Gekaufte Wahrheit

Ein Film über Wissenschaftler, Gentechnik und Konzernmacht

Ein Film über zwei Wissenschaftler, die Agro-Gentechnik, Konzernmacht und -einfluss.

Bertram Verhaag macht mit seinem neuen Film „Gekaufte Wahrheit - Gentechnik im Magnetfeld des Geldes“ an einer Stelle weiter, an der sein Film „Leben außer Kontrolle“ 2004 endete. Damals stellte der norwegische Wissenschaftler Terje Traavik eine These in den Raum - nur fünf Prozent der Wissenschaftler, die im Bereich Gentechnik arbeiten, könnten als wirklich unabhängig bezeichnet werden -, mit der er auf spektakuläre Art Fragen aufwirft. Für Verhaag ergaben sich aus dieser These insbesondere solche Fragen, die nach Wegen demokratischer Kontrolle suchen. Dabei geht es ihm um die Kontrolle der Wissenschaft, aber vor allem um die Kontrollierbarkeit der auf die Wissenschaft aufbauenden Agro-(Gentechnik-)Industrie. Nicht zuletzt ist auch der Einfluss dieser Industrie auf die Wissenschaft Verhaags Thema.

Kampagnen zur Diskreditierung

In „Gekaufte Wahrheit” werden in erster Linie zwei Wissenschaftler portraitiert: Árpád Pusztai und Ignácio Chapela. Beide waren vor mittlerweile mehr als zehn Jahren mit der Agro-Gentechnik in Konflikt geraten. Ihre Geschichten haben in dieser Zeit nichts an Aktualität und ihre Auftritte nichts an Brisanz eingebüßt. Pusztai hatte in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre im Autrag der britischen Regierung Untersuchungen an gentechnisch veränderten Kartoffeln durchgeführt und dabei negative Effekte auf die Gesundheit der Versuchstiere gefunden. Er wurde 1998 nach einem Fernsehinterview von seinen Aufgaben am schottischen Rowett Institut entbunden - nur, wie es damals hieß, um ihn für ein paar Tage aus der Schusslinie zu nehmen. Chapela dagegen hatte über Kontaminationen lokaler, mexikanischer Maisanbaugebiete mit gentechnisch verändertem Mais berichtet. Nach diversen Kritiken an einem von ihm - gemeinsam mit David Quist - 2001 in der Fachzeitschrift Nature Biotechnology veröffentlichten Artikel wurden die Ergebnisse mittlerweile mehrfach bestätigt. Pusztai und Chapela sahen sich einer systematischen Kampagne zur Diskreditierung ihrer wissenschaftliche Reputation ausgesetzt, frei nach dem Motto: If you want to shoot the message, shoot the messanger. Der Film dröselt die Geschichten auf: Welche Agentur hat an welches von Gentechnik-freundlichen WissenschaftlerInnen bevorzugte Internet-Portal welche eMail verschickt? Welche KollegInnen sprechen sich für, welche gegen einen der beiden aus? Was sagen Politik und Verwaltungen? Letztendlich liegt in diesem Aufdröseln auch der Grund, warum der Film nicht überflüssig oder veraltet ist: Die Ausgangspunkte für diese Geschichte sind gleichzeitig Wendepunkte im Leben dieser beiden Wissenschaftler. In diesem Sinne sind ihre Geschichten zeitlos, denn der Wissenschaft ist es bis heute nicht gelungen, ein Umgehen mit den aufgeworfenen Fragen zu finden.

„Wer bist du?“

Auch Terje Traavik darf wieder eine Frage stellen: „Wer bist du?“ - so begrüßt der Direktor des Instituts für Gen-Ökologie im norwegischen Tromsö seinen Gast Chapela allmorgendlich, um deutlich zu machen, dass wir nie ohne Kontext sind. „Wer bist du?“ steht für das Bewusstsein, dass jedeR von uns Interessen und Erfahrungen, Überzeugungen und Ideale in sich trägt - auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Chapela spricht darüber zu seinen Studierenden in einem Biosicherheits-Workshop und verbindet das mit der Aufforderung, ihm nicht (blind) zu vertrauen. Traavik hat Chapela nicht nur als Lehrer eingeladen. Es ist offensichtlich, dass es auch um das Angebot eines Rückzugsortes geht. Chapelas Exil in Norwegen ist ein besonderer Teil in der Dokumentation. Denn hier kommen Verhaag und die Zuschauer dem Wissenschaftler sehr nahe: Der Wissenschaftler lässt Verhaag auf den Menschen Chapela blicken. Diese Nähe wird aber gleichzeitig zu Glatteis. Wir befinden uns in einer Dokumentation. Allzuleicht lassen wir uns verführen, die Perspektive des Filmemachers und seiner Charaktere für die Wahrheit zu halten. Chapelas Aufforderung an seine Studierenden wendet sich somit gleichzeitig an uns als ZuschauerInnen: Wir sollen ihn fragen „Wer bist du?“, wir sollen ihm misstrauen.

Hemmungslos parteiisch

Neben Pusztai und Chapela kommen weitere Protagonisten zu Wort: der US-amerikanische Autor Jeffrey Smith, der brasilianische Agronom Antonio Andrioli und der US-Umweltaktivist Andrew Kimbrell. Sie alle werden zu ihren Erfahrungen befragt: über das Verhältnis der Wissenschaft zu den Gentechnikkonzernen, von Politik, Regierungen und Behörden zur Wissenschaft und der Wissenschaft zu den Bäuerinnen und Bauern, mit ihren ganz praktischen Problemen. Heike Littger schrieb im März in der Wochenzeitung Die Zeit über Verhaags Film: „Bertram Verhaag hat einen Film über den Einfluss der Wirtschaft auf Wissenschaft und Gentechnikforschung gedreht - hemmungslos parteiisch, aber sehenswert.“1 Dass er „hemmunglos parteiisch“ ist, daraus hat der Filmemacher nie ein Geheimnis gemacht.

Premiere in Berlin

So ist es auch kein Wunder, wenn sich die Premierenvorstellung in Berlin zu einer Anti-Gentechnik-Veranstaltung entwickelt. Das Publikum kann einer bewegt Gentechnik-kritischen Szene zugeordnet werden, WissenschaftlerInnen sind - zumindest an diesem Abend - wenige im Kino, kritische Fragen zum Film bleiben die Ausnahme. Das Format Dokumentarfilm aber funktioniert. Spätestens seit Michael Moores „Bowling for Columbine” über das Massaker an der Columbine High School in Littleton und die Waffenlobby in den USA (2002) erleben Dokumentarfilme eine regelrechte Welle. Dies gilt in den Debatten um den Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft umso mehr: Filme, wie zum Beispiel „Monsanto - mit Gift und Genen“ der französischen Filmemacherin Marie-Monique Robin fanden ein großes Publikum und werden auf der ganzen Welt im Rahmen von Veranstaltungen genutzt.2 Sie informieren und regen Diskussionen an. In den vergangenen 35 Jahren hat Bertram Verhaag an dieser Aufwertung des Dokumentarfilms mitgearbeitet und sich mit mittlerweile neun Filmen zur Gentechnik gerade in diesem Thema ein eigenes Publikum aufgebaut. Am Premierenabend ist das Podium groß besetzt: Susann Bardósz ist gekommen. Sie ist mit Árpád Pusztai verheiratet und vertritt ihren erkrankten Mann. Das fällt ihr leicht, da sie an den Untersuchungen im Rowett-Institut an leitender Stelle beteiligt war. Auch die Grünen-Politikerin Renate Künast ist da, als ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin eine naheliegende Wahl und natürlich der Regisseur Bertram Verhaag. Last but not least sind - in Person einer freundlichen jungen Frau am Computer - ZuschauerInnen aus Kinos in 20 deutschen Städten live zugeschaltet, die das Berliner Event per Internet-Live-Übertragung verfolgen und sich - wie natürlich das Publikum im Berliner Babylon-Kino auch - ebenfalls einbringen sollen. Man ahnt es schon: Interessante Gäste, aber zuviel für einen Abend. Die Diskussion weiß nicht so recht wohin. Das kann dem Film selbst jedoch nicht zum Vorwurf gemacht werden.

Erschienen in
GID-Ausgabe
205
vom Mai 2011
Seite 6 - 7

Christof Potthof war bis Ende April 2020 Mitarbeiter im GeN und Redakteur des GID.

zur Artikelübersicht

Spielorte in den nächsten Wochen:

Bad Urach, Forum 22: 21./24./26. und 27. April Buggingen, Kino im Rathaus: 22. Mai Burghausen, Anker Filmtheater: 12.-18. Mai Dresden, Programm Kino Ost: 21. April - 04. Mai Eckernförde, Kommunales Kino im Haus: 26./27./29. Mai und 1. Juni Großhennersdorf, Kunstbauerkino: 19.-25. Mai Hirschberg-Leutershausen, Olympia-Kino: 15. Mai Kassel, Bali Filmtheater: 1. Mai Mannheim, Kommunales Kino Cinema Quadrat: 24.-25. Mai Müllheim, Central Theater: 24. Mai Murnau, Kino im Griesbräu: 10. April München, City-Kino: 15. Mai Ochsenfurt, Casablanca: 21.-24. April Regensburg, Filmgalerie im Leeren Beutel: 14.-20. April Rendsburg, Schauburg Filmtheater: 26. Mai - 01. Juni Schrobenhausen, CinePark: 10.-13. April Schwäbisch Gmünd, Brazil Kino: 24. März - 13. April Trostberg, Stadtkino: 18.-20. April Überlingen, Cinegreth: 13.-15. Juni
Weitere Termine und mehr Informationen im Internet unter www.gekauftewahrheit.de.
(Christof Potthof)