Rezension: Tücken der interdisziplinären Zusammenarbeit

Seit den frühen Tagen des Humangenomprojekts stellt die Unterschung der ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekte (ELSA) der Biotechnologie einen eigenen Forschungsbereich dar. Sozial- und Geisteswissenschaftler sollen eine Begleitforschung zu den Rahmenbedingungen der Biotechnologie durchführen. Dass dieser Anspruch in der Praxis nicht immer einfach zu bewältigen ist, legen Paul Rabinow, Professor für Sozial- und Kulturanthropologie an der University of California, und sein Ko-Autor Gaymon Bennett dar. Im Buch „Designing Human Practices“ beschreiben sie mehr Tiefen als Höhen der interdisziplinären Zusammenarbeit. „Human Practices“ war die Bezeichnung einer von Rabinow geleiteten Abteilung des SynBERC, des ersten Synthetische Biologie-Forschungszentrums. Im Gegensatz zum typischen ELSA-Vorgehen, das sich durch Kooperation zwischen Sozial- und Naturwissenschaften auszeichnet, sollten die Forscher hier kollaborieren und gleichberechtigt zusammenarbeiten. Statt den Blick auf die der naturwissenschaftlichen Forschung nachgelagerten sozialen Folgen der Biotechnologie zu richten, wollten die Wissenschaftler die vielfältigen Vermischungen zwischen Forschung und Anwendung sowie zwischen den verschiedenen Disziplinen in den Fokus nehmen - seien sie nun technischer, organisatorischer, ethischer, industrieller, politischer oder ökologischer Natur. Analog zur post-genomischen Ära sprechen die Autoren daher von einem „post-ELSA-Unterfangen“, in dem sie neue Formen der Zusammenarbeit erproben wollten. Um es vorwegzunehmen: Das Vorhaben scheiterte. Rabinow wurde im März 2010 als Leiter der Abteilung Human Practices ausgesetzt und die Abteilung wurde umbenannt. Dementsprechend erzählt das Buch die Geschichte eines Scheiterns. In zehn Kapiteln beleuchten die Autoren die Entwicklung ihrer Forschungen vom ambitionierten Start 2006 bis zum unglücklichen Ende 2010. Sie erzählen von der mangelnden Bereitschaft ihrer Kollegen, sich auf kollaborative Zusammenarbeit einzulassen, von Abweisung und teilweise offener Ablehnung ihrer Arbeit. Während von den Sozialwissenschaftlern selbstverständlich verlangt wurde, die Arbeit der Naturwissenschaften zu verstehen, war das Gegenteil keineswegs der Fall. Letztendlich kommen sie zu dem Schluss, dass „unter den gegebenen Bedingungen bedeutender Machtasymmetrien eine Kollaboration mit großer Sicherheit nicht ohne grundlegende Veränderungen funktionieren wird.“ Mein Fazit: Eine spannende Reise in die Welt der „Begleitforschung“ und die Hürden und Tücken der interdisziplinären Zusammenarbeit - die umso größer werden, je weniger sich die Sozialwissenschaften als bloßes Nebenprodukt der naturwissenschaftlichen Forschung verstanden wissen wollen.
Anne Bundschuh
➤ Paul Rabinow, Gaymon Bennett: Designing Human Practices. An Experiment with Synthetic Biology. The University of Chicago Press (2012), 203 Seiten, 19,20 EUR, ISBN 978-0226703145.

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
219
vom September 2013
Seite 44

Nur durch Spenden ermöglicht!

Einige Artikel unserer Zeitschrift sowie unsere Online-Artikel sind sofort für alle kostenlos lesbar. Die intensive Recherche, das Schreiben eigener Artikel und das Redigieren der Artikel externer Autor*innen nehmen viel Zeit in Anspruch. Bitte tragen Sie durch Ihre Spende dazu bei, dass wir unsere vielen digitalen Leser*innen auch in Zukunft aktuell und kritisch über wichtige Entwicklungen im Bereich Biotechnologie informieren können.

Ja, ich spende!  Nein, diesmal nicht