Rezension: Rassistische Biologie und Medizin

Rassistische Forschung ist in der Biologie nicht überwunden. Unter dem Deckmantel vermeintlich spezifischer Eigenschaften und wirkender Medikamente wird sie weiter vorangetrieben. Tino Plümecke, der bereits zum wichtigen Band Gemachte Differenz: Kontinuitäten biologischer ‚Rasse‘-Konzepte beigetragen hat, hat nun seine Dissertationsschrift veröffentlicht. In ihr untersucht er die historischen und aktuellen rassistischen Konzepte in der Biologie (und Medizin) - und ordnet sie in den gesellschaftlichen Kontext ein. Den Ausgangspunkt für die Einteilung von Menschen in ‚Rassen‘ setzt er mit der europäischen Moderne, konkret mit der Reconquista in Spanien im 15. Jh. und dem Kolonialismus. Exzellent und in einer für Seminare hilfreichen Kürze (S. 66-68) gibt er einen Überblick über den historischen Ausgangspunkt des Rassismus. Im Folgenden fokussiert er den wissenschaftlichen Rassismus: Er setzt bei den ersten ‚Rasse‘-Klassifikationen ein und betrachtet die rassistischen Konzepte des 19. und 20. Jahrhunderts. Dabei wendet er sich vor allem den Vererbungstheorien und schließlich der Genetik zu und spart auch die medizinischen Praxen (u.a. S. 203ff) nicht aus. Plümecke stellt eine Verlagerung der Theorien vom Phän zum Gen, vom Makroskopischen zum Mikroskopischen fest und wie sich auf diese Weise die rassistische Forschung professionalisierte und gesellschaftlicher Kritik entzog (S. 126f). Technische ‚Neuerungen‘ (die Strukturanalyse der DNA etc.) hätten auch nach 1945 dazu geführt, dass durch Forschende Untersuchungen zu ‚Rasse‘ betrieben und als vermeintlich unpolitisch legitimiert wurden. Tino Plümecke gibt mit dem vorliegenden Buch einen guten Überblick über die rassis­tischen Forschungen der Biologie und Anwendungen der Medizin - und zeigt auf, wie ‚Rasse‘-Konzepte noch heute zentrale Bestandteile dieser Disziplinen sind. Zuweilen etwas mühselig erweist sich das häufige Springen zwischen historischen und aktuellen Betrachtungen. Warum der Autor ‚Rasse‘ ohne Anführungszeichen verwendet, erläutert er zu Beginn: „Statt eine vorsichtige Distanz zu versuchen […] geht es hier gerade darum, dem verschreckenden Gehalt des Begriffs […] auf den Grund zu gehen.“ (S. 54) Das „stechende Wort“ und der gewalttätige Inhalt sollten sichtbar bleiben (ebd.). Hier ist mehr Sensibilität anzumahnen: Der Begriff ‚sticht‘ nicht gegen alle Menschen, sondern gegen die, die von rassistischer Diskriminierung und Gewalt betroffen sind. Entsprechend können auch nur diese entscheiden, welcher Sprachgebrauch angemessen ist. Wie diese Anregungen aussehen, rezipiert Plümecke: Gefordert wird gerade im deutschsprachigen Kontext eine stete Problematisierung des Begriffs, etwa durch Anführungszeichen (S. 49ff).

Tino Plümecke: Rasse in der Ära der Genetik: Die Ordnung des Menschen in den Lebenswissenschaften. Transcript-Verlag (2013), 320 Seiten, 29,80 Euro, ISBN 978-3-8376-2145-7.

Erschienen in
GID-Ausgabe
220
vom Oktober 2013
Seite 45

Heinz-Jürgen Voß ist Dipl.-Biologin, promovierte zu historischen und aktuellen biologischen und medizinischen Geschlechtertheorien („Making Sex Revisited: Dekonstruktion des Geschlechts ausbiologisch-medizinischer Perspektive” erscheint Januar/Februar 2010 im transcript-Verlag) und ist seit einigen Jahren queer-feministisch politisch aktiv.

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