Rezension: Der Vitamin C-Bluff
Wie kommt es, dass Vitamin C heute den Status eines unbedingten Gesundheitsbringers genießt? Warum schlucken selbst KritikerInnen der Gesundheitsindustrie im Zweifelsfall mal eine Vitamintablette - schaden kann es ja nicht? Der Schweizer Historiker Beat Bächi hat jetzt Licht in die lange Geschichte der Synthese und des Marketings von Vitamin C gebracht. Bächi hat die Unterlagen der Schweizer Firma Hoffmann-La Roche - den GID-LeserInnen bekannt als Besitzerin von Genentech - genau durchforstet: angefangen mit den allerersten Bemühungen, Vitamin C in den zwanziger Jahren zu synthetisieren. Bis zum weltweit größten Produzenten von Vitamin C war es ein weiter Weg: Für den künstlich produzierten Stoff musste zuallererst ein Markt geschaffen werden, denn Anfang der dreißiger Jahre war Vitamin C nichts anderes als eine Substanz, die allenfalls für Seefahrer interessant sein konnte, die von der Versorgung mit Vitaminen völlig abgeschnitten waren. Entscheidend war die „Propagandaabteilung“ des Unternehmens, die neue biochemische Modelle aufgriff und ein neues Krankheitsbild formte: die Unterversorgung mit Vitaminen. Die therapeutische Substanz wurde damit zu einer prophylaktischen Substanz, die man unbedingt einnehmen musste, wenn man „volle Gesundheit“ erreichen wollte. Bächi zeichnet diese Wendungen wie in einem Krimi nach und zeigt unter anderem, wie der nationalsozialistische Staat und die Wehrmacht verlässliche Kunden von Hoffmann-La Roche wurden. Diese gut geschriebene Geschichte ist ein spannender Einblick in die enge Verquickung von ökonomischem Handeln und wissenschaftlicher Konzeptbildung.
Alexander v. Schwerin
Beat Bächi: Vitamin C für alle! Pharmazeutische Produktion, Vermarktung und Gesundheitspolitik (1933-1953), Chronos 2009, 275 Seiten, 24 Euro, ISBN: 978-3-0340-0921-8.