaussagen über genetische Abweichungen treffen oder eine hohe Rate falsch-positiver Ergebnisse aufweisen, sind sie die Einstiegspforte zur immer breiteren Anwendung invasiver selektiver Diagnostika wie Chorionzottenbiopsie und Amniozentese.Der Anfang: Pränataldiagnostik nur als Ausnahme
Konzeptionell standen 1976, als die Pränataldiagnostik (PND) in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherungen aufgenommen wurde, folgende Aspekte im Vordergrund:- Beschränkung auf bestimmte Diagnosen, anfangs Chromosomenstörungen (numerische, aber auch strukturelle), wenig später Neuralrohrdefekte,
- Beschränkung auf bestimmte Nutzerinnengruppen: Frauen mit hohem genetischen Risiko und Frauen ab 38 (später 35) Jahre,
- Einhaltung besonderer Qualitätsstandards (Beratung vor und nach jeder PND)
- Ausweitung durch Nachfragedruck Untersuchungen zu Beginn der 80er Jahre zeigen, dass insbesondere jüngere Frauen, oft aus gehobenen Bildungsschichten und gut informiert, gleich nach Einführung der PND diese zunehmend für sich beanspruchten und die Altersgrenze nicht akzeptierten. Sehr früh entstand hieraus die Anerkennung einer "psychologischen Indikation" zur PND. Bei ihr war unabhängig vom Alter und dem tatsächlichen genetischen Risiko allein die Angst, ein behindertes Kind zu bekommen, für den Einsatz einer invasiven PND entscheidend. Dieser psychologische Faktor und sicherlich auch das Kostenerstattungsverhalten der Kassen erklären im wesentlichen die Ausweitungen zwischen 1976 und 1982.(5)
- Ausweitung durch Abwendung haftungsrechtlicher Rückgriffe Nach einem Urteil des BGH von 1984 begeht ein Arzt einen Pflichtverstoß, wenn er eine schwangere Frau mit einem erhöhten Risiko nicht auf die Möglichkeit der PND zum Ausschluss einer Trisomie 21 hinweist, - ein Pflichtverstoß, der auch zum haftungsrechtlichen Rückgriff auf den Arzt führen kann. Dieses Urteil führte zu einer weiteren großen Ausweitung invasiver Verfahren der PND, insbesondere auch zur weiteren Aufweichung der medizinischen Indikation, weil viele Mediziner jetzt zur PND auch außerhalb der strengen Indikationen rieten.
- Ausweitung durch angebotsinduzierte Nachfrageerhöhung Die größte Ausweitung der Inanspruchnahme erfolgte allerdings durch die erwähnte Integration niedrigschwelliger Routinediagnostika wie Triple-Test und Routinediagnostik eines Nackenödems in die Schwangerenvorsorge.
Die Folge: Eugenik von unten
Fragt man nach harten Zahlen, stößt man auf ein auffälliges Vakuum. "Gesonderte Daten über Schwangerschaftsabbrüche nach pränataler Diagnostik liegen nicht vor", heißt es lapidar von der Bundesregierung in der entsprechenden Bundestags-Drucksache vom Mai 1999.(7) Und weiter: "Die geltende Rechtslage sieht keine Regelung des Schwangerschaftsabbruchs nach pränataler Diagnostik' vor". So einfach kann man es sich machen und einen offensichtlichen Zusammenhang verleugnen, nur weil er im Gesetz nicht vorgesehen ist.(8) In derselben Drucksache der Bundesregierung werden dann aber einige der wenigen einschlägigen "Erfolgsdaten" der selektiven pränatalen Diagnostik veröffentlicht. Die Zahl der Neugeborenen mit Spina bifida hat sich danach in den Jahren 1973 bis 1990 von 18,6 auf 100.000 Neugeborene auf 7,7 verringert; die Zahl der Neugeborenen mit Down-Syndrom im gleichen Zeitraum von 13,5 auf 8,7. Diese Zahlen müssen vor dem Hintergrund interpretiert werden, dass hier auch andere Ursachen eine Rolle spielen, wie beispielsweise im Bereich der Spina bifida die wachsende Prävention durch Einnahme von Folsäure während der Schwangerschaft. Zum anderen ist die Meldebasis nicht einheitlich. Bei aller gebotenen Vorsicht belegen diese Zahlen aber einen bedenklichen Trend, der sich auch in internationalen wie auch in regionalen Studien abbildet.(9) Mag man auch den einzelnen Anbietern und Nutzern keine eugenischen Motive unterstellen, die eugenischen Folgen des Gesamtunternehmens Pränataldiagnostik sind nicht zu leugnen. Mit der Neuregelung des § 218 fiel die embryopathische Indikation weg, also die Möglichkeit, aufgrund einer Schädigung des Embryos eine Abtreibung vorzunehmen. Was auf den ersten Blick als großer Fortschritt erscheint, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als wahrer Pyrrhussieg. Offiziell heißt es zwar, die bloße Tatsache einer festgestellten Erkrankung, Entwicklungsstörung oder Anlageträgerschaft eines Kindes für eine Erkrankung sei keine Rechtfertigung für den Schwangerschaftsabbruch.(10) Faktisch hat die alte embryopathische Indikation in der sozialmedizinischen Unterschlupf erhalten. Hier setzt nun die Diskussion um die Präimplantationsdiagnostik an.Wenn schon, denn schon
Warum sollte ich die Frage nach schweren Erbkrankheiten stellen dürfen, wenn der Embryo im Mutterleib eingenistet ist, aber nicht, wenn er sich noch im Reagenzglas befindet?" fragte die gerade neu gekürte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt Anfang des Jahres 2001 in der Berliner Zeitung.(11) Und ihre Kabinettskollegin Edelgard Bulmahn gab wenige Tage später in der Berliner Morgenpost zu Protokoll, sie könne es nicht verstehen, "warum bei normal gezeugten Embroys erbgeschädigter Eltern solche Tests erlaubt sind, nicht aber bei künstlich befruchteten Eizellen im Reagenzglas."(12) Die Wende in der Diskussion um die Präimplantationsdiagnostik, die sich bis dahin durch Differenziertheit und Offenhalten durch die bisherige grüne Gesundheitsministerin Andrea Fischer ausgezeichnet hatte, war damit eingeleitet. Der Berliner "Tagesspiegel" nannte das einen "rapiden Niveauverlust" und den Versuch, die H-Moll-Messe von Bach auf der Mundharmonika zu spielen. Die Präimplantationsdiagnostik (PID) als vorverlegte Pränataldiagnostik zu verstehen und sie mit der Notlage nach §218 zu vergleichen, ist nicht neu. Schon in den "Zehn Thesen zur Präimplantationsdiagnostik", die Rudolf Neidert und Albert Statz 1999 für das Bundesgesundheitsministerium vor dem Diskussionsentwurf der Bundesärztekammer und vor dem Symposium der grünen Gesundheitsministerin erarbeitet haben, heißt es, dass es ein Widerspruch sei, einen Schwangerschaftsabbruch nach pränataler Diagnostik als zulässig anzusehen, das "Verwerfen" eines geschädigten Embryos vor der Implantation aber als unzulässig. (13, 14, 15)Vergleich von Unvergleichlichem
Die Popularisierung dieses Gedankens durch die Ministerinnen macht eines deutlich: Die eugenische Indikation des § 218 wurde abgeschafft, aber es wurde dadurch nichts erreicht. Der allgemein bekannte Umstand, dass eugenische Motive seither im Gewande der medizinischen Indikation weitergeführt werden, wird durch ministerielle Aussagen dieser Art soweit aus ihrem labilen, gesellschaftlich hingenommenen Zustand gerissen, dass die ansonsten gerade von der SPD so gemiedene, neue §218-Debatte überfällig wird. Noch schwerer wiegt aber, dass die Gleichsetzung der Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch mit der Entscheidung zum extrauterinen Töten eines Embryos nicht möglich ist. Handelt es sich beim einen um eine Situation, in der das Kind ein Teil der Frau ist und mit ihr eine leib-seelische Einheit bildet, handelt es sich beim anderen um eine künstlich erzeugte Trennungssituation, in der Frau und Embryo keine leibliche und in den überwiegenden Fällen auch keine seelische Verbindung haben. Dieses Unvergleichbare lässt sich auch juristisch ausdrücken: Während der straffreie Abbruch der Abwehr einer zukünftigen, als unerträglich empfundenen Belastung dient, würde die Verwerfung eines Embryos im Rahmen der PID nur der zielstrebigen Verfolgung eines Anspruchs auf ein bestimmtes Kind dienen. Von einer Notlage, die durch kein anderes Mittel abzuwenden ist, kann keine Rede sein. Unter diesem Blickwinkel ist auch die Formulierungsanleihe des Diskussionsentwurfs der Bundesärztekammer beim § 218 zu beachten, in dem es heißt, dass die PID nur in den Fällen erfolgen soll, wo die erwartete genetische Erkrankung des Kindes zu einer "schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigung der zukünftigen Schwangeren bzw. Mutter" führen könnte.(16) Und in diesem Zusammenhang ist auch die Idee der großen Koalition von alten und neuen Befürwortern zu sehen, die eine Regelung "rechtswidrig, aber straffrei" anstreben und sich dabei auf das Konfliktmodell des §218 berufen.(17) Die PID kann nicht zur Abwehr einer Schwangerschaftskonfliktlage herangezogen werden. Die Konfliktlage während einer unerwünschten Schwangerschaft kann nicht mit der Situation von Paaren gleichgesetzt werden, die ein genetisches Risiko haben und dieses bei ihrem Kinderwunsch ausschließen wollen. Dabei soll nicht behauptet werden, dass letzteres keine persönlich sehr schwierige und belastende Situation sein kann. Doch handelt es sich um eine andere Situation als eine Schwangerschaftskonfliktlage, so dass auch alternative Lösungen wie Verzicht, Adoption oder Samenspende zur Verfügung stehen. Hinzu kommt die grundsätzliche Fragwürdigkeit einer zweiten oder gar mehrfachen Anwendung der Gedankenfigur "rechtswidrig, aber straffrei". Wird sie ihrer Singulariät beim §218 beraubt, könnte sie leicht zur willfährigen Beugestrategie von Rechtsnormen werden. Ebenso könnte sie, wie das Beispiel der Euthanasiegesetzgebung in den Niederlanden zeigt, nur ein Übergangsstadium zur Aufhebung von Rechtsnormen sein. Dort war dem 2001 beschlossenen Gesetz seit 1994 eine "verboten, aber straffrei"-Regelung vorangegangen. Sie mündete genau mit dem Argument in das neue Gesetz, endlich rechtliche Eindeutigkeit zu schaffen.Präimplantationsdiagnostik und der Status des Embryos
Die wesentliche ethische Frage, die die Befürworter der PID beantworten müssen, lautet allerdings, ob es überhaupt vertretbar ist, menschliches Leben, nur weil es genetisch abweicht, anders ist oder unerwünscht erscheint, zu töten oder, wie es in der Sprache der neuen Biomedizin heißt, zu "verwerfen". Auf politisch-gesellschaftlicher Ebene werden moralische Normen durch Rechtsnormen repräsentiert und fixiert. Dies geschieht im Hinblick auf die frühen Stufen menschlichen Lebens vor allem im Embryonenschutzgesetz. Würde die PID erlaubt, hätte dies zwei weitreichende Folgen:- zum einen würde das alte eugenische Motiv, das in der Debatte um die Reform des § 218 überwunden schien, unverhohlen wiederauferstehen die Tötung eines PID-geprüften Embryos fände aus keinem anderen Grund als dem seiner unerwünschten genetischen Ausstattung statt,
- zum anderen würde der verfassungsmäßige Schutz revidiert, der dem extrauterinen Embryo als besonders gefährdetem Leben durch den Gesetzgeber im Embryonenschutzgesetz zuerkannt wurde.
Ein bisschen Präimplantionsdiagnostik?
Eine weitere entscheidende Frage, die die Befürworter der PID beantworten müssen, ist aber dann, wie die stets betonte Eingrenzung auf wenige Risiokogruppen mit bestimmten Diagnosen und auf hohe Verfahrensstandards in ihrer Restriktion zu halten sein sollen. Der Diskussionsentwurf der Bundesärztekammer, der die Diskussion beherrscht, fordert die Zulassung der PID eng beschränkt auf Paare mit einem hohen Risiko für eine bekannte und schwerwiegende genetisch bedingte Erkrankung (nach derzeitigem Kenntnisstand: monogen bedingte Erkrankungen und Chromosomenstörungen), wobei Schweregrad, Therapiemöglichkeit und Prognose der in Frage stehenden Krankheit entscheidend sein sollen. Erkrankungen, die sich erst in einem höheren Lebensalter manifestieren, sollen, da davor ein symptomfreies Leben möglich ist, von der PID ausgeschlossen werden. Es soll keinen Diagnosekatalog geben, sondern Einzelentscheidungen durch ein Gremium der Bundesärztekammer. Hans Hepp, einer der Verfasser des Diskussionsentwurfs der Bundesärztekammer, betont stets, er würde sich von seinem eigenen Entwurf distanzieren, wenn ihm nachgewiesen werden könnte, dass die Einschränkungen in der Praxis nicht zu halten seien. Die Frage, ob hier ein Tor geöffnet wird, das nicht durch Missbrauch, sondern durch die innere Logik der absehbaren Entwicklung von Nutzer-Ansprüchen und Technikverbesserungen nicht mehr zu schließen sein wird, beantwortet er schlicht mit der Behauptung, die Einschränkungen würden genau dies verhindern.Ausweitung der PID ist vorprogrammiert
Ein Lehrbeispiel für die Haltlosigkeit solcher Versicherungen ist die Geschichte der Pränataldiagnostik in den letzten 25 Jahren. Es bedarf keiner großen Phantasie, eine solche Entwicklung auch bei der PID vorauszusehen.- Die erste Ausweitung bestünde wahrscheinlich darin, dass die künstliche Befruchtung (IVF), die bisher nur zur Überwindung der Unfruchtbarkeit zugelassen ist, von dieser Bindung entkoppelt wird und bei fertilen Paaren eingesetzt wird, die sie zum Ausschluss eines genetischen Risikos ihres Kindes nutzen wollen. Damit stünde die IVF einem neuen Nutzerinnenkreis offen und die Frage wird sein, ob die vorgeschlagenen Begrenzungen dieses Kreises zu halten wären.
- Wie eindeutig ist eine Kategorie wie der "Schweregrad" einer genetisch bedingten Erkrankung bei der Beschränkung der PID? Alle Erfahrungen und Untersuchungen auf diesem Gebiet zeigen, dass die Meinungen der Mediziner, der Angehörigen und der Betroffenen dazu sehr weit auseinander gehen. In der Behindertenhilfe besteht ein breiter Konsens darüber, dass das Down-Syndrom eine Behinderung ist, die mit einem zufriedenen und erfüllten Leben gut vereinbar ist, wenn wir nur die richtige Unterstützung dazu bieten. In der Pränataldiagnostik wird das Down-Syndrom heute aber überwiegend als so schwerwiegend beurteilt, dass mit der Beeinträchtigung der Mutter der Abbruch gerechtfertigt wird.
- Wie soll der geplante Ausschluss "spät manifester Erkrankungen" gehalten werden, wenn Mukoviszidose als "früh manifeste Erkrankung", deren Verlauf mithilfe der genetischen Diagnose aber nicht abschätzbar ist, zugelassen ist, die spät manifeste Huntington-Krankheit jedoch nicht, die nach bisherigem Wissen immer zum Ausbruch kommt und stets tödlich verläuft?
- Mit welcher Begründung soll, wenn Huntington als spät-manifeste, aber tödliche Erkrankung zugelassen würde, die PID für Frauen mit einem zu 50 Prozent genetisch bedingten Brustkrebsrisiko ausgeschlossen werden?
- Wie soll mit Zusatzbefunden umgegangen werden? Sollte bei der PID auf Mukoviszidose, bei der im Nebenbefund auch ein Down-Syndrom festgestellt wird, dieser Embryo in die Mutter transferiert werden? Das erste gerichtliche Verbot dieser Vorgehensweise ist absehbar, da das Down-Syndrom wenige Monate später wiederum in Gestalt der mütterlichen Belastung ein akzeptierter Abtreibungsgrund ist. Ist das erste Gerichtsurteil dieser Art da, folgt eine weitere Ausdehnung: Wenn PID, dann auf alle zu diesem Zeitpunkt feststellbaren genetisch bedingten Behinderungen. Also: Wenn PID, dann Screening.
- Nutzerinnen aber, die lediglich ein Down-Syndrom ausschließen wollen, aber keine schwere genetische Belastung als Eingangsvoraussetzung für PID nachweisen können, werden sich dann ungleich behandelt fühlen und klagen. PID wird zur Standardmethode bei der IVF werden.
"Working to solve genetic puzzles for the future"
Mit einem solchen Slogan werben US-amerikanische PID-Anbieter im Internet. Diagnosebeschränkungen haben dort keinen Bestand mehr. Schwerwiegende genetische Störungen finden sich in diesen Angebotskatalogen ebenso wie behandelbare Stoffwechselerkrankungen, genetische Abweichungen, die mit einem guten Leben vereinbar sind, wie das Down-Syndrom, ebenso wie genetische Krebsdispositionen. Es verwundert deshalb auch nicht, dass in den USA der Bogen noch etwas weiter gespannt wurde: Am 29. August 2000 wurde im US-Staat Colorado Adam Nash geboren, ein Junge, der auf Grund einer PID unter 14 möglichen Embryonen ausgesucht worden war und nur deshalb geboren wurde, um mit seinen Blutzellen seiner sechs Jahre älteren, an der Knochenmarkskrankheit Fanconi erkrankten Schwester das Leben zu retten. Erschreckt stellen daraufhin auch Bioethiker fest, dass damit eine ethische Grenze überschritten worden ist. So zum Beispiel Jeffrey Kahn, Direktor des Center for Bioethics der University of Minnesota: "Wir haben einen Embryo nach Merkmalen ausgewählt, die nicht das beste für ihn sind, sondern für jemand anderen."(18) PID, das zeigt sich hier bereits, hat eine Scharnierfunktion: Wir betrachten sie in der derzeitigen Debatte noch weitgehend als besondere Methode der pränatalen Diagnostik im Rahmen der assistierten Fortpflanzung. PID ist aber gleichzeitig der Einstieg in die Auswahl zweckbestimmter Embryonen. Sie schafft die Voraussetzung für Verfahren zur genetischen Veränderung von Embryonen und zur Keimbahnintervention. PID zieht "preimplantation genetic intervention" (PGI) nach sich. Gleichzeitig ebnet sie den Weg für die verbrauchende Embryonenforschung. Sie tut dies nicht nur ideologisch, da die "Verwerfung" in der Petrischale den verbrauchenden Umgang mit menschlichen Embryonen enttabuisiert. Sie tut dies auch ganz praktisch, da PID nur effizient eingesetzt werden kann, wenn mehr als drei Embryonen erzeugt werden. PID führt somit unweigerlich zur Erzeugung jener "überzähligen" Embryonen, die in der embryonalen Stammzellforschung so begehrt sind.Kein Schutz vor Missbrauch
Wer heute für die PID eintritt, muß wissen, dass Restriktionen wie die der Bundesärztekammer vor diesen Optionen in keiner Weise schützen. Nicht weil die Menschen kriminellen Missbrauch betreiben - niemand wird behaupten wollen, dass die bekannten und hier dargestellten Ausweitungen der PND auf Grund erhöhter, psychologisch bedingter Nachfrage oder auf Grund vereinfachter Anwendungsmöglichkeiten Missbrauch seien. Ebenso sollte sich jeder PID-Befürworter davor hüten, die absehbaren Ausweitungen der PID als Missbrauch abzutun. Es wäre dies eine Verkennung der durch die Geschichte der PND bekannten Dynamik, die der genetischen Diagnostik und ihrer Akzeptanz in der Gesellschaft innewohnt. Von Missbrauch kann nur die Rede sein, wenn es eindeutige Kriterien für den angemessenen Gebrauch gibt. Solche Kriterien gibt es aber bei biomedizinischen Techniken wie der PID nicht. Sie verfügen nicht über natürliche Grenzen ihrer Anwendung, sondern vielmehr über eine inhärente Tendenz zur Ausnutzung alle technisch gegebenen Möglichkeiten. Man kann nicht jemandem ein Raumschiff geben und ihm sagen, er solle damit nur auf der Startbahn herumfahren, und von Missbrauch sprechen, wenn er dann doch in den Weltraum starten will. In einer Gesellschaft, in der die Geburt eines behinderten Kindes zunehmend als vermeidbare Panne pränataler und in Zukunft vielleicht präimplantativer Diagnostik angesehen wird, wird die Bereitschaft zur Integration von Menschen mit Behinderung notgedrungen immer brüchiger. Watsons Vision, dass es in Zukunft als unmoralisch gelten wird, die Geburt von Kindern mit genetischen Abweichungen zuzulassen, rückt Stück für Stück näher. Der rasanten Entwicklung im Bereich der Pränataldiagnostik und der drohenden Zulassung der Präimplantationsdiagnostik kommt dabei eine entscheidende Bedeutung zu. PID eröffnet eine neue Dynamik, die den Sprung von der negativen Eugenik der Selektion zur positiven Eugenik des "genetic enhancement engineering" und dem Desiger-Baby ermöglicht.- Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.9.2000.
- Summary Report, Engineering the Human Germline Symposium, http.//www.ess.ucla.edu://huge/ report.html, Seite 14 ("...a parent will presumably want to endow his or her child with the newest and the best modfications and improvements that are possible, insteat of relying on the chromosome thar was given to that person, to the parent, a whole generation ago. So, it'll be important not to have this problem of inheritance.")
- Richtlinien zur pränatalen Diagnostik von Krankheiten und Krankheitsdispositionen. Dt. Ärzteblatt 1998; 95: A-3236-3242.
- vgl. Hennen, Leonhard: Datengewinn kennt kaum noch technische Barrieren. Gen-ethischer Informationsdienst (GID) 134, 9/99, Seite 6-7.
- Die "Psychologische Indikation" spielt aber bis heute eine wesentliche Rolle. Nach Schätzung des Hamburger Humangenetikers Karsten Held macht der Anteil der Fälle, bei denen PND auf Grund nachgewiesener familiärer Risiken angewandt wird, nur noch 3 % aller Indikationen aus, in nur weiteren 2 % handelt es sich um Familien, in denen bereits ein Kind mit einer Chromosomenabweichung geboren wurde.
- Nippert, Irmgard u.a.: Die medizinisch-genetische Versorgung in Deutschland. In: Med. Genetik, 2/1997, Seiten 201-202.
- Bundestagsdrucksache 14-1045 vom 10.5.1999, Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage von Hubert Hüppe u.a., Spätabtreibung ungeborener Kinder, die Abtreibung überlebende Kinder, Übergang zur Früheuthanasie, staatliches Schutzkonzept, Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht.
- Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1993, das die Grundlage für die Änderung des § 218 im Jahre 1995 war, erlegte der Bundesregierung eine "Korrektur- und Nachbesserungspflicht" auf, die bisher durch fehlende Erfassung offensichtlich sträflich vernachlässigt wird.
- Nach dem Monitoring Zentrum zur Erfassung der Häufung von Fehlbildungen und Anomalien in Sachsen-Anhalt wurden in den 80er Jahren in dieser Region lediglich 10 % der Föten mit Trisomie 21 pränatal diagnostiziert und dann abgetrieben, 1997 40 %, ebenfalls mit Abtreibungsfolge.
- Vgl. Bundesärztekammer: Erklärung zum Schwangerschaftsabbruch nach Pränataldiagnostik. Dt. Ärzteblatt 1998; 95 A-3013-3016; und Bundestagsdrucksache 14-1045, in der es heißt: "Eine den Abbruch rechtfertigende Indikation nach § 218a Abs. 2 StGB liegt nur dann vor, wenn der Schwangerschaftsabbruch unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der schwangeren Frau nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der schwangeren Frau abzuwenden, und diese Gefahr nicht auf andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann."
- Neue Verbote machen keinen Sinn Gesundheitsministerin Schmidt lehnt eine voreilige Begrenzung der biotechnologischen Forschung ab. Berliner Zeitung, 3./4.2.2001.
- Buhlmahn öffnet sich für Gentest im Reagenzglas. Berliner Morgenpost, 11.2.2001.
- Neidert, Rudolf, Statz, Albert: Zehn Thesen zur Präimplantationsdiagnostk. In: Ethik in der Medizin, 1999, Heft 11, 132-135
- Bundesärztekammer: Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik. Deutsches Ärzteblatt Jg. 97, Heft 9/2000.
- Symposium "Fortpflanzungsmedizin in Deutschland" des Bundesgesundheitsministeriums vom 24. Bis 26. Mai 2000 in Berlin.
- Bundesärztekammer: Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik, Deutsches Ärzteblatt Jg. 97, Heft 9/2000.
- Zu der Allianz der Befürworter gehören u.a. Jürgen Rüttgers (CDU) "Embryonenschutz mit Indikationslösung", vgl. Frankfurter Rundschau, 26.3.2001, Margot von Renesse (SPD) und vorübergehend auch Andrea Fischer (Bündnis 90/Die Grünen), vgl. "Was kann, was darf der Mensch?", Die Zeit Nr. 14, 29.3.2001
- zitiert nach Berliner Morgenpost vom 5.10.2000.
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