Gegenwissen durch Gegenöffentlichkeit

Der Gen-ethische Informationsdienst und der Chaos Computer Club

Die Gründer*innen des Gen-ethischen Informationsdienstes und die Hacker*innen des Chaos Computer Clubs vereinte Mitte der 1980er Jahre eine Idee: Der Aufbau eines Netzwerkes um Informationen frei und unzensiert zu verbreiten – eine wichtige Grundlage für die bundesdeutsche Gentechnologiekritik.

Ausschnitt eines alten Computers. Der Bildschirm zeigt Codeschrift auf schwarzem Hintergrund.

Die C.L.I.N.C.H-Box wurde von der GID-Redaktion ab Mitte der 1980er Jahre zur Vernetzung „nach außen“ benutzt. Foto: Screenshot https://youtu.be/5xaL13cFvtw

Der Gen-ethische Informationsdienst (GID) blickt mittlerweile auf eine über 35-jährige Geschichte zurück, in welcher sich die Zeitschrift und das Gen-ethische Netzwerk e.V. (GeN) ein Netzwerk des Gegenwissens über Gentechnologie aufbauten. Durch eine kritische und allgemein verständliche Aufbereitung von Informationen sollte sich das neu entstehende Bildungsangebot der beiden Initiativen von denen aus Wissenschaft, Politik und Industrie unterscheiden. Ziel war es dabei, allen Leser*innen die Möglichkeit zu geben, sich eine eigene, fachlich fundierte Meinung zur Gentechnologie bilden zu können.

Mit Gegenwissen wird eine bewusste Abgrenzung von der „herrschenden“ Wissenschaft bezeichnet, jedoch ohne dabei wissenschaftsfeindlich zu sein. Die Akteur*innen des Gegenwissens kehren sich nicht nur von der vorherrschenden Sichtweise ab, sondern werden selbst tätig und suchen aktiv nach Alternativen.1 Bei den Aktivist*innen von GID und GeN lässt sich dies anhand ihrer Tätigkeiten in den 1980er Jahren verfolgen, als die Aktivist*innen begannen, öffentlich Kritik an der Gentechnologie zu üben und ein engmaschiges Netzwerk aus Unterstützer*innen knüpften. Der Fokus dieses Artikels liegt auf der Zusammenarbeit des GID mit dem Chaos Computer Club (CCC).
Die Geschichte des GID ist – besonders in seiner Gründungsphase – eng mit der Geschichte der Computerisierung der Bundesrepublik verbunden. Neue technische Möglichkeiten machten eine Nutzung von Computern für den Heimgebrauch immer attraktiver. Mit ihnen konnten nicht nur Texte produziert, Tabellen erstellt oder Berechnungen durchgeführt werden, sie wurden auch zunehmend zur Kommunikation genutzt. Da die Geräte Anfang der 1980er Jahre jedoch noch keine grafische Benutzeroberfläche aufwiesen und die weiterführenden Möglichkeiten der bereitgestellten Software gering waren, verwundert es kaum, dass viele der Nutzer*innen oftmals zumindest grundständige Kenntnisse im Programmieren hatten.2

Der Chaos Computer Club

Eine Gruppe, die sich von Anfang an intensiv mit dem neuen Medium auseinandersetzte, war der CCC. Seit seiner Gründung 1981 beschäftigte sich die Hacker*innenvereinigung mit der Mediennutzung des alternativen Milieus in Bezug auf Telekommunikation und Heimcomputer. In den 1980er Jahren bedeutete „etwas zu hacken“ zwar auch schon das (illegale) Eindringen in fremde Rechnersysteme, umfasste aber mehr als das: Mit Hacken war in erster Linie der kreative und spielerische Umgang mit Computern und Computersystemen zu Unterhaltungszwecken gemeint. Viele Hacker*innen beschäftigten sich in diesem Zuge mit Datenschutz und entwickelten hier Expertisen, sowie zu Computerfragen im Allgemeinen. Sie betrachteten die Geräte als neutrale Objekte, die als „Strukturverstärker“ wirkten, also zwar durchaus die Macht der etablierten Institutionen mehrten, aber in ihrer Sicht auch die Chance auf Veränderung mithilfe von neuen, alternativen Strukturen boten.3 Allein der Gedanke, dass ein Computer und ein Modem zu einem wirkungsvollen Kommunikationsmedium werden konnten, stärkte die linksalternative Idee einer „Gegenöffentlichkeit von unten“, die es augenscheinlich ermöglichte, sich dem staatlichen Monopol zu entziehen.3 Genau dazu rief der CCC in seiner Zeitschrift „Die Datenschleuder – das Informationsblatt für Datenreisende“ auf – mit dem Ziel, eine selbstbestimmte, bunte Medienlandschaft aufzubauen. Seit 1984 erscheint die Datenschleuder in einer digitalen und einer gedruckten Version in unregelmäßigen Abständen. Die Redaktion ermunterte die Leser*innen dazu, die Zeitschrift selbstständig möglichst oft zu kopieren und weiterzuverbreiten.4 Diesen Ansatz eines dezentralen Verteilungssystems übernahmen schließlich auch die GID-Redakteur*innen.

Der Chaos Computer Club war keine Vereinigung, die „nur“ aus Computerinteressierten bestand. Die Hacker*innen waren auch politisch motiviert und engagierten sich für die alternativen Bewegungen. Über neu aufgebaute Netzwerke konnten die Aktivist*innen und Initiativen innerhalb der Bundesrepublik aber auch international vergleichsweise schnell kommunizieren. Eine Einrichtung, die dafür von großem Nutzen war, waren Mailboxsysteme, welche eine Grundlage für die Gegenöffentlichkeiten bildeten. Mailboxen waren Computersysteme, die sich ursprünglich in den 1970er Jahren in den USA aus vernetzten Rechnerstrukturen heraus entwickelt hatten. Sie wurden – auf nicht immer legalem Weg – als elektronische schwarze Bretter verwendet und konnten somit zur Übermittlung von Nachrichten und zur Speicherung von Daten genutzt werden. Besonders reizvoll waren sowohl die Möglichkeiten zur selbstbestimmten Informationsverbreitung, als auch die Tatsache, dass sich die mittels Mailboxen ausgetauschten Informationen nur schwerlich zensieren ließen.

Der GID und die Hacker*innen

Zum GID lassen sich nun gleich mehrere Querverbindungen in die Szene herstellen. Wie in der 12. Ausgabe des GID von 1986 nachzulesen ist, kooperierte die Redaktion bereits seit dem Sommer 1985 mit mindestens zwei Gruppen, die sich mit Computern beschäftigten: zum einen mit dem CCC, zum anderen mit der sogenannten Autonomen Arbeitsgruppe für politisches Computern (es bleibt ungeklärt um welche Personen es sich bei dieser Gruppe handelt). Durch deren Mithilfe konnten die Redaktionsmitglieder des GID ihre Textverarbeitung umstellen und lernen, eigene Texte digital zu übermitteln. Reinhard Schrutzki, Mitglied des CCC, betrieb privat eine der ersten Mailboxen in Hamburg und nannte sie C.L.I.N.C.H. Ausgehend von dem Akronym überlegte er sich den Namen „Communication Link – Information Network Computer Hamburg“.2

Für dieses System schloss der GID Mitte der 1980er Jahre mit Schrutzki einen Nutzungsvertrag ab, mit dem Ziel, den GID „nach außen“ zu vernetzen. Die Aktivist*innen versprachen sich von der Nutzung der C.L.I.N.C.H.-Box Unabhängigkeit von den Preisen und der Politik kommerzieller Anbieter. Die Redaktion kündigte Ende 1986 eine Kurzversion seines Gegenwissens über die C.L.I.N.C.H-Box an, in Form des „G.ID.-Kurzdienstes“. Dieser ungefähr eine DIN-A4-Seite umfassende, wöchentlich erscheinende Bericht sollte sich über private Netze in der Bundesrepublik und somit dezentral verbreiten. Aus mehreren erhaltenen Mailbox-Nachrichten, die Redaktionsmitglied Jürgen Wieckmann 1987 von Hamburg aus an den Abgeordneten des Europäischen Parlaments und Redaktionskollegen Benedikt Härlin schickte, geht hervor, dass die Vereinsmitglieder die Technik auch zur internen Kommunikation verwendeten. Die im Grünen Gedächtnis der Heinrich-Böll-Stiftung archivierten Mailboxnachrichten geben einen Einblick in die Aushandlungsprozesse zwischen der GID-Redaktion und dem im Entstehen begriffenen Verein GeN in Bezug auf Finanzen, gemeinsame Kooperationen und die Unabhängigkeit der redaktionellen Arbeit.

Gegenöffentlichkeit als Instrument der Gentechnologiekritik

Die Zusammenarbeit von GID und GeN mit Hacker*innen-Gruppen, allen voran dem CCC, war für den ersten Erfolg des Vereins und der Zeitschrift prägend. Mithilfe der „Computerfreaks“5 konnten die gentechnikkritischen Aktivist*innen durch interne Kommunikation, externe Vernetzung und weitere praxisbezogene Vorteile, etwa das Erstellen und Versenden von Informationstexten, z.B. über geplante Freisetzungsversuche, eine Gegenöffentlichkeit aufbauen. Ein Zitat von Jürgen Wieckmann zeigt, dass sie sich den technischen Neuerungen gegenüber offen zeigten, da sie das Potenzial boten, ihre Ziele zu verwirklichen: „Für uns waren diese Möglichkeiten noch sehr neu, die technischen Voraussetzungen teilweise abenteuerlich. Ziel ist, auf der Ebene internationaler Kommunikationsnetze, den Gedanken der Gegenöffentlichkeit zu praktizieren.“ Wie er 1986 im GID mitteilte, ständen die Aktivist*innen zwar noch ganz am Anfang, aber „die ersten Erfahrungen zeigen uns, dass es sinnvoll ist, auf internationaler Ebene ein alternatives Kommunikationsnetz für die kritische Auseinandersetzung in Sachen Gen-, Bio- und Fortpflanzungstechnik aufzubauen“.6

GID und GeN nutzten die Gegenöffentlichkeit ganz bewusst als Instrument zum Aufbau ihres Gegenwissens. Durch die Nutzung der Computer und die Idee, eigene, unabhängige Kommunikationsstrukturen aufzubauen, entstanden die Berührungspunkte für eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem CCC. Auf dieser Grundlage veröffentlichte der GID in den folgenden Jahrzehnten zahlreiche Beiträge zur Gentechnologie und informierte über neue Forschungsvorhaben und -ergebnisse, politische Entscheidungen oder auch Treffen von Gentechnikkritiker*innen. Ohne das Zusammenwirken von zahlreichen divergierenden Gruppen wie dem CCC oder der Autonomen Arbeitsgruppe für politisches Computern, hätte der GID wohl kaum seine volle Kraft entfalten können.

  • 1von Schwerin, A. (2022): Gegenwissen. Die Neuen Sozialen Bewegungen in der Bundesrepublik und die Grundlagen ihrer Wirkung. In: NTM Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin, 30, S.529-540, www.doi.org/10.1007/s00048-022-00349-4.
  • 2a2bErdogan, J.G. (2019): Technologie, die verbindet. Die Entstehung und Vereinigung von Hackerkulturen in Deutschland. In: Bösch, F. (Hg.): Wege in die digitale Gesellschaft. Computernutzung in der Bundesrepublik 1955-1990, Wallstein Verlag, S.229-232.
  • 3a3bRöhr, M. (2018): Gebremste Vernetzung. Digitale Kommunikation in der Bundesrepublik der 1970er/80er Jahre. In: Bösch, F. (Hg.): Wege in die digitale Gesellschaft. Computernutzung in der Bundesrepublik 1955-1990, Wallstein Verlag, S.226.
  • 4Chaos Computer Club (Hg.) (1984): Die Datenschleuder. Das wissenschaftliche Fachblatt für Datenreisende. Ein Organ des Chaos Computer Club. Nr. 1 (1984).
  • 5Vereinsbestand Gen-ethisches Netzwerk e.V., GID-Info Nr. 1, handschriftlich auf 1985 datiert.
  • 6Gen-ethisches Netzwerk e.V. (Hg.): Gesamtausgabe. Gen-ethischer Informationsdienst Ausgaben 0-30. Berlin: Gen-ethisches Netzwerk e.V., 122 [G.ID. Nr. 12, Februar 1986].
Erschienen in
GID-Ausgabe
265
vom Mai 2023
Seite 28 - 29

Eleyne Wenninger studierte Wissenschaftsgeschichte an der Universität Regensburg und schrieb ihre Masterarbeit über Gegenwissen und die Gründung des Gen-ethischen Netzwerks im Zuge der Gentechnologiekritik in der Bundesrepublik Deutschland der 1980er Jahre.

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