Biosafety-Protokoll tritt in Kraft
Am 11. September 2003 wird das Cartagena-Protokoll über die Biologische Sicherheit in Kraft treten - mehr als dreieinhalb Jahre nach seiner Verabschiedung im Januar 2000. Die notwendige fünfzigste Ratifizierung reichte der kleine pazifische Inselstaat Palau am Freitag, dem 13.6.2003 ein. Einige Beobachter maßen dem Cartagena-Protokoll eine entscheidende Funktion bei der Stärkung der Gentechnik-kritischen Kräfte in der weltweiten Auseinandersetzung um gentechnisch veränderten Organismen (GVO) bei. Dieser Artikel soll einen kurzen Blick auf die momentane Lage bei der Umsetzung des Protokolls werfen und die Frage beantworten: Wem nützt das Biosafety-Protokoll am meisten?
Unbestritten ist, dass das Biosafety-Protokoll einen entscheidenden Schritt vorwärts im Rio-Nachfolgeprozess darstellt und aus der Perspektive eines Umwelt- und Entwicklungsabkommens als erstes international verbindliches Abkommen Mindestmaßstäbe zur Risikoabschätzung und Genehmigungsprozedur bezüglich GVO setzt. Als weitere Besonderheit gilt, dass im Verlauf der Verhandlungen zuerst Entwicklungsländer für einen hohen Schutzstandard eintraten, während - zum Beispiel - die Staaten der EU erst zum Ende der Verhandlungen aufgrund der stetig wachsenden Opposition gegen GVO vor allem in Frankreich und Großbritannien deutliche Positionen für ein starkes Protokoll bezogen haben.
Zwischenbilanz
Das Cartagena-Protokoll über die Biologische Sicherheit (Biosafety-Protokoll) setzt völkerrechtliche Maßstäbe für weitere internationale Umweltabkommen, da es in weltweit debattierten Fragen deutliche Aussagen trifft: - es lehnt das Prinzip der Vertrautheit (principle of familiarity, unterstützt von der Biotechnologieindustrie und den USA (1)) als Grundlage von gesetzlichen Regelungen ab; das Prinzip der Vertrautheit baut auf der Annahme auf, dass für eine Risikoabschätzung ausreichend Informationen bereit stehen, wenn die Organismen bekannt sind, aus denen der neue - gentechnisch veränderte - Organismus besteht. Demgegenüber vertraut das Biosafety Protokoll dem Ansatz der Neuartigkeit von GVO, das heißt: jeder gentechnisch veränderte Organismus ist neu und muss für sich genommen untersucht werden (Basis jeder GVO-spezifischen Regelung, unterstützt von der EU (2));
- es schreibt verbindlich das Vorsorgeprinzip als Leitlinie im Entscheidungsprozeß über den Import von GVO fest;
- es definiert das Vorsorgeprinzip, indem es die Umstände beschreibt, unter denen Staaten Schutzmaßnahmen treffen dürfen, ohne auf einen endgültigen wissenschaftlichen Beweis der Ursachen und Wirkungsketten warten zu müssen;
- es stellt einen Mindeststandard für staatliche Genehmigungsverfahren und das Prinzip der "Zustimmung unter vorheriger Kenntnisnahme" dar (prior informed consent, im Protokoll advance informed agreement genannt);
- es stellt sich auf die gleiche Stufe wie die Freihandelsabkommen der Welthandelsorganisation (WTO).
Neben diesen positiven Aspekten enthält der Text eine Reihe von Punkten, die weit hinter den Forderungen der Entwicklungsländer und der Nichtregierungsorganisationen zurückbleiben und den direkten Einfluß des Protokolls deutlich abschwächen. Im Verlauf der letzten drei Jahre kann aber festgestellt werden, dass das Biosafety-Protokoll einen lenkenden Einfluss auf andere internationale Verhandlungsforen ausgeübt hat. Eine Zwischenbilanz in der weltumspannenden Auseinandersetzung über den Einsatz der Gentechnik in Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion kann lauten:
- Das Biosafety-Protokoll setzt entscheidende Maßstäbe für Schutzbemühungen im Bereich Umweltschutz. Dies gilt zwar nicht im Bereich Gesundheitsschutz und Verbraucherinformation, aber: die Verhandlungen über die Anwendung des Vorsorgeprinzips, die Risikoanalyse und Kennzeichnung von GVO-Nahrungsmitteln im Rahmen des Codex Alimentarius der FAO und der WHO (weltweite Standards u.a. im Bereich Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz) wurden positiv beeinflusst, die Position der Biotechnologieindustrie und der USA wurde geschwächt.
- Das Protokoll trifft sehr unklare Entscheidungen im Bereich Identifizierung und Dokumentation von GVO in den Handelsströmen; aber: die Verhandlungen über einen entsprechenden transparenten GVO-Code im Rahmen der OECD konnten erfolgreich - und im Sinne einer strikten Regelung - beendet werden. Auch hier konnte sich der Ansatz europäischer Staaten durchsetzen.
- Das Protokoll kann gut von Bürgerinnen und Bürgern sowie ihren Interessensvertretungen benutzt werden, um ihren Forderungen nach Schaffung bzw. Revision von nationalen Gesetzen zum vorsorglichen Schutz vor den Gefahren der Gentechnologie zu stützen, aber: noch sind nicht in allen Ländern die Prozesse zur Umsetzung des Protokolls abgeschlossen. Die weltweit aufgelegten Programme zur Unterstützung - zum Beispiel - von Entwicklungsländern und den neuen Staaten in Osteuropa und Zentralasien bei der Umsetzung des Protokolls liefern der Biotechnologieindustrie und den USA ein neues Terrain zur Durchsetzung ihrer Interessen. Im Gegensatz zu den an einem Ort stattfindenden internationalen Verhandlungen des Protokolls spielen sich die Aktivitäten bezüglich seiner Umsetzung (gleichzeitig) an vielen Orten dieser Welt ab. Die Begleitung und Beeinflussung der Umsetzung des Protokolls hängt damit wesentlich entscheidender von den finanziellen und personellen Möglichkeiten der "Spieler" ab hier können die Industrie aber auch staatliche Förderung ihre inhärenten Vorteile gegenüber Nichtregierungsorganisationen und Entwicklungsländern gezielt nutzen.
Internationale GVO-Regelungen - Widerstreit der Interessen
Auf dem Rio-Gipfel 1992 wurden aus strategischen Gründen die bis heute so kontrovers diskutierten Themen "Biologische Vielfalt" und "Gentechnologie" fest miteinander verknüpft. Wie konnte es dazu kommen? Aufgrund des wirtschaftlichen Interesses der USA und der internationalen Gentechnik-Industrie wurde die Konferenz dazu genutzt, Gentechnik in der Landwirtschaft als die zentrale Methode zur Ökologisierung der industriellen Landwirtschaft und zur Sicherung der Welternährung darzustellen. Aber auch die Gentechnologielobby aus der EU sah in der Rio-Konferenz einen willkommenen Anlass, den ungeliebten eigenen Gesetzen von 1990 einen deutlichen internationalen Aufruf zur Deregulierung entgegenzusetzen. Gentechnische Methoden wurden in den Rio-Dokumenten als besonders geeignet dargestellt, die biologische Vielfalt zu schützen und nachhaltig zu nutzen. So soll Gentechnologie dazu genutzt werden, um durch den Transfer einzelner Gene Nutzpflanzen zu schaffen, die einerseits in die intensive Landwirtschaft der Industriestaaten passen, andererseits aber besonders umweltschädliche Auswirkungen dieser Landwirtschaft abmildern. Somit können sich dann die industrialisierten Monokulturen des Nordens als besonders effizient und umweltschonend darstellen und als Vorbilder für die Umgestaltung der Landwirtschaft in Entwicklungsländern dienen. Das Wort Gentechnologie taucht in den Rio-Dokumenten nicht auf, es wurde hinter dem viel positiver klingenden Wort Biotechnologie versteckt. Als Gegengewicht zu diesen Vorgaben des Rio-Gipfels, die im Wesentlichen das Regelmodell der USA widerspiegeln, wurde auf Initiative einiger Entwicklungsstaaten das Übereinkommen über die biologische Vielfalt mit einem Zusatz versehen. Dieser gibt den Staaten die Möglichkeit, ein völkerrechtlich verbindliches Biosafety-Protokoll über die Abschätzung und den Umgang mit den Risiken von gentechnisch veränderten Organismen im grenzüberschreitenden Verkehr auszuarbeiten. Im November 1995 beschloss die Zweite Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens, die Verhandlungen 1996 aufzunehmen. Dafür waren eine enge Zusammenarbeit internationaler Umwelt- und Entwicklungsverbände mit einigen Entwicklungsstaaten sowie die Überwindung der starken Vorbehalte der OECD-Staaten, darunter auch Deutschland, wichtige Voraussetzungen. Nach dem vorläufigen Scheitern des Cartagena-Protokolls im Februar 1999 wurde die nächste Sitzung für Januar 2000 angesetzt. Die letzte Runde entwickelte sich zu einem Verhandlungs-Krimi zwischen den Vertretern der EU, unterstützt von den Entwicklungsländern, auf der einen Seite und den USA, unterstützt von Kanada und Argentinien auf der anderen Seite. Die EU zollte den Verhandlungen große Aufmerksamkeit, zehn UmweltministerInnen und die Umweltkommissarin waren anwesend. Auf der Gegenseite fehlten die politischen Spitzen. Beobachter werteten dies als Zeichen, dass die USA sich eine totale Blockade des Biosafety-Protokols nicht leisten wollte, sondern sich auf das Verhandeln eines möglichst zahnlosen Regelwerkes beschränkt hatte. Lediglich der kanadische Umweltminister sah sich nach starken nationalen Protesten gezwungen, im Konferenzgebäude zu erscheinen. Als entscheidend für einen erfolgreichen Abschluss der Protokoll-Verhandlungen wird auch das Scheitern des WTO-Gipfels im November 1999 angesehn. Hier versuchten die USA, unterstützt durch den EU-Wirtschaftskommissar und entsprechende VertreterInnen nationaler Ministerien, die WTO als Arena für GVO-Regelungen aufzubauen und das Cartagena-Protokoll somit bedeutungslos zu machen. Dieses Ansinnen wurde durch den Widerstand zahlreicher UmweltministerInnen abgeblockt, die somit gestärkt in Montreal auftreten konnten.
Umsetzungsphase - neue Arena für die Verlierer?
Wie oben dargestellt, hat sich in den letzten drei Jahren die Position der EU in internationalen Verhandlungen bezüglich des Umgangs mit GVO gegenüber den USA konsolidiert. Es bleibt natürlich abzuwarten, wie der GVO-Streitfall um das GVO-Moratorium in der EU vor dem WTO-Schiedsgericht verläuft. Inzwischen aber haben die Gegner eines starken Biosafety-Protokolls ihre neue Chance genutzt, um die Umsetzung des ungeliebten Vertrages massiv zu beeinflussen. Der grundlegende Ansatz dabei ist, den Schutzcharakter des Protokolls als nebensächlich einzustufen und es ganz im Sinne der inzwischen etwas angestaubten Agenda 21 - als ein Instrument für die Förderung der Gentechnologie zu nutzen. Konsequenterweise umgehen Förderprogramme, die diesem Ansatz folgen, die Umweltministerien und siedeln sich im Bereich der Landwirtschaftsministerien an. So legten die USA in diesem Jahr ein Programm zur Gestaltung von Gentechnologiegesetzen in Afrika mit einem Umfang von 14,8 Mill. US-Dollar auf und entsenden eigenes Personal in internationale Programme zur Umsetzung des Protokolls dem sie selbst nicht beitreten können und wollen! Als afrikanische Experten treten WisenschaftlerInnen auf, die seit Jahren durch die internationale Gentechnologielobby trainiert und unterstützt werden. Als Vorlage für nationale Gentechnikgesetze soll ein Modellgesetz dienen, dass von zwei US-amerikanischen AnwältInnen erarbeitet wurde, die Koautorin vertrat die BefürworterInnen der Gentechnologie bereits in den Biosafety-Verhandlungen. Das Modellgesetz stärkt die Position der GVO-Entwickler, indem es Unklarheiten und Lücken im Protokoll nicht im Sinne seines Schutzzieles füllt, sondern im Sinne einer Industrie-konformen laschen - Auslegung. Ähnlich wird mit den Mindestmaßstäben verfahren: dienen sie den Interessen der Gentechnologielobby, baut das Modellgesetzen weitere Vorschriften auf ihnen auf, gelten sie als industriefeindlich, werden sie als Maximalstandards definiert. Das Ziel des Modellgesetzes besteht sogar darin, eine "vorhersagbare Überprüfung und Entscheidungsfindung bezüglich GVO" zu ermöglichen wenn die Entscheidungsfindung "vorhersagbar" wird, warum überhaupt ein Genehmigungsverfahren? Während die USA massiv auf die Umsetzung des Cartagena-Protokolls Einfluss nehmen, halten sich die EU und die meisten ihrer Mitgliedsstaaten hier zurück und überlassen damit das Feld den Kräften, die das Protokoll und damit die EU-Gesetze ablehnen und sogar bekämpfen.
Die Rolle Deutschlands
Deutschland nimmt im Rahmen der EU in Sachen Cartagena-Protokoll seit jeher eine besondere Position ein. Die deutsche Regierung sprach sich bis 1995 vehement gegen die Notwendigkeit einer verbindlichen internationalen Regelung aus und vertrat während der Verhandlungen einen deutlich Industrie-freundlichen Kurs. Es wurde versucht, die EU auf einer Position zu halten, die ein möglichst schwaches Protokoll zum Ziel hat. Im Sommer 1998 führte diese Haltung zum offenen Konflikt in der EU-Delegation, der Regierungswechsel im Herbst 1998 leitete eine Kurskorrektur ein hin zu einer neutralen Haltung. (Eine detaillierte Beschreibung des starken Einflusses der Industrie auf die Verhandlungsposition der deutschen Regierung und der EU wurde 2001 durch eine Diplomarbeit an der Freien Universität Berlin dokumentiert (3)). Nach der Verabschiedung des Cartagena-Protokolls initiierte das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eine Initiative zur Unterstützung von Entwicklungsstaaten bei der Umsetzung des Protokolls, die nationale Umsetzung wurde mit dem Wechsel der Zuständigkeiten in das Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft vorangetrieben. Mit einer Ratifizierung in Deutschland ist Ende des Jahres zu rechnen. Aus der EU haben diesen Schritt bis dato Spanien, die Niederlande, Dänemark, Österreich, Frankreich, Luxemburg, Schweden sowie die Europäische Kommission unternommen. Die inzwischen verabschiedete Cartagena-Verordnung der EU wird hoffentlich den weiteren acht Mitgliedern den ausreichenden Rechtsrahmen geben, um ihre Ratifizierung noch vor der ersten Vertragsstaatenkonferenz des Protokolls vom 23.-27. Februar 2004 in Malaysia zu beenden.
Schlussbetrachtung
Es ist festzustellen, dass die EU aufgrund des kontinuierlichen öffentlichen Drucks ihre Position in den internationalen Verhandlungen zum Thema GVO deutlich gestärkt hat, um die Essenz der neuen GVO-Vorschriften dort verteidigen zu können und sogar internationale Unterstützung zu finden. Die Ausgestaltung und Durchführung internationaler Programme zur Umsetzung des Cartagena-Protokolls und zum Aufbau nationaler Regelwerke in Entwicklungsländern wird aber weitestgehend Regierungen und Experten überlassen, die den Grundlagen der EU-Regelwerke kritisch bis ablehnend gegenüberstehen. Die Entwicklungsländer stehen im jetzigen Prozess des Aufbaus nationaler Gentechnologiegesetze angestoßen durch die Verabschiedung des Cartagena-Protokolls vor einer Situation wie Deutschland und Dänemark oder Großbritannien und Frankreich in den 80er und 90 Jahren. Falls sich nicht starke kritische Stimmen aus dem Bereich der Zivilgesellschaft und der Nichtregierungsorganisationen erheben, wird sich die nationale Gentechnologiedebatte zu einer Plattform entwickeln, die Vertreter aus Politik, Industrie und Wissenschaft zur rechtlichen Absicherung einer möglichst ungehemmten Verbreitung von GVO nutzen.
Fußnoten
- Wobei hier und im weiteren Text der Kürze halber die USA als stellvertretend für weitere Staaten stehen, die ihre Positionen in verschiedenem Maße unterstützen wie etwa die GVO-anbauenden Staaten Australien, Australien und Kanada.
- Wobei hier und im weiteren Text der Kürze halber die EU als stellvertretend für weitere Staaten stehen, die ihre Positionen in verschiedenem Maße unterstützen wie etwa Norwegen, die Schweiz, einige Entwicklungsstaaten (sofern diese überhaupt aktiv an Verhandlungen des Codex teilnehmen, in der OECD spielen Schwellenländer lediglich eine marginale Rolle).
- Steffenhagen, Britta (2001): The Influence of Biotech Industry on German and European Negotiation Positions Regarding the 2000 Cartagena Protocol on Biosafety, Diplomarbeit am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft, Freie Universität Berlin.
Hartmut Meyer nahm für das deutsche Forum Umwelt & Entwicklung als Beobachter an den Verhandlungen zum Cartagena-Protokoll teil und arbeitet derzeit als Berater der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) im Bereich der Umsetzung des Cartagena-Protokolls. Zum gleichen Thema hat er in dem Buch „Biosafety First“, herausgegeben von Terje Traavik und Lim Li Ching, einen Beitrag veröffentlicht, der noch einmal deutlich über den hier veröffentlichten Umfang hinausgeht. Biosafety First ist in englischer Sprache erschienen bei Tapir Academic Press, 2007, 612 Seiten, ISBN 978-82-519-2113-8.